Tante Barbara hilft Polinnen

Polinnen protestieren gegen die Regierung, die das rigide Abtreibungsgesetz noch weiter verschärfen will. - Foto: Imago/Zuma Press
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Am 27. Juni 2015 flog eine Drohne von Frankfurt/Oder über die Grenze ins polnische Slubice. Drohnen sieht man derzeit überall durch die Luft schwirren, aber diese Drohne wollten zwei Polizisten aufhalten, denn an ihr klebten zwei Packungen mit Abtreibungspillen. Mit dieser Aktion wollten wir auf die untragbare Situation polnischer Frauen aufmerksam machen, für die es im eigenen Land keine Möglichkeit gibt, legal abzutreiben. Aber auch darauf, dass es nun Ciocia Basia gibt, die polnische Frauen dabei unterstützt, in Berlin eine sichere Abtreibung zu haben.

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Seither reisen durchschnittlich fünf ungewollt schwangere Polinnen im Monat mit unserer Hilfe nach Berlin. Zu uns kommen Studentinnen aus Warschau ebenso wie eine Mutter mit volljähriger Tochter aus einem polnischen Dorf. Die Frauen kommen mit ihren Männern oder Freundinnen, aber auch oft alleine. Ein paar Mal kamen sogar die Kinder mit, weil die Mutter nicht wusste, wo sie sie während ihrer Reise hätte lassen können. Aber Gästezimmer in mit und befreundeten WGs finden sich immer.

Die sehr unterschiedlichen Frauen, die auch aus allen Altersgruppen kommen, müssen vor ihrer Reise einige Fragen klären: Wem kann ich mich anvertrauen, wer leiht mir Geld, wer nimmt sich die Zeit, als Unterstützung mitzureisen, vor welchen – eigentlich lieben – Freunden muss ich mich doch verstecken, und welche Freundin gibt einem Informationen über uns, weil sie schon mal in der gleichen Situation war? Manchmal ruft der Partner für die Frau an, weil sie selbst sich schämt. Manchmal gibt die Frau uns die Telefonnummer ihrer Freundin als Kontakt oder schreibt uns nur aus dem Internetcafé, damit der Ehemann nichts davon erfährt. Vor kurzem reiste eine Frau mit ihrem Vater an, der mir erzählte, wie sehr er sich freue, dass seine Tochter sich ihm anvertraut hat.

Manche Frauen verwünschen wutentbrannt die Scheinheiligkeit in ihrem Land, manche Frauen sagen uns, sie können gar nicht fassen, wie nett hier alle zu ihr seien, während sie in ihrem Land wie eine Kriminelle behandelt werde.

Das Projekt Ciocia Basia besteht aus einem ehrenamtlichen Kernteam von etwa zehn Frauen (und einem Mann), Deutsche wie Polinnen. Übersetzt lautet der Name „Tante Barbara“, inspiriert durch kenianische Frauen, die Frauen aus dem Slum helfen, die Abtreibungspille zu bekommen. Die nannten sich Auntie Jane, weil es in afrikanischen Gesellschaften oft die Tante ist, die Mädchen über Sexualität aufklärt und der man sich anvertrauen kann. Wenn die Hilfesuchende unser Netzwerk per E-Mail oder Telefon kontaktiert, senden wir ihr auf Polnisch alle Informationen darüber, wie wir ihr helfen können. Dann koor­dinieren wir alle Termine, GastgeberInnen, Anreise und Finanzierung werden besprochen. Wir begleiten die Frau in die Familienplanungsklinik Balance in Berlin-Lichtenberg, die mit uns eng kooperiert, und übersetzen aus dem Polnischen oder Englischen.

Komplizierter wird es, wenn Reisen nach Holland organisiert werden müssen, bei Abbrüchen nach der 12. Woche. Mittlerweile haben wir eine Kontaktgruppe in Holland, das Abortion Network Amsterdam, das sich dann um die Frauen kümmert. Damit wir die Frauen, die uns am dringendsten brauchen, erreichen, haben wir neben unserer Präsenz im Internet extra Aufkleber produziert, die unsere polnischen Mitstreiterinnen auf Heimaturlaub in polnischen Dörfern an die Straßenlampen und Frauentoiletten kleben.

Polen hat Mitte der 1990er-Jahre Abtreibung verboten. Nach dem Ende des Sozialismus kam die Kriminalisierung der Abtreibungen gerade recht, um eine „neue nationale Identität“ – nun geprägt von katholischen konservativen „Werten“ – zu demonstrieren. Und als Dankeschön an die Kirche und den Papst, die die Solidarność-Bewegung unterstützt hatten.

