Vergewaltigung: Maximale Verteidigung

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Verteidiger Günter Tondorf springt auf: "Unser Mandant wird die Vorwürfe anders darstellen. Und es wird sich noch zeigen, ob nicht große Teile des Geschehens freiwillig erfolgten." Wieder einmal gilt es, die Glaubwürdigkeit einer vergewaltigten Frau zu erschüttern, sie zur Mitschuldigen zu machen. 

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Wenn ein Mann eine Frau vergewaltigt, wird sie der Mittäterschaft verdächtigt. Angefangen bei den Zehn Geboten bis hin zum Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland durfte im Rahmen gültiger Urteilsfindung und Rechtsprechung die Verteidigung des angeklagten Vergewaltigers bislang hoch immer davon ausgehen, dass die Öffentlichkeit die betroffene Frau vage und vorurteilsvoll verdächtigte: Denn durch die an ihr begangene Vergewaltigung hatte sie ein weiteres Mal "ihre Unschuld verloren".

Vor dem Düsseldorfer Landgericht wurde am 19. November 1984 der Prozess gegen den schwerreichen 46jährigen Kabelfabrikanten Dieter E. und dessen 18 Jahre jüngere Ehefrau Helma E. eröffnet. Beide wurden angeklagt, die damals 16-jährige Sylvia H. gefoltert und vergewaltigt zu haben und zu diesem Zweck seit Februar 1982 die junge Frau 466 Tage lang in einem Kellerraum in Ketten gelegt und gefangen gehalten zu haben. 

Doch die Verteidiger bezweifeln, dass "perverse Sexualpraktiken – wenn überhaupt - gegen den Willen" von Sylvia vorgenommen wurden. Ganz im Sinne der maximalen Verteidigung erklärte Rechtsanwalt Tondorf gegenüber Quick, er sei davon überzeugt, das Opfer Sylvia (von der Boulevardpresse gern "Sklavin Sylvia" genannt) habe bei der Polizei zu Protokoll gegeben, was sie in "zahlreichen Pornofilmen mit sadomasochistischem Einschlag" gesehen habe. Das Vernehmungsprotokoll lese sich jedenfalls "wie eine Inhaltsangabe solcher Streifen".

Zwei Monate zuvor indessen war in Berlin genau diese jahrein, jahraus erfolgreiche und darum übliche Strategie der Verteidigung in Vergewaltigungs-Prozessen mit lautem Getöse gescheitert. Am 12. September 1984 wurden die beiden Gynäkologen der Berliner Pulsklinik zu jeweils zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Sie waren der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung einer Kollegin in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angeklagt gewesen.

Ihre beiden Verteidiger Peter Danckert und Gerhard Jungfer, zwei als gemeinhin "progressiv" geltende Rechtsanwälte, hatten nichts ausgelassen, um die vergewaltigte Ärztin als "sexbesessenes Monster" und "Hysterikerin" darzustellen. Danckert und Jungfer hatten ihre angeklagten Mandanten gegenüber der als Nebenklägerin im Prozess aufgetretenen Frau "so brutal verteidigt" (Spiegel), dass sie sich zwei Wochen später auf dem "Ersten Republikanischen Anwaltstag" im Berliner Logenhaus einer heftigen Kollegen-Kritik gegenübersahen. Rund 300 Juristinnen und Juristen diskutierten die Frage, ob künftig durch eine entsprechende Änderung der Strafprozessordnung bei angeklagter Vergewaltigung die Fragen nach dem vorherigen und augenblicklichen Intimleben der betroffenen Frau einzuschränken oder sogar ganz zu verbieten seien.

Alle vier bis sieben Minuten wird in der BRD eine Frau vergewaltigt

Das ist das Wenigste, was sich endlich sagen lässt. Endlich nach über acht Jahren: Auf dem ersten "Internationalen Tribunal über Verbrechen gegen Frauen", das am 8. März 1976 in Brüssel als "der Beginn einer radikalen Entkolonisierung der Frau" (Simone de Beauvoir) eröffnet wurde, kam auch die Art der Vergewaltiger-Verteidigung auf die schwarze Liste zur "allgemeinen sexistischen Gewalt gegen Frauen".

