Syrerinnen fangen an zu träumen

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Der brutale Mord erschütterte das kleine Städtchen Mühlacker in Baden-Württemberg: Ein 41-jähriger Syrer hatte seine von ihm geschiedene Frau getötet. Danach veröffentlichte er ein Video auf Facebook, in dem er seine Tat mit noch blutverschmierten Händen erläuterte: „Ich wollte unsere Beziehung verbessern, aber sie hat mich rausgeschmissen. Woraufhin ich sie mit einem Messer erstochen habe (…) Sie hatte einen anderen Mann geheiratet (…) Ich bin nicht kriminell, aber wenn dir jemand dein Leben verbietet, musst du ihn stoppen. Das ist eine Nachricht an alle Frauen, die das mit ihren Männern machen.“

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Innerhalb der syrischen Community in Deutschland wurde die Tat viel diskutiert und auf Facebook tausendfach kommentiert. Erschreckend waren die vielen zustimmenden oder den Täter unterstützenden Bemerkungen wie „Richtig gemacht!“ oder „Nun hast du es ihr gezeigt und deine Ehre wieder!“. Dabei steht auch in Syrien seit 2009 auf den so genannten „Ehrenmord“ eine Haftstrafe von mindestens zwei Jahren.

In diesem Fall hatte sich die Frau bereits vor Jahren auf der Flucht für einen anderen Mann entschieden. Sie war von ihrem ersten Mann rechtmäßig geschieden und lebte seit Jahren mit dem Neuen und ihren Kindern zusammen in Mühlacker.

Zum Glück verlaufen die meisten Scheidungen, die Syrerinnen in Deutschland einreichen, in weniger dramatischen Bahnen. Ganz wie in Arabien: Auch wenn das Thema Scheidung in den arabischen Ländern noch tabuisierter ist als in Europa, lassen sich auch dort zunehmend viele Frauen nicht mehr alles gefallen. Immer mehr Frauen wehren sich im Nachhinein gegen Zwangsverheiratung. In Ägypten enden mittlerweile vier von zehn Ehen innerhalb der ersten fünf Jahre, und im erzkonservativen Saudi-Arabien wird jede dritte Ehe geschieden.

In Syrien wurde im Falle einer Scheidung bisher meistens der Frau die Schuld gegeben. Sie musste in der Regel als Geächtete und ohne ihre Kinder in das Haus ihrer Eltern zurückkehren. Doch in Deutschland ist aus Frauenhäusern, von SozialarbeiterInnen sowie syrischen FrauenrechtlerInnen zu hören: „Immer mehr Syrerinnen trennen sich hier von ihren Männern.“

Das bestätigt auch die syrische Frauenrechtlerin Fatima M. Sie macht in Berlin Workshops mit Syrerinnen. „Das ist doch ganz normal, bei all den Zwangsverheiratungen, die es in unserem Land gab“, findet sie. Erst hier würde den Frauen klar, dass sie als Menschen genauso viel wert sind wie ein Mann. „Die Frauen beginnen, ihr ganzes Leben noch einmal neu zu denken. Für sich zu träumen!“
In allen Heimen stehen Sozialarbeiterinnen bereit, die geschult sind, mit misshandelten Frauen Kontakt aufzunehmen. „Dass körperliche Misshandlung hier ein ‚No-Go‘ ist, müssen wir vielen Frauen oft erst klar machen“, erklärt die Sozialarbeiterin Tina H., die in einem großen Asylbewerberheim für das Rote Kreuz arbeitet.

Auch Anke Kock vom Autonomen Frauenhaus Lübeck, die bereits in mehreren Migrationswellen trennungswillige Frauen beraten hat, weiß: „Frauen, die in Deutschland mit Mann und Kindern in so genannten Erst­einrichtungen sind oder in den Lübecker Randgebieten untergebracht, leben in Wohnverhältnissen, die Gewalt begünstigen.“ Aber die Frauen lehnen sich zunehmend dagegen auf. „Wir hatten zum Beispiel eine Frau bei uns, die vor ihrem zunächst ‚nur‘ gewalttätigen Ehemann floh, der dann aber auch noch unter Terrorverdacht geriet“, berichtet sie. Erst nachdem der Ehemann verhaftet worden war, konnte die Syrerin mit ihren Kindern eine eigene Wohnung beziehen und ihr neues Leben beginnen.

Eine große Sorge der Frauen mit Trennungsabsichten ist auch das laufende Asylverfahren. Sie haben Angst, bei einer Scheidung zurückgeschickt zu werden. „Aber der Moment, in dem sie realisieren, dass wir ihnen helfen können, zusammen mit ihren Kindern auf eigenen Füßen zu stehen, ist unbeschreiblich“, sagt Sozialarbeiterin Tina. Drei Syrerinnen, die sich aus unterschiedlichen Gründen scheiden ließen, sollen hier zu Wort kommen.

Nancy, 32, aus Damaskus

„2015 kam ich, zusammen mit meinem Ehemann und meinem fünfjährigen Sohn, über die Balkanroute nach Deutschland. Für mich begannen die Probleme, als mein Mann das mir zustehende ‚Gehalt‘ (Anm. d. Red.: Viele Syrer nennen Hartz-IV „staat­liches Gehalt“) vorenthielt. Ich habe nichts gesagt, ich wollte Ärger vermeiden. Solange der Asylantrag in der Schwebe war, hatte ich Angst, dass ich oder wir alle drei unsere Duldung ­verlieren und abgeschoben werden würden.