In Polen sind durch den Backlash Sexualaufklärung und Verhütung in Schulen aus den Schulbüchern gestrichen worden. Die polnischen Ärzte lassen sich nicht fortbilden, können deshalb auch mit Fehlgeburten nicht medizinisch angemessen umgehen. Mittlerweile gibt es unter der regierenden „Partei für Recht und Gerechtigkeit“ immer wieder Versuche, Abtreibung nur noch bei akuter Lebensgefahr der Frau zu gestatten. Eine Schwangerschaft sollte selbst dann ausgetragen werden, wenn sie durch Vergewaltigung entstanden war oder bei schwerer Behinderung des Fötus. Als der Gesetzentwurf im Jahr 2017 zum ersten Mal diskutiert wurde, gingen Zehntausende Menschen beim „Schwarzen Protest“ dagegen auf die Straße. Der Vorschlag liegt derzeit auf Eis, aber die Androhung der Gesetzesverschärfung zeigt dennoch Wirkung, denn Frauen finden keine Ärzte mehr, die Abtreibungen selbst bei schweren Beeinträchtigungen des Fötus durchführen. So sind Frauen gezwungen, eine Totgeburt bis zum Gebärtermin auszutragen. Das ist körperliche und psychologische Folter.

Den Frauen wird nicht gesagt, wo sie Hilfe finden können. Hoffentlich finden sie dann uns und wir helfen ihnen, entweder in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien den Abbruch vornehmen zu lassen. Innerhalb Polens kooperieren wir mit Gruppen, die ähnlich wie wir selbst organisiert sind, wie Abortion Dream Team, Dziewuchy Dziewuchom (Frauen im Web) und Kobiety w Sieci (Mädchen für Mädchen).Sie bieten praktische Hilfe, leisten Aufklärungsarbeit und haben viele der Demonstrationen für Abtreibungsrechte in den letzten Jahren mitorganisiert.

Wir kooperieren auch mit internationalen Gruppen wie Women on Waves und Women Help Women oder dem Abortion Support Network in England, die Frauen aus Irland unterstützen. Women on Waves oder Women Help Women haben auf ihrer Webseite eine gute Onlinekonsultation und verschicken rund 4.000 Abtreibungspillen im Jahr per Post, für den Selbstkostenpreis von 70 Euro; in Kombination mit Telemedizin können die Frauen gut aufgeklärt und betreut werden, auch hinterher, überall in der Welt, bis nach ­Saudi-Arabien. Das rettet viele Leben weltweit. Manchmal ist Ciocia Basia auch Plan B, wenn Frauen bereits die Abtreibungspille per Post bestellt haben, denn diese Sendungen werden oft am Zoll abgefangen.

Die Abtreibungspille, die laut Weltgesundheitsorganisation sehr sicher ist und eine geringe Fehlerquote hat, ist gerade in Ländern, in denen Abtreibung ein totales Tabu ist, ein Segen, denn sie kann auch sicher außerhalb von Kliniken angewendet werden.

Was ich an der Erfahrung mit der Pille sehr gut finde, ist, dass die Frauen selbst sehen, dass ein früher Abbruch vor der zehnten Woche eher einer Menstruation gleicht, als – wie gerne behauptet – einer „Kindstötung“. Vermutlich ist es auch diese Erkenntnis, die man den Frauen durch die Stigmatisierung nicht erlauben will.

Es gibt Frauengruppen in Polen, die den Abbruch in freundlicher, solidarischer aber klandestiner Atmosphäre unter fachkundiger Anleitung mit der Abtreibungspille selbst organisieren. Die Frauen verbringen ein Wochenende zusammen und tauschen sich aus.

Unsere Arbeit ist also auch als Gegenerzählung des Abtreibungsstigmas wichtig – für die Frauen selbst und für die Gesellschaft. Denn nicht wenige Frauen gehen gestärkt aus dieser Erfahrung hervor, weil sie sich ihrer Handlungsfähigkeit bewusst werden und der Tatsache, dass sie ein Recht auf Selbstbestimmung haben.

Organisierte Abtreibungsgegner haben uns bisher weniger ins Visier genommen, wahrscheinlich, weil wir die Barmherzigkeit praktizieren, die christliche Fundamentalisten nur vorgaukeln. Wir machen den Scherbenhaufen von Politik, Kirche und Patriarchat direkt sichtbar, indem wir ihn aufsammeln und kitten. Deshalb scheuen sie die Auseinandersetzung mit uns.

Ich habe Ciocia Basia vor drei Jahren mitgegründet. In dieser Zeit habe ich gelernt, volles Vertrauen in die Frauen zu haben. Diese Solidarität hat etwas Kraftvolles, auch für uns HelferInnen.

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