Alice Schwarzer schreibt

Warum sollen sie schweigen?

Alice Schwarzer fragt: Soll diese kleine radikale Minderheit mit vereinten Kräften definitiv platt gemacht werden? - Foto: IMAGO
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Sie kleben sich mit bloßen Händen auf der Straße fest. Das ist ärgerlich. Für die Autofahrer, die nicht weiterfahren können und sich um Minuten, vielleicht auch mal eine Stunde verspäten. Ärgerlich auch für die Polizei, die die Protestierenden von der Straße runterholen muss. Kurzum: „Die letzte Generation“ ist ein Ärgernis. Aber genau das will sie sein.

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Sie will Aufmerksamkeit erregen. Nicht für sich, die AktivistInnen sind bisher namenlos, sondern für die gute Sache: Für die Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe.

Dazu werfen sie keine Pflastersteine oder Molotowcocktails auf Polizisten, wie ihre 68er-Großeltern (darunter der spätere grüne Außenminister Fischer). Wegen ihnen müssen nicht halbe Tage lang ganze Straßenzüge gesperrt werden, wie für ihre demonstrierenden Schwestern und Brüder von "Fridays For Future". Sie wollen keine Revolution und fordern nicht den Sturz der Regierung. Sie kleben sich an und neuerdings besprühen sie auch Häuser, Autos und sogar ein Flugzeug. Und trotzdem verfolgt man sie in Deutschland härter als alle Protestbewegungen der letzten Jahrzehnte.

Man verfolgt sie härter, als alle Protest-Bewegungen der letzten Jahrzehnte

Man steckt sie ins Gefängnis, wie die 24-jährige Maja Winkelmann. Die wurde am 26. April in Berlin zu vier Monaten Haft verurteilt, ohne Bewährung (siehe Foto). Was hat sie getan? Maja hatte sich auf dem Hohenzollerndamm festgeklebt und, zusammen mit einer Freundin, am Rahmen (!) eines Bildes von Lucas Cranach („Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“). Die Strafe ist ungewöhnlich hoch in Relation zum Delikt und soll wohl ein Exempel statuieren. Majas Anwalt hat Einspruch gegen das Urteil eingelegt.

Bisher hat es noch keine Klebe-AktivistIn so hart getroffen wie Maja. Aber manche werden von Autofahrern sehr brutal und mit Tritten von der Straße gezerrt. Und das Land Bayern lieferte Ende Mai einen Paukenschlag: 170 Beamte durchsuchten bundesweit 15 Wohnungen und Geschäftsstellen, Spendenkonten wurden beschlagnahmt. Der Vorwurf lautet: „Verdacht auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“.

Wie bitte? Zur Erinnerung: Es geht hier nicht um die in Deutschland, trotz aller flehenden Bitten von Italien, jahrzehntelang ignorierte Mafia. Es geht auch nicht um islamistische Organisationen oder Netze, die mit ihrer Unterwanderung der Demokratien und Terrorakten die ganze Welt in Schrecken versetzen. Es geht lediglich um ein paar Dutzend AktivistInnen der „Letzten Generation“ (Die sich so nennen, weil sie fürchten, die letzte Generation vor dem Klimauntergang der Welt zu sein.)

Diese Protestierenden verletzen niemanden, höchstens sich selbst. Sie verursachen Sachschaden, aber sehr begrenzt. Sie halten den Verkehr auf, aber weniger als jeder Marathonlauf. Doch: Sie erregten in den vergangenen Monaten in Deutschland mehr Aufmerksamkeit als die weltweite "Fridays-for-Future"-Bewegung.

Die Aktionen der "Letzten Generation" -
ein elitärerer Protest?

