Yoko Ono wird 75!

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2005 ließ Yoko Ono sich, damals 72 und drahtig wie eine Bettfeder, für den Modeteil des New York Magazine fotografieren. Sie trug knappe Shorts und Minis, Strumpfhosen und sehr hohe Absätze. Auf ihrer Nase saß, wie ein ironisches Zitat, die riesige Porsche-Sonnenbrille, die sie nach John Lennons Ermordung jahrelang getragen hatte. Das Lächeln unterhalb der schwarzen Glasfront war sichtlich amüsiert. „Welche Botschaft gibt das älteren Frauen? Soll dem etwa irgendwer folgen?“, empörte sich eine Leserin. Es war eine der höflicheren Zuschriften. Yoko Ono trifft immer noch mit erstaunlicher Sicherheit den Nerv. „Gibt es eine Uniform, die Frauen über 50, 60 oder 70 tragen müssen?“, schrieb sie zurück.

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„Als ich mit Sean schwanger war, gab es offene Verachtung, wenn ich mit meinem Bauch in ein Lokal kam. Das ist heute vorbei. Sind jetzt die alten Leute dran? Dürfen wir nicht tragen, was wir mit 18 trugen? Warum nicht?“ Es ist nicht so, dass Yoko Ono in den letzten Jahren öffentlich mit Hotpants oder Minirock gesehen wurde. Aber vierzig Jahre Anfeindung machen dünnhäutig. „Ist nach dem Sexismus und dem Rassismus jetzt die Altersdiskriminierung an der Reihe?“, fragt sie.

Yoko Ono war 33, als John Lennon in die Londoner Galerie kam, wo die Konzeptkünstlerin erstmals außerhalb der USA ausstellte. Ihre Kunst war verwirrend zugänglich, der Einwand „Das ist doch keine Kunst“ häufig: ein Schachbrett mit nur weißen Figuren, ein Holzblock mit Hammer und Nägeln und der Aufforderung „Schlag einen Nagel ein“. John Lennon sah sich um und dachte: „Mit diesem Schrott legst du mich nicht rein.“

Trotzdem stieg er auf die Leiter, die in dem Raum stand, von deren oberstem Tritt man mit einer Lupe einen Zettel an der Decke entziffern konnte. Auf dem Zettel stand in winzigen Buchstaben: „Yes“. „Ich fühlte mich da oben wie ein Idiot“, sagte er später. „Hätte ‚No‘ draufgestanden, wäre ich mit meinen Vorurteilen wieder hinausgegangen. Aber mit dem ‚Yes‘ war ich einverstanden.“ Inzwischen hatte der Galerist Yoko Ono geholt. „Wollen Sie einen Nagel einschlagen?“, fragte sie den acht Jahre jüngeren Beatle, „kostet fünf Schilling“. Für Yoko war es „Liebe auf den ersten Blick“.

Zu dem Zeitpunkt war die Japanerin keine bescheidene Jungkünstlerin, sondern eine hochgebildete Tochter aus altem, reichem Haus. Ihr Vater, ein Bankierssohn, der in den USA studiert hatte und als Pianist ­arbei­tete, ehe er auf Geheiß der Familie ebenfalls Bankier in Tokio wurde, verordnete ihr früh Klavierunterricht in west­licher klassischer Musik.
Die Mutter, auch sie Bankierstochter, förderte Yokos Ausbildung in japanischem Gesang und untade­ligem Benehmen. Die tägliche Betreuung war weitgehend den Kindermädchen überlassen. Die Bombardierungen Tokios im Zweiten Weltkrieg überlebte die Familie im hauseigenen Bunker. Mit 19 schrieb sich Yoko Ono als erste Frau an Tokios Gaku­shuin-Universität in Philosophie ein.

Ein Jahr später zog die Familie nach New York. Auch Anfang der 1950er Jahre war der Rassismus gegen Asiaten noch sehr virulent, und während des Zweiten Weltkrieges, in dem Japan mit Hitler-Deutschland paktierte, war es noch heftiger. „Als ich sechs, sieben Jahre alt war, haben amerikanische Kinder mich mit Steinen beworfen“ erinnert sich Yoko. Als 20-Jährige ging sie aufs College und langweilte sich im Musikunterricht zu Tode.
In der Avantgarde-Szene von Manhattan lernte sie ihren ersten Ehemann, den japa­nischen Musiker Toshi Ichiyanagi, kennen. Sie schloss sich der Künstlerbe­wegung Fluxus an. Ihre Performances machten Furore, ihre ersten Filme lösten Gelächter oder Empörung aus. Um die Miete zu bezahlen, gab sie Unterricht in Origami und japanischer Kalligrafie. Die New Yorker Kunstszene verehrte sie als das, neben dem Komponisten John Cage, herausragende Talent der Avantgarde.

