Schamlippen: Kein Grund zur Scham

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Internationale medizinische Fachjournale veröffentlichten in diesem Jahr Warnungen vor der Zunahme kosmetischer Operationen an den Genitalien der Frau. Bei den schönheitschirurgischen Eingriffen haben Genitalkorrekturen eine der höchsten Wachstumstendenzen.

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Dabei geht es zum einen darum, den Schamhügel etwa über Verkleinerungen der kleinen Schamlippen rein äußerlich so zu verändern, dass er dem von einschlägigen pornografischen Zeitschriften und Filmen entworfenen Idealbild entspricht. Zum zweiten werden unter dem Begriff „Designer-Vagina“ oder „Scheidenverjüngung“ Eingriffe verstanden, die eine Verengung der Scheide anstreben, um eine zum Beispiel durch Geburten als zu weit empfundene Vagina zu straffen und so beim Koitus dem Mann mehr Lust zu verschaffen. Drittens wird angeboten, mit unterschiedlichen Verfahren und Operationen erogene Zonen wie das Klitorishäubchen zu verkürzen, angeblich um die sexuelle Empfindsamkeit der Frau zu stärken.

Diese Operation wurde übrigens schon vor rund hundert Jahren praktiziert. Damals sollte sie dazu dienen, die Neigung der Frauen zur Masturbation einzudämmen und ihr Sexualempfinden zu „normalisieren“. Die Frau sollte sich einzig durch den vaginalen Sexualverkehr mit ihrem Ehemann stimuliert fühlen.

Auch auf Internetseiten deutscher Ärzte wird in verharmlosender Weise für Intimoperationen geworben, ja, sie werden als besonders emanzipiert dargestellt. „In jüngster Zeit haben Frauen zunehmend den Mut zur Korrektur störender Veränderungen im Genitalbereich gefunden, so wie Männer das schon seit jeher tun“, heißt es da. „Auch sind Behandlungen zur Steigerung der Empfindsamkeit lange kein Tabu mehr, so wie auch Viagra für den Mann schon lange gesellschaftsfähig ist. Also keine falsche Scham … Informieren Sie sich!“

Einstimmig warnen die internationalen Fachblätter vor den Risiken dieser Eingriffe. Sie seien nicht einschätzbar, da keine qualitätssichernden Operationsstandards existieren, die, wie bei anderen Operationen, Kriterien festlegen. Außerdem finden keine statistischen Erhebungen der Nachuntersuchungen statt, wir wissen also nichts über die Folgen.

In den Schleimhäuten im Genitalbereich enden so viele sensible Nervenenden wie in kaum einem anderen Körperbereich. Ob und in welchem Ausmaß Schnitte oder Narben die Empfindungsfähigkeit beeinflussen können, ist bis heute so gut wie nicht untersucht. Hinzu kommen Wundheilungsstörungen und Entzündungen, Narbenbildung und Sensibilitätsstörungen bis hin zur Dyspareunie (Schmerzen und Missempfindungen beim Sexualverkehr).

Die ARD-Hörfunkkorrespondentin Martina Buttler berichtete, dass manche amerikanischen Ehefrauen die Hymenalplastik auch als besonderes Geschenk für ihren Ehemann machen lassen. „Mein Mann hatte vorher nie Sex mit einer Jungfrau und das wollte ich ihn erleben lassen. Außerdem war mein erstes Mal nicht schön. Deshalb wollte ich diese Erfahrung noch mal mit meinem Mann teilen“, plaudert die 25-jährige Jari, eine der Interviewten.

Die meisten Kundinnen für diesen Eingriff, der in den New Yorker Schönheitssalons zwischen Permanent-Make-Up und Lippenaufspritzen von Ärzten durchgeführt wird, sind allerdings Einwanderinnen aus Zentral- und Südamerika, sowie Frauen aus dem mittleren Osten. In Deutschland sind es zu 90 Prozent türkische junge Frauen, die sich zu einem solchen Eingriff genötigt fühlen. In den USA bescheinigen Ärzte dieser Operation das größte Wachstum im Bereich der plastischen Chirurgie.

Die Ursachen für eine generelle Zunahme genitalkosmetischer Operationen sind vielfältig. Festzustehen scheint aber, dass das Phänomen der Intimrasur zum Dogma erhoben wurde, dem sich die Mehrheit, insbesondere der jungen Frauen und Männer, unterwirft. „Erstmals entwickelt sich eine allgemeingültige, für weite Schichten der Bevölkerung verbindliche Intimästethik“, stellt der Leipziger Medizinsoziologe Elmar Brähler fest. Ist die Scham erst freigelegt, ist die kosmetische Chirugie nicht mehr so abwegig.

Die Pornografisierung der Gesellschaft ist ein Grund, dass der Intimbereich zum Thema in der Mode geworden ist. Das Schönheitsideal im Intimbereich folgt der allgemeinen Norm der Jugendlichkeit. Gefragt ist ein Genital, das wie das eines jungen Mädchens aussieht, wo die äußeren Schamlippen die inneren verdecken, und die Schamlippen in engen Bikinihöschen und Tangas nicht auftragen, berichtet das Deutsche Ärzteblatt.

Die in Deutschland besonders beliebte Schamlippenverkleinerung beruht auch auf gezielten medizinischen Falschinformationen. „Um eine ideale Schutzfunktion gewährleisten zu können, müssen die äußeren Schamlippen die inneren komplett bedecken“, heißt es (Schoenheitsportal.net). In Wirklichkeit gibt es eine große Vielfalt beim weiblichen Genital. Konkrete Zahlen sind bislang selten und episodisch. Das deutsche Ärzteblatt zitierte unlängst eine Studie, die 1.000 Schamlippenstraffungen im Jahr angab – Dunkelziffer unbekannt. Oft verbergen sich hinter dem Wunsch nach solchen Eingriffen Depressionen, narzisstische Störungen, Sexualstörungen oder Reifungskonflikte.

In den USA geht man von einer Steigerung um jährlich 30 Prozent Umsatz bei den Genital-OPs aus. Schamlippenverkleinerungen kosten zwischen 1.700 und 3.000 Euro. Höchste Zeit, der gewinnbringenden, medial geschürten Unzufriedenheit von Frauen und Mädchen mit ihren Genitalien Informationen und Bewusstseinsbildung über das vielfältige Erscheinumgsbild der weiblichen Genitalien entgegenzusetzen.

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