Rassistischer geht's nicht?

Illustratorin Bianca Tschaikner aus Wien.
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Die linke, liberale Wiener Wochenzeitung Falter erschien im Januar mit einem Schwerpunkt zu der massenhaften sexuellen Gewalt an Silvester in Köln. Auf dem Cover: Diese Illustration der Gruppen-Übergriffe. Sie stammt von der Zeichnerin Bianca Tschaikner. „Niemand ist den Frauen gegenüber aggressiver oder herablassender, als ein Mann, der sich seiner Männlichkeit nicht ganz sicher ist“, zitiert die Redaktion dazu Simone de Beauvoir. Die Titelseite sorgte in Österreich für helle Empörung – allen voran unter ­linken Feministinnen. Die ­Redaktion der an.schläge kündigte der langjährigen Mitarbeiterin die Zusammenarbeit. Eine Falter-Leserin zeigte sie beim Presserat an. Und im Internet wird sie als „Rassistin“ beschimpft.

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Besonders
Linke Feminis-
tinnen waren
hell empört

Bianca Tschaikner hatte für diese Aus­gabe nicht nur gezeichnet, sondern auch geschrieben. „Zur Frauenverachtung erzogen“ heißt ihr Text. Eine Seite über die Erfahrungen, die die 30-Jährige selbst mit sexueller Gewalt in muslimischen Ländern gemacht hat; und auf der sie die Parallele zu den Übergriffen in Köln zieht. 

Die Zeichnerin selber ist geboren im „Ländle“ (so nennen die Österreicher das malerische Voralberg), aber viel rumgekommen: Sie lebte in Chile und in Marokko; arbeitete in Jordanien in einem Flüchtlingscamp; besuchte Grafikschulen in Florenz und Galizien; sie reiste durch Usbekistan, die Türkei, den Iran, Indien. Es sind vor allem die orientalischen Länder, die sie faszinieren: „Eine persische Moschee inspiriert mich mehr, als ein Jugendstilhaus.“ Im Falter schrieb Tschaikner auch kritisch über ihre Erfahrungen in diesen Ländern: „Die Respektlosigkeit, der man als Frau tagtäglich aus­gesetzt ist, die Art, wie man zum Objekt degradiert wird, sobald man das Haus verlässt. Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.“

In Marokko war es vor allem die verbale Belästigung. Im Iran ging es schon härter zu. „Ich bin etwa ein Mal in der Woche sexuell belästigt worden“, erzählt Tschaikner. Kurz nach ihrer Ankunft wollte sie ein Frauentaxi rufen – aber es nahm niemand ab, also hielt sie einen Taxifahrer auf der Straße an. Der Taxifahrer holte sich beim Fahren einen runter. Tschaikner: „Ich konnte nicht flüchten, weil ja alle meine Sachen im Kofferraum waren.“ 

Dann gab es da die Mopedfahrer, die ihr im Vorbeifahren an den Po griffen; und die Männer, die sie auf dem Basar und in der U-Bahn wie zufällig anfassten; und den einen Mann, der sich nachts in Schiras an einer dunklen Straßenecke auf sie stürzte. „Was machst du auch ohne männliche Begleitung auf der Straße?“, fragten sie Passanten nach dem Überfall. Tschaikner ging danach nur noch ungern alleine auf die Straße. 

Ein Schlag ins
Gesicht für Frauen-
​rechtlerinnen

„Jede Frau, die zwischen westlicher und islamischer Welt wechselt weiß, wie erschreckend anders ihr Leben sich plötzlich anfühlt, sobald sie die Grenze überschreitet“, schreibt sie im Falter. „Es ist, als verwandele man sich in eine andere Art von Mensch. Die massive Frauenverachtung unterscheidet sich von der unseren fundamental – in der Intensität, in der Qualität, in der Art wie die Geschlechter einander systematisch entfremdet werden und wie das Selbstbild des Mannes auf der Unterwerfung der Frau aufbaut.“ Und sie fährt fort: „Diese Probleme haben nichts mit Hautfarbe oder Nationalität zu tun. Aber sie haben zu tun mit den patriarchalen Strukturen, die in Nordafrika und im Nahen Osten herrschen und die vom Islam in seiner derzeit dominanten Erscheinungsform legitimiert werden.“ 

