Stefanie Sargnagel, Burschin
Da marschieren sie, in Pracht und Würden in ihren schwarzen Uniformen mit den roten Deckeln auf dem Kopf. Riesige Fahnen schwenken die Burschen durch die Wiener Prater Hauptallee. Mit den Fahnen kommen die Aufschrift „Burschenschaft Hysteria“ und Zähne fletschenden Hyänen näher. Moment mal – Burschen? Getragen werden die Flaggen nicht von frisch geschorenen Jungmannen mit Schmiss auf der Backe, sondern von listigen jungen Frauen. Und die erklären feierlich: „Nach langem, schweren Leiden ist es an der Zeit, die entseelte Hülle des verblichenen Patriarchats feierlich zu Grabe zu tragen.“
Männer, posteten sie am Tag danach, durften freilich nur verschleiert und in Begleitung einer Frau am Trauerzug teilnehmen – „aus Gründen der Pietät und zu ihrem Schutz“. Mitnichten sei Hysteria jedoch eine „feministisch-satirische Burschenschaft“, wie der Wiener Falter behauptete. Postwendend distanzierten sich die Burschinnen via Facebook von der „heimtückischen Behauptung“ dieses „Schmierblatts“.
Männer sind willkommen - verschleiert,
in Begleitung
einer Frau
„Wir sind Österreichs älteste Burschenschaft“, dozierten sie streng, „gegründet 1810 von Kaiserin Leopoldine als Geheimloge, und haben mit Satire nichts am Hut. Unsere Anliegen und Werte sind streng konservativ und traditionell.“ Als da wären: „Unterdrückung Andersdenkender“ und „aktiver Vaterlandsverrat“.
Gründungsmutter der Hysteria, dieser Persiflage der in Österreich einflussreichen schlagenden Burschenschaften, ist die Wiener Autorin und Facebook-Königin Stefanie Sargnagel, mit bürgerlichem Namen Sprengnagel und im Burschi-Sprech „unser Senior Sprenghilde“. Sowohl die Künstlerin – Erkennungszeichen: rote Baskenmütze – als auch ihre Hysteria schaffen es immer wieder, die politische Debatte aufzumischen. Zu den Ingredienzien des Erfolgs gehört, neben ihrem Humor, dass beide die Dinge gern im Uneindeutigen halten, sich nicht fassen lassen.
Sargnagels Aufstieg zum Liebling des Feuilletons nahm um 2012 seinen Anfang mit beharrlicher Postingtätigkeit auf Facebook. Da präsentierte sich eine Studentin der Kunstakademie, die ihre Brötchen und zahlreichen Biere im Callcenter verdient, genauer: bei der Rufnummernauskunft. Die absurden Dialoge, die sich da entspinnen, machte sie ebenso zum Thema wie alles, was sie ihrem Körper so zuführt (Bio-Mangold, Bier, Nikotin…) und was aus diesem rauskommt („Gacki“, Furze, Regelblut). Aber in ihren Texten geht es nicht nur um Provokation, sondern auch um Verweigerung – einer 40-Stunden-Woche, der Leistungsgesellschaft, dem Anspruch, man müsse es zu was bringen (wollen). Sie stilisiert sich als faul und lethargisch. „Ich bin die übergewichtige, depressive Version deiner Traumfrau“, heißt es vielversprechend.
Beim Ingeborg-Bachmann-Preis bekam sie den Publikumspreis
Dass die 32-jährige Tochter einer Krankenschwester und eines Installateurs hauptberuflich herumhängt und säuft, stimmt aber spätestens seit ein, zwei Jahren nicht mehr. Ihr Buch „Fitness“ (2015), genau wie das Debut „Binge Living“ (2013) aus Facebook-Postings entstanden, landete in Österreich auf Anhieb in den Top 10 der Jahresbestseller. Sargnagel eilt vom Auftragsschreiben für die Süddeutsche zur Lesereise nach Mazedonien oder zum Stipendium in Klagenfurt. Beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2016 heimste sie gar den Publikumspreis ein.
In Sargnagels Büchern taucht das Emanzipatorische eher en passant auf. Indem sie darauf verzichtet, gefällig zu sein („Mein Freund sagt, wir können uns nicht trennen, weil er meinen Gestank so vermissen würde“). Und dadurch, dass sie Autoritäten und angebliche Wichtigkeiten einfach nicht akzeptiert. Einmal beschimpfte sie beim Oktoberfest der rechtspopulistischen FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache so, dass die Security sie abtransportierte. Auch mit FPÖ-Bundespräsidentschafts-Kandidat Norbert Hofer legte sie sich an. Nachdem dieser eine gesetzlich vorgeschriebene Bedenkfrist für abtreibungswillige Frauen gefordert hatte, postete Sargnagel: „Ich glaub ich setz die Pille ab nur damit ich noch ein paarmal abtreiben kann bevor Hitler Bundespräsident wird.“ Es hagelte Hassmails. „Besser du wärst abgetrieben worden!“ Es komme auch immer: „Du wurdest zu viel gefickt, oder du gehörst mal wieder richtig durchgefickt“, erzählt sie. „Sie können sich nie entscheiden.“
Sie provoziert nicht nur Rechte, sondern auch einige Linke
Nicht nur die Rechten fühlen sich provoziert von dieser Frau, sondern auch manch Etablierter der linken Kulturszene. Nach einem Disput mit dem Autor Thomas Glavinic richtete der ihr auf Facebook aus: „Wieso kann ein sprechender Rollmops meine Seiten verschweinen?“ Sie antwortete: „Fatshaming? Ernsthaft?“ Und geißelte die „Methode, junge Autorinnen mit der Beurteilung ihres Körpers beleidigen zu wollen“.
Fragt man Sargnagel, wie sie zum Feminismus steht, antwortet sie: „Na sicher bin ich Feministin, ich mag nur nicht, wenn das immer so gelabelt wird.“ Und kokettiert: „Jeder Schas, den ich lass’, ist plötzlich ein feministisches Statement.“
Die Statements liefert ohnehin die Hysteria. Eine Botschaft hat die Burschinnenschaft übrigens auch an die „motivierten Männer“, die sich immer wieder einbringen wollen: Der Beitritt von Männern sei selbstverständlich nicht möglich. Unterstützung für ihre Stammtische würden die Burschen aber gern annehmen: „Brötchen, feine Strudel, raffinierte Quiches oder Petit Fours, der männlichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“