Starke Darstellerin, starke Heldin

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Katniss Everdeen, das Mädchen, das in Flammen steht und die Verteidigung mit Pfeil und Bogen mühelos beherrscht, ist wieder da. Ab heute läuft der seit Wochen erwartete zweite Teil der Buchverfilmung „Die Tribute von Panem“ im Kino. Und Katniss kämpft einmal mehr gegen das totalitäre Regime Panem, ein post-apokalyptisches Nordamerika, ein Apartheidsystem, in dem der größte Teil der Bevölkerung als versklavte Untermenschen in zwölf voneinander separierten, Rohstoffe produzierenden Distrikten eingesperrt ist. Während in der glitzernden Hauptstadt, dem Kapitol, ein kleiner wohlhabender Teil der Menschen einer pervertierten Mediengesellschaft frönt, zu deren Unterhaltung ein Mal im Jahr ein Junge und ein Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren aus jedem Distrikt als sogenannte Tribute ausgelost und in eine futuristische Arena geschickt werden, um sich auf blutigste Art gegenseitig abzuschlachten. SiegerIn ist die oder der Überlebende. Ein Gladiatorenkampf zwischen Kindern, inszeniert wie eine überzeichnete Reality-Show, ein tödliches Dschungel-Camp. Vor allem: Eine Machtdemonstration und eine Ermahnung an die Bevölkerung von Panem, dass es in den Distrikten nie wieder einen Aufstand gegen den Diktator Snow und seine Gefolgschaft im Kapitol geben darf.

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Bis sich die rebellische Anti-Heldin Katniss, soweit der erste Teil der Trilogie, freiwillig als Tributin meldet, um ihre kleine Schwester Primrose, auf die das Los eigentlich gefallen war, vor ihrem sicheren Tod in der Arena zu bewahren. Die kämpferische Katniss schafft es nicht nur, die Arena wieder lebend zu verlassen. Sie wird (inklusive ihrer Vogelbrosche, einem „Spotttölpel) während der im ganzen Land übertragenen „Hungerspiele“ ungewollt zur Symbolfigur einer aufkeimenden Revolution. Denn Katniss weigert sich, nach den Regeln des Kapitols zu spielen. Sie tötet nicht, sie beschützt die zwölfjährige Rue - bis die von einem anderen Tributen ermordet wird. Katniss bestattet das kleine Mädchen mit Blumen und hebt vor laufender Kamera die Hand zum Gruß an den Distrikt, aus dem Rue kam. Dieser Gruß wird ihr in Zukunft als Solidaritätsbekundung immer wieder begegnen - und im zweiten Teil zum Verhängnis werden. Ihre Solidarität mit der kleinen Tributin ist nicht der einzige Auslöser für die Unruhen in Panem. Katniss schafft es außerdem, durch eine inszenierte Liebesbeziehung zu ihrem eigentlichen Gegenspieler Peeta aus dem gleichen Distrikt und dem angedrohten Freitod der beiden vor laufender Kamera, dass diesmal zwei Tribute die Arena lebend verlassen.

Zu diesem Zeitpunkt setzt der zweite Teil der Trilogie an. Katniss und Peeta werden als vermeintliches Traumpaar durch die Distrikte gekarrt und sehen zum ersten Mal mit eigenen Augen das Ausmaß der Aufstände. Und spüren bald die Konsequenzen: Präsident Snow ändert zum 75. Jubiläum der Hungerspiele die Regeln, um seine Widersacherin auszuschalten: Diesmal müssen alle GewinnerInnen aus den vergangenen Jahren erneut gegeneinander antreten – und damit auch Katniss und Peeta wieder in die Arena.

Schon die drei Panem-Bücher der US-amerikanischen Autorin Suzanne Collins, eine Kinderbuchautorin und Tochter eines Vietnam-Veteranen, haben weltweit Millionen Menschen in ihren Bann gezogen. Die Verfilmung des ersten Teils spülte 2012 als einer der erfolgreichsten Filme des Jahres rund eine Milliarde Dollar in die Kinokassen. Und das, obwohl die Erzählweise – das gilt umso mehr für die verkürzte Filmversion – streckenweise einem eher erwartbaren Science-Fiction-Plot folgt. Aber: In Panem kämpft nicht ein junger, athletischer Mann für Freiheit und Gerechtigkeit, sondern eine widersprüchliche und trotzdem selbstständige und standfeste junge Frau, die alles andere als zimperlich im Umgang mit ihren Gegnern ist und trotzdem empathiefähig bleibt. Das macht die Faszination der Geschichte aus.

Und: Die LeserInnen und ZuschauerInnen warten vergebens auf die obligatorische Love-Story, für die die Heldin am Ende alles hinschmeißt. Das Verhältnis von Katniss zu Peeta (und auch zu ihrem besten Freund Gal, der eine ebenso wesentliche Rolle in der Geschichte spielt) bleibt über alle drei Teile hinweg zerrissen.

