Wir sammeln fürs Frauenhaus

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Ich weiß noch genau, in welchem gesellschaftspolitischen Klima die ersten ­autonomen Frauenhäuser entstanden. Begeistert von der Frauenbewegung war ich in den 70er Jahren lange Zeit engagiert. Wir demonstrierten gemeinsam, verschlangen die neuen Theorien, druckten ­Flug­blätter und Broschüren, forderten unsere Freunde und Kollegen heraus, organisierten Frauenzentren, feierten uns selbst in der Kunst, Musik, auf Festen und Kongressen.

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Eine Aktion, auf die ich heute noch stolz bin, war das Geld, das wir für autonome Frauenhäuser sammelten. Konkret: Ich spielte in einer feministischen Kabarettgruppe in Aachen und unsere nicht zu knappen Einnahmen gingen stets an Frauenhäuser. Eine Selbstverständlichkeit, konkret gewordenes Engagement – von Frauen für Frauen.

Noch heute bin ich erstaunt und ­gerührt über die unermüdliche, kraftvolle, liebevolle Arbeit von Frauen in Frauenhäusern. Aber im Innersten wünsche ich mir, dass ihre Arbeit endlich überflüssig wäre. Dass die Gewaltbereitschaft bei einem Konflikt zwischen Mann und Frau verschwindet. Dass Angst auf der einen und Machtdemonstrationen auf der anderen Seite nicht mehr Liebe und Respekt, Selbstständigkeit und Freiheit in Beziehungen kaputt machen. Dass die Frauenhäuser leer stehen.

Ab 1975 entstanden in Groß- und Universitätsstädten mit starken Frauenbewegungen erste Initiativen. Die Erkenntnis: Gewalt gegen Frauen war nicht ein privates Problem, etwas, das sich am Rand der Gesellschaft, der Aufmerksamkeit abspielte. Sondern sie spiegelte Machtverhältnisse wieder. Die Männer als Täter, die Frauen als Opfer – festgeschriebene Rollen, unhinterfragt. Nach außen wurde der schöne Schein ­gewahrt. Nachbarn und Verwandte sollen nichts mitbekommen, die Opfer schämten sich.

Wenn der Haussegen schief hängt, wenn Vati die Möbel rückt – so wurde die Gewalt bagatellisiert in meiner ­Jugend. Der Mann wird schon wissen, warum ihm die Hand ausrutscht.

Das Zuschlagen galt mancherorts sogar als ­irregeleiteter Liebesbeweis. Als Manifestation von tiefem Gefühl – leider, leider etwas zu heftig geraten. Und wenn eine dann blaue Flecken hatte, sagte sie: Ich bin die Treppe runterge­fallen. „Meine Treppe heißt Walter“ – so die bitteren Überschriften eines ersten ­Artikels über Männergewalt.

Frauen sprachen es endlich laut aus: Die eigenen vier Wände sind der gefährlichste Ort für Frauen. Von Ärzten kamen oft dumme Sprü­che wie: „Es wohl zu heftig getrieben …“ Von der Polizei ein lakonisches „In Ehestreitigkeiten mischen wir uns nicht ein.“ Und es gab damals nur die Möglichkeit, Privatklage zu führen, wofür man einen Rechtsanwalt brauchte. Denn Gewalt gegen Frauen, die kümmerte den Rechtsstaat nicht. Das war Privatsache.

Waren Kinder da, halfen die Jugendämter, sie in Heimen unterzubringen, für die Frauen aber gab es nichts. Wir redeten und lasen über die Fälle und so manche Feministin gab zögernd zu, selbst auch Opfer von männlicher Gewalt zu sein.

Die Gewalt gegen Frauen war von ­Anfang an eines der zentralen Themen des Feminismus. Neben ihren Analysen verpflichteten sich die Feministinnen darauf, politische Strategien zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen zu entwickeln und ­Betroffene zu unterstützen. Wir richteten Notrufe für vergewaltigte Frauen ein, ­besuchten Selbstverteidigungskurse für Frauen und fanden gemeinsam die ersten Wohnungen, um geschlagenen Frauen eine Zufluchtsstätte zu bieten.

Schutzsuchende sollten durch Empowerment dazu befähigt werden, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Wir hofften, der individuelle Befreiungsprozess und die Erfahrung von Solidarität würden die Bewohnerinnen in der Weise politisieren, dass sie sich als Teil der Frauen­bewegung begreifen.

Die erste Generation der Frauenhausbewegung war innovativ und wollte identitätsstiftend sein. Das gab Kraft. Das brachte aber auch Druck hervor, den nicht alle mitmachen wollten oder konnten. Und: Es erschwerte die Anerkennung bei den Gemeinden und bei den ­staat­lichen Institutionen, denn die Verbindung der Frauenhäuser zur Frauenbewegung war vielen doch sehr verdächtig.

Ich erinnere mich, wie Freundinnen unendlich viele Stunden nachts im Frauenhaus Wache schieben mussten, weil immer wieder verlassene Ehemänner oder Freunde ihren Frauen nachstellten, sie ­abfingen, sie bedrohten. Gratis-Arbeit für die Gemeinschaft. Die Forderung nach „Staatsknete“ war folgerichtig, gleichzeitig ging frau der Autonomie verlustig.