Diese Probleme zu leugnen, ihre Benennung gar als „rassistisch“ zu diffamieren, das sei ein „Schlag ins Gesicht“ aller, die in diesen Ländern für Menschenrechte und gegen sexuelle Gewalt kämpfen, findet Tschaikner. Worte, die auch jede arabische Frauenrechtlerin sagen könnte. So wie ja auch Tschaikners Karikatur, die das Phänomen „taharrush gamea“ – also die schwarmartige, sexuelle Gruppengewalt zeigt – vielen Frauen in der arabischen Welt vertraut sein dürfte. Aber das alles aus der Feder einer weißen Österreicherin? Das war zu viel für die politisch Korrekten in Österreich!

Der Falter war noch keinen ganzen Tag am Kiosk, da ging es schon los. „Schwarzköpfe gehen auf blonde Frauen los. Rassistischer geht’s nicht!“, schrieb einer auf Twitter. „Na servas, etwas Rassistischeres ist euch nicht eingefallen?“ ein anderer auf Facebook. „Ihr reproduziert Stereotype in der Qualität, wie es sonst Rechtsextreme tun!“ „Shame on you!“ „Hoffentlich begreift die Zeichnerin in ein paar Jahren, was sie da getan hat und das eine Entschuldigung kein Zeichen von Schwäche ist!“ „Sie setzen die Kölner Verbrechen systematisch mit allen Muslimen gleich!“ „Hallo Falter, Fuck you!“

Einer hielt es für passend, das politische Problem psychologisch anzugehen und unterstellte Bianca via E-Mail, dass sich durch ihre Reisen „eben Enttäuschungen und möglicherweise auch Kränkungen bei dir breitgemacht haben, die dann tief in deiner Seele eine Aggression und Hass gegen Fremde ausgelöst haben.“

Bianca Tschaikner war zunächst überrascht, dann war sie verärgert. „Die linken Feministinnen aus dem akademischen Umfeld, die waren am schlimmsten“, sagt sie. Frauen, die den Anti-Rassismus per se über den Anti-Sexismus stellen. Wie zum Beispiel die Macherinnen des feministischen Szene-Magazins an.schläge, für die Bianca Tschaikner seit sechs Jahren „quasi für umsonst“ arbeitet. Beziehungsweise gearbeitet hat. Im Februar erreichte sie per E-Mail eine Stellungnahme der Redaktion, warum sie einen Artikel über sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum für die kommende Ausgabe nicht wie abgesprochen illustrieren darf: „Wir finden das Falter-Cover rassistisch.“ Denn: „Natürlich ist es im Sinn der feministischen Sache, sich gegen ­sexualisierte Gewalt auszusprechen, allerdings nicht, wenn dabei rassistische Stereotype ­bedient werden und das Rechten in die Hände spielt.“ Bianca Tschaikners Illustration, so sieht es die an.schläge-Redaktion, zeige den „bösen schwarzen Mann, der zum „Tier“ gemacht werde und seine „Triebe nicht unter Kontrolle hat“. Tschaikner ist sehr enttäuscht. „Ich hätte nie gedacht, dass sich ­Feministinnen schützend vor die Täter stellen würden“, sagt sie. 