Keine Schauspielerin verkörpert diesen störrischen, starken Mädchentyp derzeit so gut, wie Jennifer Lawrence, seit Februar Oscar-Preisträgerin für ihre Rolle als Tiffany in „Silver Linings“ (EMMA hat die Schauspielerin damals getroffen). Und das war schon die zweite Nominierung für die gerade mal 23-jährige Selfmade-Actress - Lawrence hat nie eine Schauspielschule besucht.

"Wenn eine Schauspielerin für eine Rolle hungert und anschließend beschreibt, wie sie das gemacht hat, gibt sie jungen Mädchen praktisch eine Anleitung für Essstörungen. Das ist ein riesiges Problem." Jennifer Lawrence

Die erste Nominierung erhielt sie 2011 für ihren Auftritt als 17-jährige Ree Dolly in „Winter’s Bone“. Seither ist in Hollywood von einer unübersehbaren Verschiebung in Sachen Mädchen- und Frauentypen die Rede: Weg von den hübschen Sidekicks, deren eigentliche Aufgabe es ist, die männlichen Hauptdarsteller noch besser dastehen zu lassen. Hin zu eigenständigen und eigensinnigen Heldinnen, wie Katniss Everdeen eine ist.

„Es ist völlig egal, ob ich ein Vorbild sein will oder nicht, ich wurde es  in dem Moment, als ich die Rolle der Katniss Everdeen in ‚Die Tribute von Panem’ übernommen habe“, sagte Lawrence jüngst in einem Interview mit dem Spiegel. „Die jungen Mädchen, die zu ihr aufschauen, schauen auch zu der Person auf, die sie spielt, ganz normal.“

Das ist natürlich ein bisschen kokett für eine junge Schauspielerin, die auch schon vor ihrem Auftritt als rebellische Tributin für ihre vorlaute Art von Mädchen auf der ganzen Welt bewundert wurde. Im Gespräch mit EMMA sagte Lawrence kurz vor der Oscar-Verleihung in diesem Jahr zum Beispiel zum Thema Magerwahn: „Die meisten Verantwortlichen in der Filmindustrie begreifen nicht, wie oft wir Anorexia Nervosa glorifizieren. Wenn eine Schauspielerin für eine Rolle hungert und anschließend beschreibt, wie sie das gemacht hat, gibt sie jungen Mädchen praktisch eine Anleitung für Essstörungen. Das ist ein riesiges Problem.“ So ist es.

In den Medien jedenfalls macht sich schon jetzt der Spott über „Catching Fire“ breit. „Dann lieber ein Glas Wein“ lästert die Süddeutsche Zeitung. Und Bild findet: „Wer weder Bücher noch Vorgängerfilm kennt, braucht sich diese maue Fortsetzung gar nicht erst anzuschauen ...“ Klar, die Filmadaptionen mögen bei weitem nicht an die Original-Bücher rankommen. Und ja, es handelt sich um einen Hollywood-Blockbuster. Aber wie viele Jungsfilme dieser Art rauschen jährlich noch mal durch die Kinos – ohne dass irgendwer meckert? Dann doch lieber: starke Hauptdarstellerin, starke Heldin.

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Jennifer Lawrence: Klare Ansagen

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Das testosterondominierte Hollywood reduziert bis heute Frauen meist auf die Rolle des „love interest“, das dem männlichen Star bei der Heldentat hübsch harmlos zur Seite steht – vor der Kamera und gern auch im Privatleben. Jennifer Lawrence, gerade zum zweiten Mal für einen Oscar nominiert, gilt als Ausnahme.

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In der Rolle der Ree Dolly in Debra Graniks Sozialdrama „Winter’s Bone“ häutete die damals 17-Jährige Eichhörnchen; in David O. Russells „Silver Linings“, einer Tragikkomödie über seelische Verletzungen, spielte Lawrence die junge Witwe Tiffany so souverän-mitfühlend, als habe sie nicht nur Bradley Cooper aus der Psychiatrie zurück ins Leben geführt.

Durch die Debatte um ihren „zu weiblichen Körper“ (will sagen: zu dicken), die vor zwei Jahren bei „X-Men: Erste Entscheidung“ einsetzte und nach der Premiere des Science-Fiction-Abenteuers „The Hunger Games – Die Tribute von Panem“ weiter eskalierte, wurde der 22-jährige Star auch abseits der Kinoleinwand für Millionen Mädchen und Frauen zu einem Fixstern der Selbstbestimmung. Statt sich Hollywoods Diktat der spitzen Beckenknochen zu beugen, zieht Lawrence lautstark gegen den Magerwahn zu Felde. „Die meisten Verantwortlichen in der Filmindustrie begreifen nicht, wie oft wir Anorexia nervosa glorifizieren. Wenn eine Schauspielerin für eine Rolle hungert und anschließend beschreibt, wie sie das gemacht hat, gibt sie jungen Mädchen praktisch eine Anleitung für Essstörungen. Das ist ein riesiges Problem!“, klagt Lawrence im Gespräch mit EMMA. Für den eigenen Körper, 1,75 Meter groß und etwa 55 Kilogramm schwer, orientiert sie sich an ein selbstformuliertes Schönheitsideal. „Wer mich ansieht, soll eine Frau sehen und keinen vorpubertären Jungen.“