1961 kehrte Toshi Ichiyanagi nach Tokio zurück, sie folgte ein Jahr später. Aber die Einzelgängerin und der partyfreudige Ehemann hatten sich nicht mehr viel zu sagen. Yoko Ono litt unter Depressionen. Nach einer Überdosis Tabletten wurde sie in die psychiatrische Klinik eingeliefert. Toshi bat Anthony Cox, einen Freund aus der New Yorker Musikszene, um Hilfe. Cox flog nach Japan und setzte die Entlassung der Patientin durch.

Toshi, Yoko und Cox zogen zusammen, es waren freizügige Zeiten. Sie wurde von Cox schwanger, die Ehe wurde geschieden. Im August 1963 kam ihre Tochter Kyoko zur Welt. Anthony Cox versorgte das Mädchen. 1964 kehrte die Familie nach New York zurück. Auch die zweite Ehe ging nicht gut. „Ich war“, sagte Yoko Ono in einem Interview, „meist der größere Macho als die Männer. Ich war immer die Geldverdienerin, ich wollte nicht zu Hause beim Kind bleiben. Und ich war eine Verlasserin. Ich habe lieber einen Mann verlassen, als mich mit Beziehungsproblemen zu beschäftigen. Frauen neigen dazu, sich sehr auf Männer einzulassen. Ich war nie so.“

Anfang 1967 schickte sie Lennon ein Exemplar ihres sehr unterhaltsamen Buches „Grapefruit“, einer Sammlung absurder Anweisungen wie „Male mit deinem Blut. Male, bis du ohnmächtig wirst“. Die beiden begegneten sich gelegentlich bei Vernissagen, telefonierten hin und wieder. Die Beatles reisten nach Indien, Yoko Ono trennte sich von Anthony Cox, die Tochter blieb bei ihm.

Im Frühjahr 1968 lud John Lennon sie nach London ein und fragte, ob sie lieber plaudern oder mit ihm ins Aufnahme­studio wolle. Sie wollte nicht plaudern. Eine Nacht lang nahmen sie, nach Berichten beide auf LSD, Vogelgezwitscher auf, White Noise, Lennons surreale Witze und Onos artifizielle, für ungeübte Ohren irritierend schrille Stimmvariationen. Am Morgen schliefen sie miteinander.

Als das Ergebnis der Session im folgenden November unter dem Titel „Un­finish­ed Music No. 1: Two Virgins“ in die Läden kam, war die Jagd auf Yoko Ono längst eröffnet. Sie wollte sich in London eine eigene Wohnung nehmen und unabhängig sein. Die Idee gefiel Lennon überhaupt nicht. Er wollte immer und überall mit dieser Frau zusammen sein, die ihn ermutigte, Ideen zu verfolgen, die er bisher als Fantasien abgetan hatte.

Als Ende Mai 68 die Aufnahmen für das „White Album“ der Beatles begannen, brachte er sie mit ins Studio – bis dahin eine Tabuzone für Freundinnen und Ehefrauen. Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr reagierten verärgert. Yoko Ono war nicht nur Zuschauerin, sie re­dete mit. John wollte, dass sie mitredete. Und mitsang. Auf dem Song „The Continuing Story of Bungalow Bill“ ist sie in einem kurzen Solo zu hören.

Im Juli 1968 erschienen John und Yoko zur Eröffnung einer Ausstellung von Lennons Zeichnungen in London. Hunderte von Presseleuten warteten. „Ich bin in sie verliebt“, sagte Lennon. Yoko Ono schwieg. 365 weiße Ballons stiegen auf. An den Ballons hingen an John Lennon adressierte Postkarten mit der Aufforderung an die Finder, ihm zu schreiben. Die Antwortenden kritisierten sein Verhältnis mit Yoko, viele waren offen rassistisch. Zeitungstitel wie „Oh No!“ und Karikaturen der meist schwarz gekleideten Japanerin mit der wilden Haarmähne und der Lederjacke erschienen fast täglich.

Obwohl von einer Trennung der Beatles noch nicht die Rede war, witterte jedermann Gefahr. Ein verliebtes männ­liches Idol, das aus seiner Verehrung für die Geliebte keinen Hehl macht, schien eine akute Bedrohung. Acht Jahre älter! Asiatin! Neunmalklug! Das Wort Hörigkeit stand fett zwischen allen Zeilen. Nur Camilla Parker Bowles wurde später ähnlich hemmungslos beschimpft.