Am 1. November 1976 wurde in Berlin das erste autonome Frauenhaus für geschlagene und vergewaltigte Frauen eröffnet, nachdem noch sechs Monate zuvor Ex-Familienministerin Katharina Focke in einem Fernsehfilm ihr Desinteresse an dem Projekt bekundet hatte. Im Sommer 1977 richteten Berliner Rechtsanwältinnen den ersten Notrufdienst für vergewaltigte Frauen ein.

In den USA war bereits 1975 das Buch der amerikanischen Feministin Susan Brownmiller "Gegen unseren Willen" ("Against our will") zu einem Bestseller geworden. Erst drei Jahre später erschien es auf dem deutschen Buchmarkt: Vergewaltigung als der höchste Ausdruck der Erniedrigung einer Frau durch einen Mann. Vergewaltigung als stärkste Waffe der gesamten Männergesellschaft gegenüber Frauen. Vergewaltigung als Ausdruck von Macht; in Kriegszeiten immer wieder straflos begangen an den Frauen der Besiegten; in Friedenszeiten ein Kavaliersdelikt des Mächtigen, der "nicht anders konnte", gegenüber der Machtlosen, die "dazu verleitete".

"Es ist nicht ungewöhnlich für Frauen, von dem Mann vergewaltigt zu werden, der sie zuvor zum Essen eingeladen hatte", schrieb bereits im August 1981 die englische Journalistin Barbara Jeffery im "Guardian". Der Mann glaube, "als Gegenleistung Anspruch auf den Geschlechtsverkehr zu haben. Männer bezeichnen es nicht als Vergewaltigung, wenn sie der Frau zuvor einen Drink bezahlt haben, sie eine Prostituierte oder Schwarze oder seine Sekretärin ist." Und: "Männer, die Frauen vergewaltigen, sind meistens normal. Die Zahl der psychisch Kranken unter ihnen ist nicht größer als im normalen Durchschnitt. Was immer Vergewaltigung ist, sie ist kein Ventil für sexuelle Gefühle, Vergewaltigung ist nicht sexy."

Im selben Monat desselben Jahres bezeichnete es dagegen in Deutschland der Spiegel noch als "schiere Scharfmacherei", dass es für Susan Brownmiller weniger zählte, ob eine Haftstrafe "tatsächlich rehabilitiert", als die Frage, ob der Vergewaltiger "die Strafe erhält, die sein Verbrechen verdient". Denn die erhält er meistens nicht: Alle vier bis sieben Minuten wird in der Bundesrepublik eine Frau vergewaltigt.

Vergewaltigte Frauen: nicht grundsätzlich als Nebenklägerinnen zugelassen

Nur einer von etwa 125 Vergewaltigern aber wird verurteilt. Lediglich 18 Prozent der Vergewaltigungen werden im Freien, im Park, auf der Straße begangen. Alle anderen in geschlossenen Räumen, denn zu über 70 Prozent sind Vergewaltigungen reine Beziehungstaten: Der Mann kennt sein Opfer in 90 Prozent aller Fälle.

Seit Beginn der Frauenbewegung ist die seit Jahrhunderten totgeschwiegene und zur Privatsache erklärte Vergewaltigung nicht länger ein Tabu. Auf Kongressen, in Untersuchungen und in den ersten rechtstheoretisch wichtigen Schriften der Juristin Alisa Schapira hat es seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre immer wieder Forderungen nach mehr gesetzlichem Schutz für die vergewaltigte Frau gegeben. Was in bundesdeutschen Gerichtssälen und in der Rechtsprechung nicht gleich auf offene Ohren stieß.

Jahre später schlägt sich die Kritik der Feministinnen endlich nieder. Die Dreistigkeit, mit der in Berlin wieder einmal zwei Rechtsanwälte versucht haben, eine vergewaltigte Frau gesellschaftlich zu vernichten, hat die uneingeschränkten Möglichkeiten der maximalen Verteidigung in Vergewaltigungsprozessen auf Kosten des Opfers zweifelsfrei als zweite Vergewaltigung entlarvt.

Spiegel-Redakteur Gerhard Mauz: "Es muss endlich, wie lange wird darüber schon geschwätzt, ein Ablauf für Strafprozesse dieser Art gefunden werden, der nicht an Schrecklichkeit wiederholt und übertrifft, wovon sie handeln." (Spiegel 38/1984)

Auf dem 55. Deutschen Juristentag Ende September in Hamburg befürwortete denn auch als Konsequenz zu dem Berliner Prozess-Skandal der konservative Deutsche Richterbund die grundsätzlich zugelassene Nebenklage für Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Nur knapp unterlag ein dahingehender Antrag bei der Abstimmung.

