Die Muslimin Zeliha Çiçek wehrt sich

Zeliha Çiçek trug Kopftuch, seit sie 13 war. Weil ihr Vater es so wollte. Jetzt hat sie es abgelegt. Foto: Christoph Kleinsasser
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Den Mund verbieten lässt sie sich nicht. Obwohl es genug Menschen gäbe, die sich genau das wünschen. Zu verrucht, ja obszön finden sie ihr schwarz-gelocktes Haar, den dick aufgetragenen Lippenstift in Scharlachrot. Wer die große, schlanke Frau, die vor Selbstbewusstsein strotzt, heute auf der Straße trifft, kann sich ihr früheres Leben kaum vorstellen.

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Sie legte ihr Kopftuch ab und die einst brave Muslimin klagt gegen die IGGÖ

Lange Zeit war es in Zeliha Çiçeks Familie nicht möglich, gegen Traditionen zu rebellieren. Erst recht nicht für eine Frau. Lange hat sie deshalb geschwiegen. Aber das ist jetzt vorbei. Heute verklagt die einst brave Muslimin die IGGÖ, die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Aber von vorn.

Zeliha Çiçek wird 1977 im 22. Wiener Gemeindebezirk Kaisermühlen geboren. Ab ihrem 13. Lebensjahr trägt sie ein Kopftuch – weil ihr Vater das so wollte. Er sei nicht religiös gewesen, fühlte sich aber den Traditionen der patriarchalischen Gesellschaft verpflichtet, sagt Zeliha. Doch jedes Mal, wenn sie sich das Kopftuch umbindet, schnürt es ihr die Luft weg, raubt es ihr den Atem. „Ich hätte betteln, weinen, schreien können, mein Vater wäre keinen Schritt von seiner Haltung abgewichen. Ich war mein Leben lang fremdbestimmt“, sagt die heute 46-Jährige und trinkt einen Schluck aus ihrem Bierglas. Alkohol trinken war verboten. Genauso wie die eigene Meinung. Mit 14 Jahren wurde sie mit ihrem Cousin verlobt, mit 16 verheiratet. Mit 18 Jahren kommt ihr ältester Sohn zur Welt.

Gehorsam führt sie das typische Leben einer streng gläubigen Muslima. Sie arbeitet als islamische Religionslehrerin, eine andere Ausbildung toleriert ihre Glaubensgemeinschaft nicht. Zeliha akzeptiert die strengen Regeln. Sie schließt sich der islamistischen Bewegung Millî Görüş an, die unter dem Einfluss des türkischen Präsidenten Erdoğan steht.

In deren Frauenschule im 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten absolviert sie ein vierjähriges Theologiestudium, auf Türkisch, steigt bei der Millî Görüş zur Frauenbeauftragten auf, kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit, wird zum Aushängeschild der IGGÖ, der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. „Ich war die Vorzeige-Muslima schlechthin“, beschreibt Zeliha ihr damaliges Leben.

In ihrem Inneren jedoch fühlt sich die junge Frau fehl am Platz, auch in ihrer Ehe mit ihrem gewalttätigen Mann, mit dem sie inzwischen drei Kinder hat. Nach 19 Jahren lässt sich Zeliha 2013 scheiden, bricht endgültig mit der Tradition – und beschließt, ihr Kopftuch abzulegen.

Damit wird sie in den Augen ihrer Glaubensgemeinschaft zur Verräterin, wird kontrolliert und beobachtet. „Sie haben mich heimlich fotografiert, wie ich ohne Kopftuch das Haus verlasse.“ In Österreich entscheidet die jeweilige Glaubensgemeinschaft, wer als ReligionslehrerIn unterrichten darf. In Zelihas Fall war das die IGGÖ. Zunächst wird sie ermahnt. Sie habe sich an die Regeln zu halten, wird ihr ausgerichtet. Schließlich sei sie ein Vorbild für junge Frauen und Mädchen. Nach und nach wenden sich Familie und Freunde von ihr ab. „Du hast mir als Mutter besser gefallen, als du beim Reden auf den Boden geschaut hast“, sagt ihr ältester Sohn in einem ihrer letzten Gespräche zu ihr.

Ich musste mich mein Leben lang an irgendwelche Scheinregeln halten

Die IGGÖ drängt sie aus ihrem Beruf, erlaubt ihr kein unbefristetes Dienstverhältnis, droht ihr damit, ihr ihre  Stammschule wegzunehmen und sie in eine andere Schule außerhalb Wiens zu versetzen.

2020 wollte Zeliha all das nicht länger hinnehmen. Sie zieht vor Gericht und beschließt, die IGGÖ auf Diskriminierung und Verdienstausfall und damit auf insgesamt 60.000 Euro zu verklagen. Der Fall liegt nun vor dem Arbeits- und Sozialgericht in Wien. Die IGGÖ streitet alles ab. Dass Zeliha kein Kopftuch mehr trägt, sei für die Glaubensgemeinschaft „kein Kündigungsgrund“ gewesen, behauptet der Verein.

„Iran, Afghanistan, überall befreien sich Frauen von aufgezwungenen Traditionen. Ich musste mich mein Leben lang an irgendwelche scheinheiligen Regeln halten, weil Allah das angeblich von mir wollte. Das ist aber nicht der Wille Gottes – das ist der politische Islam.“

Die Verhandlung ist für Oktober anberaumt. Wir berichten weiter.

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