Im Laufe der Jahre institutionalisierte sich die Frauenhausbewegung. Die Aktivistinnen verrichteten ja eine gesellschaftlich notwendige Arbeit, das sollte vom Staat, von den Menschen anerkannt werden. Auch durch eine gesicherte Finanzierung. Die Konzepte differenzierten sich ebenso wie die Trägervereine. Möglichst autonom und gleichzeitig möglichst professionell – eine anstrengende, aber erfolgreiche Gratwanderung: Durch den Diskurs mit dem Staat und seinen Institutionen – wie den Sozialämtern oder der Polizei – gelang es immer besser, aufzuzeigen, wie wichtig Frauenhäuser für eine Krisenintervention und Beratung sind, wie sehr sie die Gesellschaft aufklären und sensibilisieren.

Diesen Doppelcharakter haben die Frauenhäuser bis heute: hervorragende Sozialarbeit zu leisten und die sozialen Verhältnisse unter Gender-Gesichtspunkten zu durchleuchten. Die eine oder andere Mitarbeiterin will außerdem das Ganze nach wie vor zum Besseren, Gewaltfreien, Emanzipierten verändern.

Seit 2002 räumt das Gewaltschutzgesetz Opfern Häuslicher Gewalt, die nach wie vor zu 95 Prozent Frauen und Kinder sind, mehr Rechte ein. Der Schläger geht, die Geschlagene bleibt. Wer prügelt, bekommt Hausverbot, mehrere Wochen, je nach Bundesland. Ein Paradigmenwechsel, auf den die Frauenhausbewegung stolz sein kann. Genauso wie auf die Anerkennung frauenspezifischer Flucht- und Asylgründe. Hilfreich ist dabei auch das Anti-Stalking-Gesetz von 2007 und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006.

Heutzutage werden knapp zwei von drei Zufluchtsuchenden durch einen professionellen Dienst (Behörden, Ärzte, ­Beratungsdienste) oder von der Polizei in ein Frauenhaus vermittelt. Auch dies ein Indiz, wie viel Respekt und Anerkennung die Frauenhausbewegung gesamtgesellschaftlich genießt. 62 Prozent der Frauen bleiben maximal einen Monat im Frauenhaus, was oft zu kurz ist, um ihnen ­wirk­liche Perspektiven aufzuzeigen.

Etwa ein Drittel kehrt zu dem gewalttätigen Freund oder Ehemann zurück. Das ist für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar. Fakt ist: Fast jede Frau aus einer gewalt­tätigen Beziehung ist materiell abhängig geworden, das gehört zur Gewaltstruktur dazu. Die wenigsten haben ein eigenes Einkommen, sie haben verlernt, selbst zu entscheiden. Und konnten sie früher ­einfach Sozialhilfe beantragen, wenn sie im Frauenhaus landeten, sind jetzt mit Hartz IV die Sozialtransfers für Zufluchtsuchende kompliziert geworden. Die Opfer sind wieder stärker verunsichert.

Ob Opfer von Gewalt überhaupt vom Frauenhaus erfahren, und ob sie es als eine Option für sich erkennen, das hängt stark davon ab, wie gut über die Arbeit informiert wird und welches Bild in der Öffentlichkeit darüber vorherrscht. Ob über die allgegenwärtige Gewalt in den Familien ­gesprochen wird – oder ob sie verschwiegen wird. Wir sollten nicht vergessen: Trotz gewachsener Sensibilisierung für die Problematik ist der Prozentsatz der Opfer, der erreicht wird, noch immer gering. Ich bin nach wie vor erschüttert, wie wenig ­geprügelte Frauen über ihre Rechte ­Bescheid wissen, erst recht Migrantinnen. Ganz klar: Frauenrechte müssten Teil der Integrationskurse werden.

Und dann ist da noch die brennende Frage der Nachbetreuung. Wie wird sie nicht nur garantiert, sondern ausgebaut? Frauenhäuser dürfen nicht zu Notaufnahmen verkümmern.

Ein wirklich gut ausgestattetes Frauenhaus existiert bis heute nicht in Deutschland. Das ist eines Sozialstaates nicht ­würdig. Und ich wage zu bezweifeln, dass die Gelder für Institutionen wie Frauenhäuser oder Beratungsstellen in den nächsten Jahren bereitwilliger fließen. Und was wirklich skandalös ist: Es gibt immer noch keine bundeseinheitliche ­Finanzierung, die Förderkriterien variieren von Bundesland zu Bundesland.

Dass ich nach 30 Jahren über die Notwendigkeit von Frauenhäusern noch einmal nachdenken muss, dass wir uns erinnern müssen, wie viel Gewalt gegen Frauen noch immer existiert – das ist bitter. Der Kampf geht weiter, eigentlich möchte ich diese alte Parole gar nicht schreiben ­müssen. Aber Frauenhausbetreiberinnen sind eben auch Kämpferinnen, praktisch und politisch, gegen die Hölle, die Gewalttäter im Privatesten, im Hort der Geborgenheit anrichten. Vati rückt wieder die Möbel? Ja, es passiert jeden Tag.

Die Autorin, in den 1970er Jahren aktive Feministin, leitet heute das TV-Magazin Monitor.

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Dossier Männergewalt (1/10)
 

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