Etwa drei Viertel der Verfahren wg. Sexualstraf-
taten werden eingestellt

Noch immer können vergewaltigte Frauen "als Nebenklägerin nur zugelassen werden über den Umweg verschiedener Delikte wie Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Beleidigung unter anderen. Wir haben", schreibt die Mainzer Rechtsanwältin und Mitarbeiterin der Mainzer Notruf-Gruppe, Katharina Engel, "die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen über die Strafantrag Stellung nicht informiert sind beziehungsweise von der Polizei auch nicht informiert werden."

Etwa drei Viertel aller Ermittlungsverfahren wegen Sexualstraftaten werden eingestellt. In nahezu dreißig Prozent aller Gerichtsverfahren kommt es zu keiner Verurteilung. Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung der Sexualmedizinischen Forschungsstelle der Universität Kiel (Wolfgang Kröhn, veröffentlicht in "Sexualmedizin" 3/84) würden 38 Prozent der vergewaltigten Frauen eine weitere Vergewaltigung unter keinen Umständen mehr anzeigen.

Helmut Kerscher in der Süddeutschen Zeitung: "Das ist fürwahr eine Niederlage des Rechtsstaates, wenn Verbrechensopfer nach dem Strafverfahren vom schrecklichsten Erlebnis ihres Lebens' reden. Dagegen muss etwas unternommen werden."

Erste Voraussetzung ist, dass sich die Öffentlichkeit, die Justiz eingeschlossen, endlich von ihren falschen Vorstellungen verabschiedet: Sowohl das Täter- wie auch das Opfer-Bild, von dem bei Vergewaltigungen ausgegangen wird, stimmen nicht. Der Vergewaltiger ist kein Monster, kein Ausnahmemann, sondern der Mann von nebenan, der eigene Sohn, Vater, Freund, Ehemann. Aufgrund der nun über Jahre geführten Aufzeichnungen in allen Frauenhäusern wissen wir längst, dass Vergewaltigung vorwiegend in der Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis verübt wird. Frauen und Mädchen werden vom Ehemann, Vater, Großvater, Bruder, Onkel, Schwager, vom Nachbarn, Schulkamerad, Bekannten, vom Handwerker, Arzt, Lehrherrn, Chef, vom Freund oder vom Freund des Freundes vergewaltigt; in der Familie nicht selten über einen langen Zeitraum, was die Tat zur mehrfachen Wiederholungstat macht. Doch gerade aus diesem Kreis werden die wenigsten Täter angezeigt, und wenn, nur sehr milde bestraft. Ihre Opfer aber schämen sich und werden in Angst und Demütigung gehalten.

Die Rechts-
sprechung geht fast immer von der Mitschuld des Opfers aus

Schon vor drei Jahren ermittelte der Sozialwissenschaftler Kurt Weis im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dass unsere Gesellschaft mehrheitlich die Vergewaltigung "lieber als Verführung" definiert und dem Opfer eine Mitschuld, wenn nicht sogar die alleinige Schuld gibt. Fast 60 Prozent sind der Meinung, dass eine Frau, die vor der Tat schon einmal intime Beziehungen mit dem Täter hatte, die Vergewaltigung erst gar nicht anzeigen sollte.

"Ich habe den dringenden Wunsch, dass wir Möglichkeiten und Wege suchen, damit diesen Frauen, und nicht den Frauen, die sowieso schuld daran sind, dass man sie vergewaltigt, nein, den Frauen, denen Unrecht geschieht, auch wirklich Recht zukommt, und dass bei der Polizei, beim Gericht und bei uns selbst das Bewusstsein dafür gestärkt wird, dass nicht jede Frau ein Flittchen ist, das vergewaltigt werden kann." Für diese Einteilung vergewaltigter Frauen in solche, die es nicht besser verdienen und in solche, die eigentlich anständige Unschuldige sind, erhielt die FDP-Abgeordnete Frau Schneider im Niedersächsischen Landtag laut Sitzungsprotokoll vom 21. Juni 1984 "lebhaften Beifall" auch von der CDU und SPD.