Das alles war
zu viel für die politisch Korrekten in Österreich

Doch es blieb nicht nur bei der Absage der an.schläge. Eine Falter-Leserin klagte über Tschaikners Titelillustration beim Österreichischen Presserat. Der leitete prompt ein Verfahren ein. „Die Leserin kritisiert, dass die Männer als ‚spezifisch nordafrikanisch porträtiert‘ würden. Alles Fremde würde dabei degradiert, Sexismus würde ausschließlich als muslimisches und fremdes Problem gesehen. Sexuelle Gewalt würde erst thematisiert, wenn die Täter ‚die vermeintlich Anderen‘ seien. Die Bildsprache sei ‚voll von rassistischen und stigamtisierenden Klischees‘ und stelle Gruppen, die ‚muslimisch, arabisch, schwarz oder nordafrikanisch‘ seien unter Generalverdacht“, zitiert der Presserat die Klagen. 

Bianca Tschaikner bleibt dennoch gelassen:  „Ich werde nicht aus Angst davor, dass mich jemand als Rassistin beschimpft, die Tatsachen verschweigen!“, sagt sie. Gerade ist ihr neues Buch erschienen: „Savari – an illustrated journey through Iran & India“. Mit Skizzen, die sie auf ihren Reisen gemacht hat. „Never dream with your headscarf on“ (Träume nie, wenn du deinen Schleier trägst) steht zum Beispiel neben dem Porträt einer schlafenden Frau mit Kopftuch, der verworrene Äste aus dem Kopf wachsen. 

Falter-Chefredakteur Florian Klenk steht hinter seiner langjährigen Mitarbeiterin. Eine Ausgabe später druckt der Falter Tschaikners Stellungnahme zu den absurden Rassismus-Vorwürfen.     

Alexandra Eul

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Alice Schwarzer schreibt

Silvester: die Hintergründe

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Jüngst war ich in Algerien. Um Freunde zu besuchen. Aber auch, um zu erfahren, wie man das Flüchtlingsdrama und die Silvesternacht eigentlich von Algerien aus sieht. Denn die Horrornacht von Köln wird im Ausland bis heute leidenschaftlich diskutiert: als „Kulturschock“, eine Wende, nach der nichts mehr ist wie vorher. Und in der Tat, auch in Algerien sind die Menschen fassungslos, mehr noch: Es ist ihnen peinlich. Sie schämen sich für ihre Landsleute.

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Mounia: "Es ist beeindruckend, wie großzügig Merkel ist - aber ist sie nicht etwas naiv?"

Am Samstagvormittag hatten Kollegen für mich eine Führung in der Kasbah organisiert, der Altstadt von Algier. Die wurde seit dem 16. Jahrhundert von den vor der spanischen Inquisition geflüchteten „Ungläubigen“ und Juden bevölkert. Ihre festungsartigen Häuser, verwinkelten Gassen und Treppen spiegeln die Geschichte des Landes.

Im algerischen Befreiungskampf gegen die französischen Kolonialherren versteckten sich hier in den 1950er Jahren die Resistance-Kämpfer und flüchteten von Dach zu Dach; in den so genannten „Schwarzen Jahren“ in den 1990ern, in denen das von Islamisten angezettelte Massaker 200 000 Menschen das Leben kostete, bildeten Kasbah-Bewohner eine eigene Bürgerwehr und holten nachts die marodierenden und mordenden Fundamentalisten aus den Betten.

An diesem friedlichen Samstagmorgen im April 2016 schien die Sonne, der Himmel über „La Blanche“ war strahlend blau, das Brot duftete, und nur die wenigen Bärtigen, die in langen Fundi-Gewändern durch die Gassen huschten, sahen mich finster an. Alle anderen freuten sich über den Besuch. Denn in das so schöne Algerien mit seinen Traumstränden und dramatischen Landschaften wagen sich heute kaum noch Touristen.

