Frauen auf dem Spielplatz

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Wer wissen will, was Mütter bewegt, braucht nur auf einen Spielplatz zu gehen. Meiner ist in Hamburg, aber er könnte überall in Deutschland sein. Die Kinder toben, schaukeln und buddeln. Die Mütter sitzen daneben auf einer Bank – und reden sich die Wut von der Seele. Sie haben gute Schulabschlüsse, erstklassige Ausbildungen und, seit die Kinder da sind, keinen Job mehr. Denn ihre Chefs wollen keine Mütter.

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„Unsere Tochter Mia war gerade auf der Welt, da ging bei meinem Mann die Karriere so richtig los“, erinnert sich Anne Wiener, 37. „Und ich saß zu Hause mit meinen Stillbrüsten, hatte meinen zweijährigen Sohn Valentin und mein Schreibaby zu versorgen und versuchte in der halben Stunde am Tag, die meine Tochter nicht schrie, die Redaktion zu erreichen. Ich wollte wieder arbeiten, in Teilzeit.“

Das hatte die Redakteurin einer Frauenzeitschrift vor der Elternzeit so mit der Chefredakteurin vereinbart. „Kein Problem“, hatte die gesagt. Und ihre Ressortleiterin hatte bei Annes Abschiedsfeier mit Tränen in den Augen erklärt: „Eine wie du ist schwer zu ersetzen.“ Anne Wiener war sich sicher: Der Wiedereinstieg ist kein Problem.

Doch wenn sie nun anruft, ist die Chefin immer gerade nicht zu sprechen, nicht am Platz oder zum Essen. Auch der Personalleiter lässt sich am Telefon verleugnen.  Und eine Kollegin aus der Redaktion, mit der sie befreundet ist, bricht plötzlich den Kontakt zu ihr ab. „Die hatte Angst, selbst ihren Job zu verlieren“, vermutet Anne Wiener.

Anne weiß, dass sie ein Recht auf eine Teilzeitstelle hat, nimmt sich einen Anwalt, geht vor Gericht. Dort hört sie, ihre Arbeit habe ohnehin oft zu wünschen übrig gelassen. Und am Ende urteilt der Richter knapp: „Frau Wiener, wenn die Teilzeitstelle organisatorisch ein Problem für Ihren Arbeitgeber ist, dann müssen Sie eben voll oder gar nicht arbeiten.“

Doch „voll arbeiten“ ist ein Problem für Anne Wiener, nicht nur organisatorisch. Erstens hat der Kindergarten nur bis 16 Uhr geöffnet und eine Tagesmutter zusätzlich wäre so teuer, dass ihr gesamtes Gehalt dabei drauf ginge. Und zweitens: „Ich wollte meine Kinder nicht ganztags abgeben, sondern weiterhin nachmittags Zeit für sie haben.“

Anne Wiener gehört zu einer neuen Generation von Müttern. Sie wollen ihre gute Ausbildung nutzen und auch Karriere machen. Doch vor allem: Sie wollen selbst bestimmen, wie sie ihre Zeit zwischen Job und Familie aufteilen. „Für mich bedeutet Emanzipation, dass ich die Wahl habe“, sagt sie.

Laut Gesetz haben Mütter und Väter in Deutschland angeblich heute diese Wahl.  Mütter haben ein Recht auf einen Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Und auch Väter können Elternzeit nehmen. Jeder siebte bleibt inzwischen sogar zwölf Monate beim Kind. Trotzdem sind wir noch weit entfernt von einer Gesellschaft mit selbstbestimmten Rollen.

77 Prozent der Frauen mit Kindern unter drei Jahren in Westdeutschland und 67 Prozent in Ostdeutschland bleiben noch immer zu Hause, während ihr Mann das Geld verdient. Dabei ist für neun von zehn dieser Frauen der Beruf gleich „persönliche Unabhängigkeit“. Zwei von drei hätten darum gerne eine Teilzeitstelle.  Übrigens: Auch drei von vier Männern würden gerne die Arbeitsstunden zu Gunsten der Familie reduzieren – doch die meisten bleiben voll berufstätig.

Das Problem? Es steckt in den Köpfen!  Sowohl in denen vieler ChefInnen, als auch in denen so mancher Mütter und Väter. Für diese Vorgesetzten sind alle jüngeren Frauen potenzielle Mütter – und Mütter machen Probleme: Sie nehmen häufig Auszeiten. Und wenn sie wiederkommen, bringen sie keine volle Leistung, weil sie in Gedanken bei den Hausaufgaben der Kinder sind. Oder sie fehlen, sobald das Kind einen Schnupfen hat. So weit das Klischee, das jedoch einen realen Kern hat.