Die Juristin Alisa Schapira hat in zahlreichen Kommentaren zu Verurteilungen bei Vergewaltigung schon vor Jahren nachgewiesen, dass die Rechtsprechung fast immer von einer Mitschuld des Opfers ausgeht. Die Frau müsse stets davon ausgehen -so die unter Polizisten, Staatsanwälten, Richtern und Verteidigern weit verbreitete Ansicht, dass ein Mann "natürlicherweise" immer darauf aus ist, "die Frau ins Bett zu kriegen".

Am Beispiel zahlreicher Urteilsbegründungen belegt Alisa Schapira, dass die Rechtsprechung von einem "gewissen" nie näher bestimmten Maß an körperlicher Gewalt als Teil seiner Werbung um sie als durchaus legitim ausgeht. "Diese Gewalt darf solange anhalten, bis ein erheblicher Widerstand der Frau provoziert wird." Erst wenn er ihren Widerstand erfolgreich überwunden hat, ist damit der Tatbestand der Gewalt erfüllt.

Welches Bild weiblicher Sexualität steht hinter den Urteilen?

Oder auch nicht: Wenn keine erheblichen Körperverletzungen erfolgt sind, bleibt sein Angriff auf die Frau unter Umständen straffrei oder war bloß Nötigung, zumal dann, wenn das Gericht davon ausgeht, dass unzüchtige Handlungen an dem Opfer deshalb mit Gewalt vorgenommen wurden, um sie "geschlechtlich zu erregen", sie "zur Einwilligung in den Geschlechtsverkehr" zu bewegen. Das von Männern nicht nur in der Schundliteratur und Pornographie, sondern auch in der Rechtsprechung geprägte Bild weiblicher Sexualität macht das Opfer zur eigentlich Schuldigen.

Alisa Schapira: "Sagt die Frau nein, braucht der Täter dies noch nicht als Widerstand zu interpretieren. Sagt sie ja, darf er ihr glauben, selbst nach einer Bedrohung mit der Lederpeitsche (Bundesgerichtshof 1973). Damit werden die allgemeinen männlichen Verhaltenserwartungen an Frauen fast legalisiert."

Dazu hat im Juli 1981 der Bundesgerichtshof noch einmal schwerwiegende Argumente beigesteuert: Weder "das bloße Fahren zu einer abgelegenen Stelle, an der die mitgeführte Frau Hilfe nicht erwarten kann", noch "Einschließen oder ähnliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit einer Frau, in der Absicht, mit ihr geschlechtlich zu verkehren", seien bereits Anwendung von Gewalt.

Anlass zu diesem denkwürdigen Richterspruch war der Wuppertaler Fall: ein 38-jähriger Malermeister, Ex-Schützenkönig und Judokämpfer, hatte seinen Lehrling, ein 16jähriges Mädchen, mehrfach zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Dass sie aus Angst vor einer Schwangerschaft irgendwann ein Verhütungsmittel nahm, werteten die Herren Richter quasi als Zustimmung. In anderen Bereichen menschlichen Zusammenlebens wird bereits juristisch von Gewalt ausgegangen, wenn etwa ein Autofahrer einen anderen per Lichthupe von der Überholspur verscheucht. 

Seit Menschengedenken nicht strafbar ist innerhalb der deutschen Rechtsprechung die Vergewaltigung der Ehefrau durch ihren Ehemann. Traut sie sich, ihn dennoch anzuzeigen, kann er lediglich wegen Nötigung, eventuell Körperverletzung bestraft werden (§§ 223 und 240 StGB). Vergewaltigt ihr Ehemann aber eine andere Frau, muss er nach § 177 StGB mit weitaus höherer Bestrafung rechnen.

Immer noch nicht strafbar: die Vergewalti-
gung in der Ehe

"Wer wie der Ehemann auf den Beischlaf ein vollkommenes Recht hat, macht sich durch Erzwingung desselben keiner Notzucht schuldig", hieß es bereits vor weit über hundert Jahren "beim Strafrechtspapst Mittermaier" ("Die Zeit"). Auch 1984 gibt es für den Gesetzgeber laut Paragraph 177 ff des Strafgesetzbuches (StGB) nur ausdrücklich die "außereheliche Vergewaltigung", wobei obendrein noch im Strafmaß ein deutlicher Unterschied gemacht wird zwischen erzwungenem Vaginalverkehr oder erzwungenem Oral-und/oder Analverkehr (Paragraph 178 StGB), der nur als sexuelle Nötigung bestraft wird. Denn bei "Vollziehung des Beischlafs" dienen die Strafandrohunggen "auch der Verhinderung unerwünschter Zeugung" (BGH St 16/175). 