Öffentlich blieb Yoko Ono stoisch. Sie arbeitete weiter an ihren Filmen und Performances. Im November erlitt sie eine Fehlgeburt. John Lennon nahm die Herztöne des sterbenden Kindes auf Band auf, sie sind auf dem Ono-Lennon-Album „Unfinished Music No. 2: Life with the Lions“ zu hören. Am 20. März 1969 heirateten die beiden und baten die Weltpresse danach in ein Amsterdamer Hotelzimmer, um mit ihnen gemeinsam die Flitterwochen zu feiern. Die Medien hofften auf Sex oder zumindest auf Nacktheit.

Stattdessen lagen die prominenten Hochzeiter eine Woche lang in blickdichten weißen Pyjamas im Bett und plädierten gutgelaunt für Weltfrieden. „Wir versuchen, Frieden zu verkaufen wie Seife oder Cola“, sagte Lennon. Wenn die Politiker dem Volk Krieg verkaufen konnten, musste doch auch Frieden verkäuflich sein. Die Presse war widerwillig beeindruckt. Die surreale Idee des Bed-in stammte von Yoko Ono. Dennoch stöhnte die Kunstwelt: „Diese Ehe ist das Ende von Yokos Karriere.“

Nach den freudlosen Aufnahmen für „Abbey Road“ und „Let It Be“ gab Paul McCartney im April 1970 bekannt, dass er die Beatles verlassen werde. Er gab unmissverständlich zu verstehen, dass Johns Liebe zu Yoko einer der entscheidenden Faktoren für seinen Entschluss gewesen war. Darüber, wie weit die Beatles schon vor Yoko musikalisch und persönlich auseinander gedriftet waren, wurde kein Wort gesagt. Das lächerliche Verdikt, sie habe die geliebteste Band der Welt zerstört, klebt bis heute an Yoko Ono.

Yoko Ono hatte eine zweite Fehlgeburt. Sie arbeitete an einem neuen Album namens „Fly“, Lennon an einem mit dem Titel „Imagine“. Das erste hat kaum jemand gehört, das zweite kennt die ganze Welt. Über den Titelsong, der eine Hymne wurde, sagte John Lennon später: „Ein großer Teil stammte von Yoko. Aber da ich damals noch etwas selbstsüchtiger war, erwähnte ich sie nicht.“ Er hatte guten Grund, Abbitte zu leisten. Yoko Onos „Imagine“-Aufforderungen sind in „Grapefruit“ nachzulesen. Lennon verarbeitete die extravaganten Ideen zu Popkultur, darin war er unvergleichlich besser als sie. Sie ­bewun­derte ihn dafür und machte immer zögerlicher ihre eigenen Dinge.

Die Liegebank für hochbegabte, erschöpfte Frauen im Kunstbetrieb heißt Musendienst. Yoko Ono war erschöpft. John Lennon genauso. „Die Frau lässt mir nichts durchgehen“, seufzte er. Das Paar siedelte nach New York um und kaufte sich im feudalen Dakota-Gebäude ein. 1972 besuchten sie die Wahlparty des demokratischen Präsidentschaftskandidaten George McGovern. Er hatte keine Chance gegen Richard Nixon. John Lennon verschwand sturzbetrunken mit einer Frau in der Garderobe. Die Wände waren dünn. Yoko Ono hörte zu, inmitten von Partygästen, denen der Zugang zu ihren Mänteln versperrt war. Es demütigte sie bis auf die Knochen.

Ein halbes Jahr später schickte sie ihn weg, zusammen mit der gemeinsamen ­Assis­­tentin May Pang, mit der er schon seit Monaten ein vermeintlich heimliches Verhältnis hatte. Was später gediegen „The Lost Weekend“ getauft wurde, waren nach Lennons Schilderungen 18 Monate Suff, Sex und Rock’n’Roll in Los Angeles. Er  genoss es ein paar Wochen, dann wollte er nichts als heim. Er telefonierte viel mit seiner Frau, sie sagte, er solle in Los Angeles bleiben.

Nach eineinhalb Jahren begegneten Yoko und John sich bei einem Konzert in New York. Er sang „Whatever Gets You Through the Night“, sie liebten sich immer noch. Aber Liebe war nicht der Punkt. Vor jedem Scheidungsrichter sitzen mehrheitlich liebende Paare. Lebbarkeit war die Frage. Sie vereinbarten Dates. Im März 1975 war Yoko Ono, inzwischen 42, wieder schwanger. Sie sagte: „Neun Monate ist es mein Ding, dann bist du dran.“ Sean Ono Lennon wurde am Geburtstag seines Vaters ­geboren und fast fünf Jahre lang von ihm gewickelt, gefüttert und gehegt, während Yoko Ono als CEO der Lennon-Millionen das Vermögen ihres Ehemannes betreute und beachtlich mehrte.