Doch gleichzeitig sind Mütter hoch motiviert und besonders qualifiziert. Jede dritte von ihnen hat sich während der Familienphase weitergebildet. Das ergab eine Studie der Bundesagentur für Arbeit. Und: Mütter haben außergewöhnliche Sozialkompetenzen, Führungsqualitäten und Kommunikations- und Durchsetzungsfähig keiten. Das fand Birger Priddat, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Witten, heraus. Denn Mütter organisieren das „Kleinunternehmen Familie“, so albern der von der Werbung erfundene Begriff „Familienmanagerin“ auch klingt.

„Man kann darüber reden, so viel man will, bei vielen stecken die falschen Vorurteile einfach fest“, klagt Martine Herpers. Und deshalb hat die Informatikerin mit Führungsposition gehandelt. Sie initiierte die „Nürnberger Resolution“, in der sie fordert, 40 Prozent der Positionen in Aufsichtsräten mit Frauen zu besetzen.

Herpers ist einfach überzeugt, dass sich an den Schwierigkeiten von Eltern beim Wiedereinstieg in den Job und an den Problemen vieler Frauen, Karriere zu machen nur etwas ändern wird, wenn mehr an der Macht sind. „Ich war lange gegen Zwangsregelungen“, sagt die Mutter einer 14-jährigen Tochter, „aber alles andere, vom Mentoring bis zum Girls Day, bewirkt zu wenig“.

Das 40-Prozent-Modell dagegen hat in Norwegen schon voll durchgeschlagen. Sitzen in deutschen Unternehmen ohne Betriebsrat nur in etwa drei Prozent der Top-Positionen Frauen, sind es in Norwegen inzwischen 41 Prozent! Warum es dort klappt? „Die Herren an der Spitze fürchten finanzielle Einbußen“, sagt Martine Herpers. Denn wer sich nicht an die 40 Prozent hält, kann zum Beispiel den Status der Firma als Aktiengesellschaft aberkannt bekommen, ein herber finanzieller Schlag.

Wer nicht hören will, muss zahlen. Was viele Chefs nicht sehen, ist, dass sie schon jetzt kräftig draufzahlen, wenn sie die Mütter draußen lassen. Die Firmen mit den meisten Frauen im Vorstand erzielen im Vergleich zu solchen ohne weibliche Manager eine bis zu 48 Prozent höhere Umsatz - rendite. Aktienkurse entwickeln sich besser, und Gewinne fallen erheblich höher aus. Das belegen Studien der Unternehmens - beratung McKinsey.

Und die Mütter und Väter? Was könnten die besser machen? „Sie müssen den Wiedereinstieg nach der Elternzeit gut planen“, erklärt Evelyne Freitag von der berufundfamilie GmbH. Die vergibt das Zertifikat „Familienfreundliches Unternehmen“ unter der Schirmherrschaft des Bundesfamilienund des Bundeswirtschaftsministeriums.  Gut planen heißt: Vor der Elternzeit mit dem Vorgesetzten klären, wie der Wiedereinstieg für beide funktionieren kann. Und die Elterzeit auch für den Job sinnvoll nutzen.

Also: Kontakt zur Firma halten, Vertretungen übernehmen, sich weiterbilden. Hört sich einfach an, doch Evelyne Freitag weiß nur zu gut: „Es ist verlockend, zu sagen: Ich nehme erst mal die Auszeit, und dann schaue ich, wie es weitergeht.“ Manchmal geht es selbst dann nicht weiter, wenn man eigentlich alles richtig macht: Julia Schulz ist auch so eine Spielplatz-Kandidatin. Sie war Sachbearbeiterin bei einem großen Tabakkonzern. Und durfte hoffen, nach der Geburt ihrer Tochter Clara wie besprochen in Teilzeit wieder in den Job einsteigen zu können.  Sie hatte Kontakt gehalten, und die Firma hat ein Zertifikat als „Familienfreundliches Unternehmen“.

„Don’t worry, wir kriegen das hin“, versicherte man ihr während der Elternzeit. Darauf verließ sich Julia Schulz, denn es war von Anfang an klar: Ihr Mann konnte seine Arbeitsstunden nicht reduzieren. Die Mutter musste also nachmittags zu Hause sein.