Geschützt wird also von dem Gesetz keinesfalls die Frau und ihr ganzheitlich körperliches und sexuelles Selbstbestimmungsrecht - sei sie nun verheiratet oder nicht -, sondern die außereheliche Gebärmutter.

Logisch konsequent entwickelt sich aus dieser Grundhaltung der Frauenyer- und -nichtbeachtung der für männliche Gesetzgeber denkbare Fall der "minder schweren außerehelichen Vergewaltigung" (Paragraph 177, Absatz 2 StGB), der nämlich dann gegeben ist, wenn diese Art der Vergewaltigung der ehelichen Variante etwas näher kommt: Wenn der Mann mit der von ihm vergewaltigten Frau vorher bereits sexuelle Beziehungen hatte: "Kann der Frau ein grundsätzliches Einverständnis mit dem Geschlechtsakt nachgewiesen werden, dann hat sie kein strafrechtlich geschütztes Recht mehr auf die aktive Bestimmung des 2wann" schreibt dazu wiederum die Juristin Alisa Schapira in ihrem Kommentar über "die weit gezogenen Grenzen der erlaubten Gewalt gegen Frauen" (erschienen in "Kritische Justiz").

"Wir betrachten diesen Missbrauch eines bestehenden Vertrauensverhältnisses zwischen Täter und Opfer", schreibt die Vereinigung Berliner Rechtsanwältinnen in der feministischen Rechtszeitschrift "Streit" vom Juni 1984, "eher als ein strafschärfendes Moment". Nicht so die deutsche Rechtsprechung hinsichtlich Vergewaltigung, wiewohl sie bei anderen Straftaten wie etwa Raub, Betrug oder auch körperliche Gewalt (Totschlag, Mord) unter Umständen erschwerend bewertet, wenn es zwischen Täter und Opfer ein Vertrauensverhältnis gab.

Die Grenzen der erlaubten Gewalt gegen Frauen sind weit gezogen

Bezeichnend für die allgemeine Ignoranz bis Geringschätzung gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Frau ist es, dass sowohl die Bundestagsfraktion der SPD als auch die der Grünen bei ihrem gewiss löblichen Antrag auf Änderung des Strafgesetzbuches das Wort "außerehelich" im Zusammenhang mit Vergewaltigung zwar gestrichen sehen wollten, den "minder schweren" Fall von Vergewaltigung (§ 177, Abs. 2 StGB) aber nicht antasteten und obendrein durch einen neuen 4. Absatz noch sehr gesetzlichen wie gesellschaftlichen Druck auf die vergewaltigte Frau zulassen wollten: Strafmilderung oder gar Straflosigkeit für den Vergewaltiger nämlich, "wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Bindungen zwischen der Frau und dem Täter geboten ist". Der gesamte Änderungsantrag scheiterte indessen bereits am Bundesrat. Justizminister Engelhard ließ am 12. Januar 1984 wissen, er halte wenig davon, "etwa die Vergewaltigung in der Ehe zu einem besonderen Straftatbestand zu machen".

Während etwa in Schweden und der UdSSR die Vergewaltigung- ob Beziehungstat oder nicht - mit drei bis sieben Jahren bestraft wird, in den USA dank der Frauenbewegung inzwischen in 19 Bundesstaaten die Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist, in Frankreich bereits im August 1978 ein Gesetzentwurf eingebracht wurde (nachdem bei Vergewaltigung das mit neun Personen besetzte Schwurgericht mindestens vier weibliche Geschworene haben muss und dem Opfer die erniedrigenden Verhöre vor Gericht dadurch erspart bleiben, indem die Ärzte das Untersuchungsergebnis  unmittelbar an die Staatsanwaltschaft schicken) - während all dies in anderen Ländern passiert, zeichnet sich in der Bundesrepublik erst jetzt nach dem skandalösen Verfahrensablauf im Berliner Gynäkologen-Prozess so etwas wie beginnende Einsicht ab, den seit Jahren erhobenen Forderungen von Feministinnen nachzugeben: 

Polizei - psychologische Aufklärung und Bewusstseinsbildung bei Vernehmungsbeamten; nach Möglichkeit weibliche Polizisten. 