Die Hits, die John Lennon Ende der siebziger Jahre von Bands wie den B-52’s hörte, entzückten ihn. Sie klangen wie von Yoko Ono geklaut. Nach jahrelangem Rückzug ins Privatleben produzierten der Hausmann und seine CEO in Rekordzeit das Album „Double Fantasy“. Erstmals wurde Yoko Ono für ihre Songs uneingeschränkt gelobt. Wer „Hard Times Are Over (For a While)“ kennt, weiß warum. Nichts gegen ein melodisches Süßgebäck wie „Imagine“, aber das war härtere, nahrhaftere Kost. Yoko Ono war glücklich, komponierte sofort „Walking on Thin Ice“ für ein neues Album. John Lennon prophezeite: „Das wird dein erster Number-one-Hit.“

Als die beiden am 8. Dezember 1980 von den Studioaufnahmen zurückkehrten, wurde John Lennon erschossen.

Kurz nach seinem Tod brachte Yoko Ono eines der berührendsten Alben der Popgeschichte heraus: Vielen Leuten ging „Season of Glass“ mit John Lennons blutbespritzter Brille auf dem Cover zu nahe, ebenso viele konnten sich nicht satt hören. So viel Mut und so viel Intimität sind selten käuflich. Die Witwe zeigte sich in den Jahren nach dem Attentat nur bei wenigen ­Gala­veranstaltungen zu Ehren ihres verstorbenen Mannes. Sie beschäftigte sich vor allem mit Lennons Vermächtnis und stritt – wie die übrigen Beatles – in einer endlosen Serie von Prozessen mit Plattenfirmen.

In ihrem ersten Interview nach Lennons Tod bestätigte sie Gerüchte über einen neuen Lebensgefährten: Sie war seit 1981 mit dem 20 Jahre jüngeren Antiquitätenhändler Sam Havadtoy zusammen. 2001 gab sie die Trennung bekannt. Mehr wurde über diese Beziehung, die länger dauerte als ihre drei Ehen zusammen, nicht bekannt. Nichts sollte die Erinnerung an John Lennon trüben. Als Hüterin seines Vermächtnisses, hat die Witwe hervorragende Arbeit geleistet.

Ihre eigene Musik legte Yoko Ono nach einer internationalen Tournee vor halb leeren Sälen jahrelang auf Eis: „Ich war völlig entmutigt“, sagte sie 1986, „es gab, milde gesagt, keine Nachfrage.“ Sie irrte. Sie war nur einmal mehr zu früh.

Was ihr musikalisches Schaffen betrifft, erhielt John Lennon nach 23 Jahren Recht. 2003 waren die Pet Shop Boys mit dem Remix von „Walking on Thin Ice“ in den USA Nummer eins der Dance-Bill­boards. Die meisten, die dazu tanzten, waren 1980 noch nicht geboren. Und im vergangenen November führte Yoko Ono die Dance-Hitparaden mit dem Song „Every Man Has a Man Who Loves Him“ an.

Auf dem Album „Double Fantasy“ hatte der Song noch „Every Man Has a Woman Who Loves Him“ geheißen. „Als Bushs Regierung anordnete, dass Schwule nicht heiraten dürfen, musste ich das einfach machen“, sagte sie lapidar.

Auf dem Label der Platte steht nicht mehr Yoko Ono, sondern nur noch Ono. Ihr Kommentar: „Die Leute haben dem Namen Yoko gegenüber so viele Emotionen angehäuft, dass es gut ist, ihn wegzulassen.“

Heute zeigen Galerien in den USA, Asien und Europa die Retrospektive ihrer Werke aus den sechziger Jahren. Auch eine ihrer neueren Ausstellungen, „Odyssee einer Küchenschabe“, erntete hymnische Kritiken: „Ich sah die Erfahrung einer Frau, die völlige Trostlosigkeit erlebt hatte“, schrieb die Performance-Künstlerin Barb Jungr. „Ich hoffe, der Westen ist endlich bereit, Yoko Ono als die einzigartig ­visio­näre Person anzunehmen, die sie ist.“                        

Der Text erschien zuerst in der Welt­woche. – Die Ausstellung ist bis zum 16. November in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.

Weiterlesen
Tell us, Yoko! Ein Interview (5/2008)

 

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