Hebammen protestieren
„Das kann sich kaum noch eine freie Hebamme leisten“, sagt die 49-jährige Koblenzerin frustriert. 537 Euro bezahlt die Krankenkasse pro Hausgeburt an die Hebamme. Für eine Klinikgeburt gibt es nur 237 Euro. Das zu versteuernde Durchschnittseinkommen der geburtshilflich tätigen Hebammen liegt bei rund 1 180 Euro monatlich, was einem Stundenlohn von 7,50 Euro entspricht. „Manchmal frage ich mich schon, wie man so doof sein kann, für so wenig Geld zu arbeiten.“
Komplikationen bei der Geburt, in deren Folge Neugeborene schwer geschädigt wurden, hat die erfahrene Hebamme bisher noch nie erlebt. Für den Fall, dass trotzdem etwas passiert, sichert sie sich mit einer Berufshaftpflichtversicherung ab. Die Prämien sind in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Als Baumgartner 1998 anfing, waren es noch 800 Euro pro Jahr, jetzt ist die Prämie mehr als viermal so hoch.
Grund für die Erhöhung ist eine seit dem Jahr 2000 bestehende Regelung, die es den Krankenkassen ermöglicht, den Hebammen „grobe Fehler“ bei der Geburt anzulasten. Es ist die Schadenshöhe der einzelnen Fälle, die den Versicherungen zu schaffen macht. Die Schmerzensgeldsätze sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, bei schweren Behinderungen, zum Beispiel nach einem Sauerstoffmangel während der Geburt, können es mehrere Millionen Euro sein. Rund 30 Schadensfälle im Jahr bezahlen die Versicherungen – auch, weil die Hebammen nicht nachweisen können, dass sie nicht falsch gehandelt haben.
„Die Geburtshilfe lohnt sich für Hebammen nicht mehr, die flächendeckende Versorgung der Gebärenden ist bedroht“, warnt Martina Klenk, die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. Sie fürchtet nicht nur um den Fortbestand ihres Berufsstandes. Sie macht sich auch Sorgen um die gebärenden Frauen: „Das Angebot außerklinischer Geburtshilfe und von Beleggeburten wird reduziert. Dadurch wird das Recht der Frauen auf eine freie Wahl des Geburtsortes ausgehebelt. Es geht hier um Leistungen von Frauen für Frauen. Leider interessiert sich die Männerwelt dafür nicht besonders.“
Einige geburtshilfliche Einrichtungen mussten aufgrund der schlechten finanziellen Situation bereits schließen. Und immer mehr Hebammen geben ihre ursprüngliche Aufgabe, die Geburtshilfe, auf: Von den 17 000 Hebammen ist nur noch knapp jede vierte mit Geburten beschäftigt. Auch die Hebamme Verena Zuszek, 45, aus Köln hat sich nach 16 Jahren zum 1. Juli zurückgezogen. „Jetzt mache ich nur noch die Vor- und Nachsorge nach der Geburt und bin sehr traurig, dass ich keine Rundum-Betreuung mehr leisten kann“, sagt sie.
Doch die meisten Hebammen wollen den Untergang ihres Berufsstandes nicht hinnehmen. Anfang Mai gingen mehrere tausend Hebammen auf die Straße und forderten eine politische Lösung. Und bundesweit wehrten sich die Hebammen mit einer elektronischen Petition gegen die drastische Erhöhung der Berufshaftpflicht.
Sie fordern von der Politik einen steuerfinanzierten Fonds, der die Belastungen durch die Haftpflichtversicherung für die Hebammen abfedert und Geld für Schadensfälle bereitstellt. Bei 50 000 Unterschriften sind die Abgeordneten gezwungen, im Bundestag eine Petition zu diskutieren. Nach zwei Wochen hatten bereits 90 000 Menschen die Hebammen-Petition unterzeichnet. „Das zeigt“, sagt Hebammen-Verbandspräsidentin-Klenk, „dass es nicht nur das Anliegen unseres Berufsstandes ist, sondern auch der Bevölkerung, vor allem der Frauen in diesem Land.“ Vermutlich nach der Sommerpause gibt es ein Hearing im Bundestag, bei dem auch Klenk gehört werden dürfte. Die Hebammen fordern den Staat auf, in eine menschliche, zugewandte und kostengünstige Geburtshilfe zu investieren.
„Wir wollen nicht mehr Geld. Wir wollen nur unseren schönen Beruf weiter ausüben können“, sagt Lisa von Reichle von der Initiative „Hebammen für Deutschland“ aus Bonn. Auch ihre Kollegin Dorothea Baumgartner aus Koblenz pflichtet ihr bei: „Hebamme ist man aus Berufung.“
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