Staatsanwaltschaft – Sonderdezernat unter der Leitung einer ebenfalls entsprechend vorgebildeten Staatsanwältin.

Nebenklage - sie muss bei Vergewaltigung grundsätzlich zugelassen, ja, institutionalisiert sein, und zwar auf Kosten der Staatskasse, denn sehr oft haben Frauen kein eigenes Einkommen. Frauen werden, wenn sie als Opfer einer Vergewaltigung vor Gericht den juristischen Schutz der Nebenklagevertretung in Anspruch nehmen, sehr oft von der meist männlichen Drei-Einigkeit Richter-Staatsanwalt-Verteidiger versehentlich und fast ebenso oft unkorrigiert als "Angeklagte" angesprochen, während sie als Zeugin (und Opfer!) vernommen werden. 

Eingeschränkte Zeugin-Befragung - Auffällig wie bezeichnend ist es, dass allein bei sogenannten Sexualdelikten die Staatsanwaltschaft sich widerspruchslos die eigene, oft einzige Zeugin von der Verteidigung "rausschießen" (Juristen-Jargon), nämlich als unglaubwürdig hinstellen lässt und obendrein selbst dazu beiträgt. Denn absurderweise ist ja nicht das sexuelle Vorleben des Angeklagten, sondern ausschließlich das des Opfers für Verteidiger, Staatsanwalt und Richter von Interesse. Da dieses Ausfragen der Zeugin nicht dazu dient, ihre Glaubwürdigkeit, sondern "die Schuld" des Opfers zu ermitteln, und zwar nach Kriterien subjektiv geprägter Moralbegriffe, gibt es die Forderung, die Fragen nach dem Intimleben der Zeugin zeitlich auf die Beziehung mit dem Täter zu begrenzen. Vergleichbar dem im Juni 1974 verabschiedeten Michigan Sexual Offences Act (US-Bundesstaat Michigan), nach dem alle Fragen zur sexuellen Vergangenheit des Opfers unzulässig sind mit Ausnahme solcher Fragen, die sich auf frühere sexuelle Kontakte mit dem Täter beziehen.

Ausschluss der Öffentlichkeit – In Großbritannien sind nach dem Sexual Offences (Amendement) Act von 1976 ebenfalls solche Fragen generell nicht zugelassen. Es bleibt dem Verteidiger jedoch die Möglichkeit, weitergehende Fragen zu stellen, wenn das Gericht sie zulässt, allerdings dann nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit und (!) der Geschworenen. - Da es aber zunehmend die Öffentlichkeit ist, die sich hierzulande (zuletzt in Berlin) über die das Opfer diskriminierende Prozess Führung empört, also eine sinnvolle Kontrolle ausübt, wäre zu überlegen, ob nicht in einem Vergewaltigungsprozess auch der Angeklagte (nicht sein Verteidiger!) vorübergehend von der Verhandlung auszuschließen ist, was schon heute rechtlich möglich ist. Wenn überhaupt aber Ausschluss der Öffentlichkeit, dann nur auf Antrag der Nebenklägerin.

•  Definition des Begriffs Vergewaltigung - In den Paragraphen 177, 178 und 179 des Strafgesetzbuchs soll das Wort "außerehelich" ersatzlos gestrichen werden. Ebenso soll hinsichtlich der angewandten Gewalt kein Unterschied gemacht werden zwischen erzwungenem Vaginal oder Oral- und Anal-Verkehr. Die Form von "minder schwerer" Vergewaltigung (§ 177, Abs. 2 StGB), nach der Begründung einer Beziehung zwischen Täter und Opfer oder weil die vergewaltigte Frau unter Umständen Prostituierte ist, soll es nicht mehr geben.

"Etwas vom Schlimmsten, was in unserer Gesellschaft passiert, ist ja die körperliche Vergewaltigung, jetzt nicht nur im sexuellen Sinne, sondern überhaupt die körperliche Vergewaltigung Schwächerer durch Stärkere. Ich finde, was hier zum Teil im Verhältnis von Mann und Frau geschieht an psychischen und physischer Erniedrigung und Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, das kann nicht totgeschwiegen werden." - So sprach im November 1982 in einem Interview mit EMMA Familienminister Heiner Geißler. Und da hat er ausnahmsweise mal recht.

Der Artikel erschien in der EMMA 1/1985.

 

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