Silke Tödter: Die Frontfrau

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Es kommt selten vor, dass eine Frauenbeauftragte in den Hauptnachrichten auftaucht. Frauenbeauftragte, das sind qua Klischee diese verspannten Tanten in gewalkten Filzjacken, die ihre Vorgesetzten mit Nebensächlichkeiten wie der Verwendung gegenderter Sprache nerven, während die Chefs gerade richtige ­Politik machen und die Welt verändern. Warum sollte also das ­heute journal zu irgendeinem Thema mit Nachrichtenwert das State­ment einer Frauenbeauftragten einholen? Weil Silke Tödter, Frauenbeauftragte des Landkreises Peine, richtig Politik gemacht und damit die Welt verändert hat, zumindest die niedersächsische.

Tödter hat, gemeinsam mit der „Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Niedersachsen“, dafür gesorgt, dass die rot-grüne Landesregierung bis heute keinen Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden DITIB und Schura abgeschlossen hat. Deshalb durfte sie im heute journal erklären, warum sie einen Staatsvertrag ausgerechnet mit diesen beiden rückschrittlichen Muslim-­Verbänden für keine gute Idee hält.

Die Landesregierung hatte noch im Jahr 2015 geglaubt, das Thema Staatsvertrag möglichst geräuschlos und ohne öffentliche Debatte durchwinken zu können. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und seine Integrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf (SPD) wollten den beiden scharia-gläubigen Verbänden einen Sitz im Rundfunk- und im Landesschulrat einräumen. Auch an den Schulen sollte der Einfluss von DITIB und Schura wachsen: Islamischer Religionsunterricht sollte „nach den Grundsätzen der islamischen Religionsgemeinschaften“ erteilt werden, Lehrerinnen das Kopftuch tragen dürfen. Außerdem sollten die Schulen „Schülerinnen und Schülern, die das Bedürfnis haben, während des Schul­besuchs zu beten“, Gebetsräume zur Verfügung stellen.

Der Vertrag stand, die Sache schien in trockenen Tüchern. Aber die Regierung hatte die Rechnung ohne die Frauenbeauftragten gemacht, die eigentlich „Gleichstellungsbeauftragte“ heißen. Sie schickten eine Stellungnahme an den Ministerpräsidenten. Und plötzlich titelten die Zeitungen: „Frauen kämpfen gegen Vertrag mit Muslimen“. Mit Interviews und Statements, immer in erster Reihe: Silke Tödter, ihres Zeichens Vorstandsfrau der Landesarbeitsgemeinschaft. Tödter, die ebenso schnell redet wie sie denkt, diktierte den Reportern Sätze in den Block wie: „Wenn wir erstmal Gebetsräume an den Schulen haben, wächst der Druck auf die muslimischen Mädchen noch weiter. Wir haben doch jetzt schon eine kleine Sittenpolizei: Die muslimischen Jungen erklären den Mädchen, wie sie sich zu verhalten haben.“

Es gehören Mut und eine gewisse Unangepasstheit dazu, gegenzuhalten, in Zeiten, wo jede noch so fundierte Kritik an reaktionären Strömungen des Islam postwendend den Stempel „islamophob“ oder „rassistisch“ aufgedrückt bekommt. Woher also kommt die Furchtlosigkeit der Silke Tödter? So furchtlos sei sie gar nicht, sagt sie. „Aber ich ertrage einfach keine Ungerechtigkeit.“ Sie hat es schon als Zehnjährige im Hannoveraner Elternhaus ungerecht gefunden, dass sie auf die Realschule geschickt wurde und ihr kleiner Bruder ganz selbstverständlich aufs Gymnasium. In ihrem Maschinengewehr-Duktus erzählt sie weiter. Wie demütigend sie es fand, dass ihre Mutter, als sie wegen der Kinder für einige Jahre zu Hause blieb, „meinen Vater fragen musste, ob sie sich Strümpfe kaufen durfte“. Wie sie sich dann trotzdem das Studium erkämpfte, Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Psychologie, Soziologie und Evange­lische Theologie. Wie sie dort Hedwig Dohm entdeckte, bis heute ihr „großes Vorbild“. „Die war ja sowas von klug und frech und hat sich mit den Mächtigen angelegt.“ Das gefiel Silke Tödter.

Was ihr gar nicht gefiel, waren die sexistischen Sprüche und Grapschereien, die sie bei ihren Jobs auf Messen und in der Gastronomie erlebte. „Da habe ich viel über die Männerwelt gelernt, gruselig war das“, sagt Tödter rückblickend. Einmal, als das Treiben der Herren an ihrem Messestand gar zu heftig wurde, nahm sie kurzerhand das ­Mikro und erklärte laut und deutlich: „Wir machen hier einen guten Job und ich erwarte respektvollen Umgang!“ Später raunte ihr einer der Gerügten zu: „Sie hätte man früher als Hexe verbrannt!“ Diesen Satz, sagt die 55-Jährige, habe sie in ihrem Leben öfter gehört.

Aber Silke Tödter hat Besseres zu tun als sich beliebt zu machen. Zum Beispiel hat sie den Kreistag dazu gebracht, einen „Gender-Check“ zu beschließen. In einer Schulung mussten die Mitglieder der Fachausschüsse drei Beschlussvorlagen daraufhin über­prüfen, wie sie sich auf Frauen und Männer auswirken und entsprechend umschreiben. „In der Kommunalpolitik sitzen überwiegend Männer. Viele von denen verabscheuen das Thema.“

Auch mit ihrer Fachtagung „Stopp Sexkauf“ im Herbst 2014 machte sich Tödter nicht nur FreundInnen, denn sehr zu ihrem Leidwesen „gibt es auch unter den Gleichstellungsbeauftragten keine einheitliche Haltung zum Thema Prostitution“. Stichwort: Freiwilligkeit. „Die beiden Themen Prostitution und Islamismus ­haben viel miteinander zu tun“, sagt Tödter. „In beiden Fällen geht es um falsch verstandene Liberalität.“ Deshalb hat sie nach ihrer Anti-Prostitutions-Offensive in diesem Jahr eine Veranstaltungs­reihe über das Leben muslimischer Frauen und Mädchen gemacht. Sie zeigte beim alljährlichen Frauenempfang den Film „Der Jungfrauenwahn“ der Deutsch-Türkin Güner Balci. Im Juni kommt Emel Zeynelabidin mit ihrem Film „Hüllen“ nach Peine. Sie ist die Tochter des Mitbegründers von Milli Görüs und hat nach vielen Jahren ihr Kopftuch abgelegt.

Mit ihrem Engagement wächst allerdings auch ein gewisses ­Unbehagen. „Ich habe das Gefühl: Es ist ein Klima entstanden, in dem man aufpassen muss, was man sagt.“ Aber Silke Tödter hat nicht vor, sich einschüchtern zu lassen. „Sie wissen, dass sie mit mir zu rechnen haben“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Das stimmt. Der Staatsvertrag mit DITIB und Schura liegt auf Eis.

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