Alice Schwarzer schreibt

Proteste: Ankleben - na und?

Hier schlägt der spätere grüne Außenminister Fischer (Kreis) einen Polizisten zusammen. (Quelle: FAZ).
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Ab Mittwoch wollen Militante der Letzten Generation „ganz Berlin lahmlegen“ (Was in Berlin normalerweise nur dem zweimal im Jahr behördlich genehmigten Marathon erlaubt ist). Wie? Indem sie ihre Hände am Boden festkleben. Und das an verkehrstechnisch möglichst neuralgischen Punkten wie Kreuzungen etc. Und da kriegt man sie auch erst wieder weg, nachdem Polizisten ihre Hände mit Öl oder Ähnlichem gelöst und sie weggetragen haben.

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Darüber wird sich nun aufgeregt. Dabei hat es im letzten halben Jahrhundert keine friedlichere Protestform gegeben. Ich erinnere mich da an ganz andere.

Zu existenzruinierenden Geldstrafen sind erste Klebe-AktivistInnen schon verurteilt worden. Und so manche PolitikerInnen würden sie am liebsten hinter Gitter bringen. Allen voran etliche Grüne. Dabei verdanken gerade sie ihre Existenz überhaupt nur dem Kampf ums Klima. Warum treten die einst Radikalen also gegen die neuen Radikalen an? Damit die die freie Fahrt zu ihrer Karriere nicht stören?

AktivistInnen der "Letzten Generation" blockieren angeklebt eine Straße in Berlin. - Foto: aal.photo/IMAGO
AktivistInnen der "Letzten Generation" blockieren angeklebt eine Straße in Berlin. - Foto: aal.photo/IMAGO

Ja, haben die denn alle so ein schlechtes Gedächtnis? Nicht nur, was Kriege angeht, sondern auch in Bezug auf „außerparlamentarische Proteste“ (wie das früher hieß). Sogar die Älteren wie ein Jürgen Trittin (damals aktiv beim Kommunistischen Bund).

Zwischen 1968 und Mitte der 70er Jahre ging es da aber ganz anders zu! Im normalen „Straßenkampf“, den sie zuvor im Wald geübt hatten, warfen die Joschka Fischers im Che-Guevara-Look ganz selbstverständlich Pflastersteine und Molotow-Cocktails. Auf Menschen. Das konnte Leben kosten. Klar. Und die militante Rote Armee Fraktion (RAF) nahm sich gar die Freiheit, „Imperialisten“, „Kapitalisten“ und „Alt-Nazis“ gefangen zu nehmen und zu töten. Selbst die „Spaßguerilla“ vom 2. Juni ließ als Kollateralschaden auch schon mal eine Leiche oder Schwerverletzte zurück (wie den Hauswart oder den auf der Flucht lebenslang gelähmt geschossenen Polizisten). Das alles zur „klammheimlichen“ Freude der fast gesamten Linken oder gar mit ihrem offenen Beifall.

Die Mehrheit der Linken hatte keine Bedenken bei der Gewalt gegen Menschen

Sicher, es gab links immer auch Gegenstimmen, vor allem bei den Frauen (darunter ich). Aber die Mehrheit der Linken hatte keine Bedenken, die Betroffenen hatten „es ja verdient“.

Im Sommer 1970 habe ich mit Jean-Paul-Sartre ein Interview zu der heute wieder so aktuellen Frage der „revolutionären Gewalt“ geführt. War die erlaubt? Ja. Nur gegen Sachen oder auch gegen Menschen? Sartre, damals neben Marcuse eines der beiden Idole der internationalen radikalen Linken, befand: Gegen beide, Sachen wie Menschen. Er rechtfertigte die Geiselnahme des „politischen Feindes“, notfalls auch deren tödlichen Ausgang.

So war damals die Stimmung. Das hat sich geändert. Gut so.

Dass nun aber die Hausbesetzer und Pflastersteinschmeißer von einst bzw. ihre Erben diese so überaus friedlichen Protest-KleberInnen verdammen, ist mehr als bigott. Und gerade Grüne sollten sich eigentlich freuen, dass da noch jemand gegen den Ausverkauf unseres Planeten - und ihrer einstigen Ideale - protestiert.

ALICE SCHWARZER

 

 

 

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