Bei uns in Syrien ist bei Scheidungen fast immer die Frau die Schuldige, die von der Familie des Mannes verstoßen wird und dann zurück ins Haus der Eltern ziehen muss. Danach erwartet eine Frau nur noch gesellschaftliche Ächtung und sozialer Abstieg. Wer Glück hat, wird vielleicht noch von einem deutlich älteren, armen Mann oder als Zweitfrau geheiratet. In der Scharia-Rechtsprechung steht das Sorgerecht für die Kinder ab dem Alter von acht Jahren allein dem Vater zu.

Aber hier in Deutschland habe ich gelernt, dass es anders läuft. Mit Beginn meines Sprach- und Integra­tionskurses fielen meine Ängste langsam ab. Ich traute mich, meinen Mann nach meinem eigenen Geld zu fragen. Er begann mich zu schlagen. Das hatte er in Syrien schon getan, es seit dem Neustart in Deutschland aber unter­lassen.
Er bestand darauf, dass ich wieder das Kopftuch trug und meinen ‚westlichen‘ Stil – Jeans mit langen, weiten Pullovern darüber – zugunsten der islamischen bodenlangen Kleider ablegte. Damals wohnten wir noch im Übergangswohnheim in Berlin-Marienfelde.

Im Heim haben die Wohnungen so dünne Wände, dass man jeden Satz, jedes Hüsteln der Nachbarn mitbekommt. Unsere Nachbarn bekamen die Brutalitäten mit, mischten sich aber nicht ein. Niemand rief die Polizei oder den Sicherheitsdienst. Als dann eines Nachts mein Mann aber auf meinen Kopf einschlug, war mir alles egal. Schließlich, dachte ich mir, ist das hier Deutschland, hier haben alle Menschen die gleichen Rechte und niemand darf jemand anderem so etwas antun.

Mit Hilfe von Flüchtlingshelfern, Freunden und Beratungsstellen leitete ich die Scheidung zügig ein. Als sie durch war, dachte ich: Das hätte ich schon viel früher machen sollen.“

Umm (Mutter von) Mohammed, 45

„Ich komme aus Hama in Syrien und habe drei Söhne. Mit ihnen bin ich 2014 in die Türkei gegangen. Später dann, als ich genug Geld zusammenhatte, mit dem Schlauchboot nach Griechenland und weiter, fast nur zu Fuß, nach Deutschland. Mein Mann wollte nicht mit. Er ist schon 60, bei uns ist das sehr alt. Es war auch keine Liebes-, sondern eine Zwangsheirat. Mein Mann hat selbst nie richtig gearbeitet und mich mit allem allein gelassen, mir nie bei der Arbeit geholfen und mir auch kein Geld gegeben.

Aber im Krieg zu bleiben und dort mit unseren Kindern zu sterben, oder zuzuschauen, wie sie in der Armee oder von Milizen totgeschossen oder verstümmelt werden, das konnte er mir nicht vorschreiben. Als wir weg waren, hat er sich einfach nicht mehr bei uns gemeldet.

In Deutschland kamen wir glücklicherweise im Oktober 2015 an. Bis April 2016 hörte ich nichts von ihm – und dann plötzlich rief er an. Er wollte, dass ich ihm Geld sende und dass ich die Familienzusammenführung beantrage.

Ich habe mir Hilfe gesucht und die Scheidung eingereicht. Ich will hier frei leben und brauche wirklich keinen Mann. Hier können Frauen nämlich wirklich frei und auch alleine gut leben, und niemand entscheidet oder urteilt über mich.“

Fatma, 35, aus einem  Dorf bei Aleppo

„Ich bin erst vor ein paar Monaten mit dem Programm der Familienzusammenführung gekommen. Aber das Verhalten meines Mannes hier war schrecklich – von meinem ersten Tag in Deutschland an wollte er alles, jeden Schritt, kontrollieren. Er wollte mir verbieten, neue Menschen kennenzulernen. Er wollte, dass ich immer bei ihm bin und weigerte sich, mir das deutsche System mit den staatlichen Einkünften für uns Syrer zu erklären. Er wollte mir nicht einmal sagen, wieviel Geld mir zusteht, geschweige, mir meinen Teil auszahlen.

Natürlich habe ich davon geträumt, ein besseres Leben als zuvor zu führen. Immerhin komme ich aus einer frauenverachtenden Gesellschaft und aus dem Krieg. Aber was ich vorfand … Aber plötzlich durfte ich mit niemandem mehr sprechen. Ich konnte das Haus nicht verlassen, ohne ihm genau mitzuteilen, wohin und mit wem ich warum wollte. Er wollte mich als seine Sklavin halten, die die ganze Arbeit zu machen hatte, und dabei von meinem Geld leben.

Eine tolle Sache in Deutschland sind die Sozialarbeiter. Sie schienen zu bemerken, dass etwas nicht stimmt, nach deutschen Maßstäben zumindest. Sie spürten wohl, dass er mich schlug und boten mir immer wieder Hilfe an. Am Anfang wusste ich noch nicht, ob ich ihnen wirklich vertrauen kann. Doch nach ein paar Wochen bat ich sie um Hilfe gegen die Misshandlungen. Ich war schon längst am Ende meiner Kräfte. Selbstmord schien mir die einzige Lösung.

Nach ein paar Wochen im Krankenhaus habe ich wieder zu mir selbst gefunden. Gut, dass wir keine Kinder haben, es würde alles schwerer machen. Denn jetzt konnte ich mit Unterstützung der Sozialarbeiter schon die Scheidung einreichen.“

Die Autorin war zehn Jahre freie Korrespondentin in Nahost, meist in Syrien und im Libanon. Von ihr erschien zuletzt „Kaltland – unter Syrern und Deutschen“ (Droemer Knaur).

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