Doch dann hatte ihr Vorgesetzter plötzlich „organisatorische Bedenken“. Julia Schulz erarbeitete Konzepte, wie ihre Teilzeit funktionieren könnte, schlug unter anderem ein Job-Sharing mit einer Kollegin vor. Die Reaktion ihres Chefs kannte sie bis dahin nur von ihrer kleinen Tochter: „Als ich meine Konzepte vor gestellt hatte, stampfte er mit dem Fuß auf und fauchte: Ich will das aber nicht!“, erinnert sie sich. Beim zuständigen Personaler ging es ihr nicht viel besser. Er begrüßte sie mit „Hallo Mutti“ und kündigte an, die Unterhaltung mit ihr werde ohnehin nur fünf Minuten dauern.

Julia Schulz nahm sich einen Anwalt, bekam eine Abfindung und verlor ihren Traumjob. Doch nicht nur den, sondern auch fünf Kilo Körpergewicht und ihren Schlaf in vielen Nächten, in denen sie Wut und Enttäuschung quälten.

Auch Anne Wiener berichtet von schlaflosen Nächten und davon, dass es ihr immer schwerer fiel, den Kampf um ihren Job objektiv zu sehen. „Am Schluss hatte ich das Gefühl, sogar der Herr am Empfang sei unfreundlich zu mir, obwohl der natürlich nichts von alldem wusste.“ Sie zog sich aus der Branche zurück, suchte sich einen neuen Job als Ernährungsberaterin in Schulen. Der macht ihr Spaß. Aber sie sagt auch: „Schreiben ist meine Leidenschaft, und ich vermisse es sehr.“

Dann fang wieder damit an und nimm den ungerechten Rauswurf nicht so persönlich!, möchte man ihr (und vielen anderen geschassten Müttern) zurufen und ihnen empfehlen, einfach „männlicher“ zu werden. Denn: „Frauen beziehen Kämpfe wie den um den Job oft mehr auf sich als auf die Sache“, sagt die Management-Trainerin Mechthild Erpenbeck. Männer dagegen erleben die Situation als ein Aushandeln formaler Rollen.

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind und wollen wieder arbeiten. Ab August diesen Jahres. Ihr Chef braucht Sie ganze Tage. Teilweise im Schichtdienst. Ihr Kind müsste immer ab sieben Uhr morgens betreut werden, manchmal bis um 19.30 Uhr abends. Sie fragen im Kindergarten nach. Dort erfahren Sie, dass man Ihnen leider erst im Mai sagen kann, ob Ihr Kind ab August einen Platz haben wird. Außerdem ist der Kindergarten montags bis donnerstags von 8 bis 17 Uhr geöffnet, freitags schließt er um 15 Uhr.

Sabine Winkelmann, Reiseverkehrskauffrau, 45 Jahre, verheiratet, hat genau dieses Problem und ist selbst gespannt, wie sie es bis August lösen wird. Und ihr Mann?  Kann der nicht ab und zu auf den zweijährigen Sönke aufpassen? Nein, er kann tatsächlich nicht, denn er arbeitet alle paar Tage an einem anderen Ort in Europa.

Anne Wiener bringt das Problem auf den Punkt: „Wenn ein Mann arbeiten geht, hat er meist eine Frau, die ihm den Rücken freihält. Wenn eine Frau arbeiten geht, muss sie sich selbst den Rücken freihalten.“ Sie macht ihrem Mann allerdings keinen Vorwurf, da er schon bei der Fami - lienplanung gesagt hatte, dass er sich nicht beteiligen kann an der Kinderbetreuung.

Aber was ist mit all den Vätern, die eigentlich mehr Zeit für ihre Kinder wollen? Jeder zweite hat Angst vor einem Karriereknick. Und die meisten reißen sich auch nicht um die Hausarbeit. Die Studie „Women Matter“ der Unternehmensberatung McKinsey beweist: Deutsche Frauen verbringen knapp doppelt so viel Zeit mit Waschen, Kochen und Putzen wie ihre Männer. Ob sie nun einen Job haben oder nicht. Auch da liegt ein Hund begraben. Also bitte nicht nur auf dem Spielplatz gemeinsam mit anderen Frauen darüber schimpfen. Mehr Mut, ihr Mütter! Auch zur Auseinandersetzung mit den Vätern!
 

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