Sie. Selbst. Nackt.

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Paula Modersohn-Becker war die Erste, die sich in ihrem „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ nackt malte. Mit diesen und weiteren Selbstakten legte die so früh im Kindbett gestorbene Malerin den Grundstein für die Aktmalerei der Avantgarde des aufbrechenden 20. Jahrhunderts. Die großartige Schau in Bremen der Selbstakte von Künstlerinnen spannt sich über ein ganzes Jahrhundert, bis hin zu dem Selbstakt „Zweifel“ aus dem Jahr 2005 der inzwischen 94-jährigen Maria Lassnig. Die Österreicherin hat lebenslang ihren eigenen Körper zum Sujet gemacht, wird aber im hohen Alter immer freier, immer verzweifelter, immer sarkastischer. Der Zwang, schön zu sein, entfällt für die alternde Frau. Das ist befreiend.

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Nach Modersohn-Becker ist das Selbstporträt „Nu à la palette“ (Nackt vor der Staffelei) der Französin Suzanne Valadon einer der berühmtesten Akte, in dem die Künstlerinnen selber den Blick auf sich richten. Sie tun das mal realistisch, mal abstrakt wie die Bildhauerin und Malerin Louise Bourgeois in ihrem „Torso, Self Portrait“ von 1964 oder absurd wie Mary Beth Edelson in „Kali Returns the Gaze“ (in Anspielung auf die indische Göttin).

Und der Katalog begleitet diese „weltweit erste Ausstellung weiblicher Selbstakte“ fundiert. Die Kunsthistorikerin Renate Berger erinnert an die berühmte Aktion der Guerrilla-Girls 1989 in New York, die mit ihrer Aktion „Müssen Frauen nackt sein, um ins Met(ropolitan) Museum zu kommen?“ gegen den Misstand protestierten, dass 95 Prozent der Exponate in diesem Kunsttempel von Männern sind – und nur 5 Prozent von Frauen.

Es sei auch daran erinnert, dass die Künstlerinnen von weit her kommen. In Deutschland durften sie überhaupt erst nach dem Ersten Weltkrieg auf die Kunstakademie. Die waren bis dahin frauenfrei, und besonders Entschlossene mussten sich für viel Geld auf Privatschulen unterrichten lassen. Eines der zahlreichen absurden Argumente für den Ausschluss der Frauen war die Aktmalerei: Der Anblick nackter Frauen oder Männer sei dem zarten Geschlecht nicht zuzumuten. Sie hätten vielleicht auch die Herren Kunstprofessoren gestört beim Zugriff auf die Modelle.

Mit Aufbruch der Neuen Frauenbewegung erhielten die Künstlerinnen ab den 1970er Jahren einen Aufschwung: vergangene wurden wiederentdeckt, neuen wurde der Weg geebnet. Welche Potenziale sich dank dieser Freiheiten entfalten konnten, ist in Bremen eindrücklich zu sehen.

Sie. Selbst. Nackt., bis 2. Februar, Museen Böttcherstraße, Katalog im Verlag Hatje Cantz (39.80 €)

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