Mounia, meine Führerin, erwartete mich oben auf dem Hügel, neben einem der zerfallenen Paläste mit ihren Harems (in denen die Herrscher sich nicht etwa ein paar Dutzend, sondern jeweils ein paar hundert Frauen hielten). Mounia, arbeitslose Akademikerin, Mitte 40 und Mutter einer inzwischen erwachsenen Tochter, in Hosen, einem leichten Mantel und mit Kopftuch (die Tochter ist unverschleiert), hatte einen sehr selbstbewussten Auftritt. Ihre ersten Worte nach der Begrüßung der Deutschen waren: „Ich bewundere Merkel! Was für eine fantastische Frau! Großartig, wie selbstbewusst sie zwischen den anderen Staatschefs auftritt! Und wie sie angezogen ist! Toll! Was für ein Vorbild für uns Frauen!“

Die Täter der Silvesternacht waren nicht
“die Muslime“ von nebenan.

Ich nahm die Komplimente stellvertretend und dankend entgegen. Und dann ging es los, durch die Gassen und auf die Dächer (auf denen sich früher traditionell das Leben der ans Haus gefesselten Frauen abspielte). Irgendwann kamen wir auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu sprechen. Da zögerte Mounia leicht, und dann sagte sie: „Ich finde es beeindruckend, wie großzügig sie ist – aber ist sie nicht ein bisschen naiv? All diese Flüchtlinge, das könnt ihr doch gar nicht verkraften. Und wer weiß, wer da alles nach Deutschland kommt.“

Ja, wer weiß. Ein bisschen wissen wir es inzwischen. Es kommen hunderttausende Frauen, Männer und Kinder auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Aber es kommen auch andere. Die zum Beispiel, die sich in der Silvesternacht allein in Köln auf mindestens 627 Frauen gestürzt haben (so viele Anzeigen sind inzwischen eingegangen). Die heute 130 Beschuldigten sind alle Ausländer (plus drei Männer deutscher Nationalität): 42 sind Marokkaner, 39 Algerier und neun Syrer. Und ausnahmslos alle sind entweder Asylsuchende oder Illegale.

Das hat auch mich überrascht und mir keine Ruhe gelassen. Ich habe angefangen zu recherchieren, weit über die Berichterstattung in EMMA hinaus. Ich habe mit Frauen gesprochen, die heute noch unter Schock stehen, wenn sie darüber reden – darunter eine Familienmutter, die mit ihrem 14-jährigen Sohn und ihrer 15-jährigen Tochter fast eine halbe Stunde lang in dem Inferno der Bahnhofshalle steckte. Ich habe die Erkenntnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft Schritt für Schritt verfolgt. Und ich habe mich entschlossen, ein Buch über diese Nacht zu machen, über die Hintergründe und die Folgen. „DER SCHOCK“ ist gerade im Druck und wird am 12. Mai erscheinen.

Welche Schlüsse müssen wir daraus für die Zukunft ziehen?

Für dieses Buch habe ich mehrere arabische und türkische KollegInnen um Mitarbeit gebeten, sowie eine Islamwissenschaftlerin, die das doppelzüngige, rückwärts gewandte Agieren des „Zentralrates der Muslime“ analysiert – der ist skandalöserweise bis heute der Hauptgesprächspartner für Medien wie Politik. Und selbstverständlich sind auch zwei Algerier als AutorInnen im SCHOCK vertreten.

Nein, die Täter der Silvesternacht waren nicht „die Araber“ oder “die Muslime“ von nebenan. Es war die Sorte Mann, für die die Scharia über dem Gesetz steht und die Frau unter dem Mann. Und sie hatten sich verabredet. Das sagt inzwischen auch der (neue) Kölner Polizeipräsident. Im SCHOCK geht es um die wahren Gründe, die zu dieser Nacht geführt haben – und um die Schlüsse, die wir daraus für die Zukunft ziehen müssen. Es ist hoffentlich ein Buch geworden, das auch die Billigung von Mounia in Algier finden würde.

Alice Schwarzer

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Alice Schwarzer (Hg).: „DER SCHOCK – die Silvesternacht von Köln“ (KiWi, 7.99 €). Im EMMA-Shop

 

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