Dass Lawrence sich nach acht Jahren Hollywood weiterhin nicht stromlinienförmig in das Heer blonder Starlets einfügt, schreibt sie vor allen ihrer Kindheit im ländlichen Kentucky zu. Als Tochter eines Bauunternehmers und einer Leiterin von Kinderferienlagern wuchs das Mädchen zusammen mit den älteren Brüdern Blaine und Ben recht frei auf einem Pferdehof in Louisville auf. Nach jedem Sturz wurde rasch wieder aufgesattelt. „Wer aufgewachsen ist wie ich, überlebt auch in Hollywood“, lacht Lawrence mit der rauchigen Stimme einer Greta Garbo.

Nach der Einsicht, am Schulpult nicht glänzen zu können, erwog die damals 13-Jährige eine Karriere als Model. Bei einem Ausflug nach New York drückte ihr eine Agentin ein Drehbuch in die Hand. „Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas wirklich zu verstehen und etwas leisten zu können“, erinnert sich Lawrence.

Der Erkenntnis folgte nach einem Crashkurs durch die High School der Umzug nach Los Angeles. Nach Gastrollen in Serien wie „Monk“ und „Cold Case“ stand Jennifer in dem von Charlize ­Theron produzierten Filmdrama „Auf brennender Erde“ vor der ­Kamera. Für den Part der Brandstifterin Mariana wurde sie 2008 bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Marcello-Mastroianni-Preis geehrt. Der Auszeichnung als „Beste Nachwuchsdarstellerin“ folgten Critics’ Choice Awards, mehrere Publikumspreise und im Januar 2013 der Golden Globe als „Beste Hauptdarstellerin“ in ­„Silver Linings“.

Während Lawrence die Schauspielerei mit dem Pragmatismus einer Südstaatlerin als Handwerk versteht, definiert sie ihre Rolle als Vorbild junger Mädchen täglich neu. Als jugendliche Heldin Katniss Everdeen verkörpert sie in der „Panem“-Saga eine starke, intelligente und vor allem vielschichtige Heldin, die anders als die männlichen Vertreter des Genres auch zur Empathie fähig ist. Die Absage an die üblichen Attribute eines „eye candy“ haben Scharen von Kinogängerinnen inspiriert. Der erste Teil der Trilogie spielte seit Frühjahr 2012 weltweit mehr als 700 Millionen Dollar ein – obwohl oder gerade weil Jennifers Katniss – wie vor 34 Jahren ­Sigourney Weavers Ellen Ripley – kein bloßes Beta-Weibchen an der Seite eines Alpha-Mannes ist. „Die Rolle als Vorbild nehmen viele Schauspielerinnen nicht so wahr. Ich hingegen bin mir der Verantwortung bewusst“, sagt Lawrence.

Amerikanische Talker wie Ellen DeGeneres und David Letterman haben längst aufgehört, sie mit Standardfragen zu wechselnden Haarfarben und Romanzen zu langweilen (Lawrence soll sich vor vier Wochen von dem britischen Darsteller Nicholas Hoult getrennt haben). Doch wie einst in Kentucky, wo die Herausgeber des Schuljahrbuchs die damals 13-Jährige zur „mitteilsamsten Schülerin“ wählten, nimmt sie auch in Los Angeles kein Blatt vor den Mund. „Hollywoods Königin der klaren Ansage“ redet Tacheles.

Als Lawrence nach dem Golden Globe für „Silver Linings“ in Anspielung auf die ebenfalls nominierte Meryl Streep ein ­selbst­bewusstes „Ich habe Meryl geschlagen!“ von der Bühne rief, brach ob der vermeintlichen Respektlosigkeit umgehend ein Twitter-Sturm los. Doch Lawrence stellte bei Letterman beherzt klar: „Das war ein Zitat aus einem Film, Ihr Idioten!“.

Nicht zuletzt dank der von Lawrence so überzeugend verkörperten Rollen prophezeien Beobachter inzwischen eine Renaissance der frauengesteuerten Filme. Nachdem in Hollywood Produktionen mit starken Hauptdarstellerinnen seit den 1960er Jahren auffällig rar geworden sind, verheißen Filme wie „Brautalarm“, „Die Tribute von Panem“ oder das Südstaaten-Drama „Beasts of the Southern Wild“ eine Trendwende. Jennifer Lawrence Tage als Einzelkämpferin des roten Teppichs könnten gezählt sein.
 

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