„Völlig bekloppt“ findet der Kanzler die „Letzte Generation“. Fridays-For-Future-RepräsentantInnen hingegen hat er schon zur Teestunde gebeten. Und Fridays-For-Future? Ihre Sprecherin Annika Littmann ermahnt, man dürfe keine Menschen verprellen, „ihnen den ohnehin harten Alltag nicht noch zusätzlich erschweren“. Man brauche „gesamtgesellschaftliche Lösungen. Und die finden und erstreiten wir nur gemeinsam.“

Auch die Grünen belehren den Nachwuchs: „Mit so einem elitären Protest bewirkt die ‚Letzte Generation‘ das Gegenteil. Was wir in der aktuellen Lage brauchen: eine breite Bewegung in der Gesellschaft für Klimaschutzpolitik“ (so die Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic).

Ausgerechnet. Ausgerechnet die Grünen. Die sind zwar mit der Forderung nach Umweltschutz und Frieden an die Macht gekommen – wollen aber nun um jeden Preis auch an der Macht bleiben, koste es auch ihre einstigen Kernüberzeugungen. Und ausgerechnet die AktivistInnen von Fridays-For-Future, die unter dem Beifall der Gebildeten demonstrieren. Ausgerechnet sie distanzieren sich von den KleberInnen.

Und nun soll diese kleine radikale Minderheit also mit vereinten Kräften definitiv platt gemacht werden. Und das mit fragwürdigen, wahrscheinlich unhaltbaren juristischen Argumenten wie dem Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.

Warum trampeln da Elefantenherden über ein paar Mäuse? Fürchten sie die Konkurrenz? Eine Spiegel-Umfrage ergab, dass in den letzten Monaten 15 mal mehr über „Die letzte Generation“ berichtet wurde als über Fridays-For-Future.

Warum trampeln da Elefantenherde
über ein paar Mäuse?

Über diese plötzlich so eskalierende Repression wundern sich nicht nur ein paar RechtsstaatlerInnen in Deutschland, es wundern sich auch Vernunftbegabte in der ganzen Welt. So ließ der Sprecher des UN-Generalsekretärs Guterres gerade verlauten: „Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiter verfolgt.“ Statt sie zu kritisieren und zu verfolgen, sollten sie „geschützt werden. Wir brauchen sie jetzt mehr denn je.“

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Die FAZ-Redaktion machte sich daraufhin die Mühe, die Meldung bis zur Quelle zu verfolgen und enthüllte, der dpa-Korrespondent habe den Sprecher des UN-Generalsekretärs regelrecht zu der Aussage gedrängt.)

Dass Erzkonservative die RebellInnen der „Letzten Generation“ kritisieren – geschenkt. Dass so manche EMMA-Leserin sie kritisch sieht - warum nicht. Dass aber nun auch Linke und Liberale die radikalen ProtestlerInnen mundtot machen wollen und mit keinem Wort gegen Gefängnisstrafen und lebensruinierende Geldstrafen protestieren – das ist neu und ein Skandal!

Mich erinnert das fatal an die späten 60er und frühen 70er Jahre, in denen ein repressiver Staat auch originelle und harmlose Protestformen hart verfolgte. Zum Beispiel das „Pudding-Attentat“ des Kommunarden Fritz Teufel, der eine „Puddingbombe“ gegen den US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey auf Berlin-Visite geworfen hatte. Ja, genau der, der dann in den folgenden Gerichtsverhandlungen beim Eintreten des „Hohen Gerichts“ auf die Aufforderung „Erheben Sie sich!“ mit den unnachahmlichen Worten reagierte: „Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient.“ – Genau dieser Teufel zum Beispiel wurde so in die Enge getrieben, dass er letztendlich untertauchte. Was blieb von diesem Protest, war die Rote Armee Fraktion (RAF), die selbstgerecht mordete.

Ist es das, was der Staat mal wieder will? Einen unbequemen, aber in der Form originellen, zutiefst demokratischen sowie in der Sache berechtigten Protest so radikalisieren, dass eine Minderheit sich letztendlich wirklich radikalisiert – und die Mehrheit eingeschüchtert schweigt?

ALICE SCHWARZER

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