Boris Palmer, der Unbequeme

Foto: Universitätsstadt Tübingen/Gudrun de Maddalena
Artikel teilen

Die Kanzlerin hat in den vielen TV-Sendungen zur Wahl immer wieder sinngemäß gesagt: Sie würde in der Flüchtlingsfrage alles wieder genauso machen. Was hätten Sie ihr gesagt, wenn Sie Ihr Duell-Gegner gewesen wären?
Dass mich das wundert. Denn ganz so gut ist es ja nicht gelaufen.

Eine Zuschauerin hat Merkel gefragt, was sie gegen die steigende Zahl an Sexualdelikten durch geflüchtete Männer tun wolle. Die Kanzlerin hat geantwortet, diesen Anstieg gebe es gar nicht, es handle sich um „schlimme Einzelfälle“.
Da wollte sie offenbar der Realität ausweichen. Von Einzelfällen kann man leider nicht mehr sprechen. Schon die Kriminalstatistik für 2016 weist über 3.000 Sexualdelikte von Geflüchteten aus, das sind 10 Prozent aller Tatverdächtigen. Wie man es dreht und wendet, viel zu viele für nur 1,5 Prozent der Bevölkerung. Und 2017 ist bereits jetzt ein weiterer Anstieg sicher.

Sie haben sehr früh thematisiert, was Sie jetzt auch in Ihrem Buch schreiben: Dass unter den Geflüchteten viele junge Männer sind, die eine sehr andere Vorstellung von der Rolle der Frau, von Homosexualität oder Religionsfreiheit haben.
In den ersten Wochen waren die Bilder in den Zeitungen voll mit ­geflüchteten Familien mit Kindern. Bei uns kamen aber überwiegend alleinreisende junge Männer an. Und das war nicht nur in Tübingen so, sondern im ganzen Land. Heute wissen wir: 40 Prozent der Flüchtlinge sind alleinreisende Männer zwischen 16 und 35. Es war mir ziemlich früh klar, dass das Probleme machen wird. Denn Männer in dieser Altersgruppe ohne soziale Anbindung sind in jeder Gesellschaft der Welt ein Problem.

Hat sich Ihre Befürchtung in Tübingen ­bewahrheitet?
Ja. Wir hatten in diesem Jahr leider das ganze Spektrum an Gewalt und Übergriffen, das man befürchten musste. Es gab eine Verurteilung wegen eines Mordes mit einem Döner-Messer an einer Frau, die einen anderen Liebhaber hatte. Das reichte dem Asylbewerber, um die Frau umzubringen. Wir hatten bei einem Open-Air-Festival eine Gruppe von Asylbewerbern, die sexuelle Übergriffe begangen hat. Wir hatten sexuelle Belästigungen in einem Club. Wir haben einen florierenden Drogenhandel im Stadtpark, der ausschließlich von Asylbewerbern betrieben wird. Wir hatten eine versuchte Vergewaltigung durch einen syrischen Asylbewerber an einer Zehnjährigen. Und wir hatten einen Serienvergewaltiger aus Gambia, dem insgesamt vier Frauen zum Opfer gefallen sind. Und das alles innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes. Das liegt weit über dem statistischen Erwartungswert und ist für mich Anlass zu ­großer Besorgnis.

In Ihrem Buch beschreiben Sie die sexuellen Übergriffe durch afrikanische Männer im Jugendclub „Epple“, die ja auch Schlagzeilen gemacht haben. Die jungen Frauen haben Sie anschließend um Hilfe gebeten.
Alle Zeuginnen haben mir beschrieben, dass die sexuellen Übergriffe ausschließlich durch junge schwarze Männer erfolgt sind, die in einer Gruppe aufgetreten sind. Allein, dass ich das öffentlich gemacht habe, hat dazu geführt, dass mir Rassismus vorgeworfen wurde. Ich als Politiker kenne solche Konflikte und muss die aushalten. Die Situation ist aber für die jungen Frauen viel schwieriger. Mir haben 17- oder 18-Jährige geschrieben, dass sie diese Übergriffe ganz schrecklich finden und wollen, dass da hart durchgegriffen wird. Andererseits, schreiben sie, reproduziere es Vorurteile, wenn über solche Übergriffe öffentlich diskutiert wird. Das bringt sie in ein Dilemma. Es ist offenbar für viele ein Thema, dass sie solche Erlebnisse aus einem Schuldgefühl heraus nicht an die Öffentlichkeit bringen wollen. Und wir müssen ihnen helfen, aus diesem Dilemma herauszukommen. Es darf nicht die Alternative zwischen Sexismus und Rassismus aufgemacht werden. Es darf nicht sein, dass ein Opfer von Sexismus schweigt, um nicht als Rassistin dazustehen – und damit weiteren Taten Vorschub leistet. Wenn es junge schwarze Männer waren, dann ist es Teil der Prävention und der Strafverfolgung, dem ins Gesicht zu sehen.

Im Falle des Mannes aus Gambia, der zwei Frauen belästigt und zwei weitere vergewaltigt hat, hatten Sie sich für einen Serien-DNA-Test unter Flüchtlingen eingesetzt. Auch dafür wurden Sie scharf angegriffen.
Zwei Zeuginnen hatten unabhängig voneinander ausgesagt: Wir wurden im Stadtpark von einem jungen schwarzen Mann angegriffen und vergewaltigt. Damit ist klar, dass der potenzielle Täterkreis eng begrenzt ist, denn in Tübingen gibt es sehr wenige junge schwarze Männer, die keine Asylbewerber sind. Der Mann war erkennbar ein Serientäter und hat weitergemacht. Deshalb habe ich gesagt, dass zur Verhinderung weiterer Taten ein Serien-DNA-Test angemessen und richtig ist – übrigens auch im Interesse der schwarzen Asylbewerber in der Stadt. Denn wenn man alle überprüft hat und die waren es nicht, kann man das öffentlich kommunizieren. Ein Gericht hat diesen Serien-Test dann angeordnet. Am Ende  wurde der Täter auch durch einen DNA-Test überführt.

Ihre Kritiker sagen: Warum ist die sexuelle Gewalt durch Flüchtlinge so ein großes Thema? Die meisten Vergewaltigungen finden schließlich im sozialen Nahbereich statt.
Zahlenmäßig stimmt das. Und eine Vergewaltigung ist immer schlimm. Es gibt aber einen Unterschied, und das ist die Wirkung auf andere. Eine Vergewaltigung im Stadtpark beschäftigt die ganze Stadt. Und das hat gravierende Folgen für alle Frauen. Ihr Sicherheitsgefühl nimmt ab, sie gehen nicht mehr allein durch den Park, sie nehmen nicht mehr so am öffent­lichen Leben teil wie vorher. In Tübingen betrifft das Zehntausende Frauen. Deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, Taten mit so einer Breitenwirkung besonders intensiv zu verfolgen. Das ist selbstverständlich keine Rechtfertigung dafür, Taten im Nahfeld zu verharmlosen und schon gar nicht dafür, nichts gegen diese Taten zu unternehmen.

Aber just jene, für deren Schutz Sie sich einsetzen, erklären Sie zum Rassisten.
Der Rassismus-Vorwurf kommt aus dem linksliberalen Milieu und auch da wiederum nur aus einem Teil. Ich habe in meinem Büro auch schon Frauengruppen sitzen gehabt, die mir die dringliche Bitte überbracht haben, auf keinen Fall von meiner Position abzurücken. Sie fühlten sich von den Grünen verraten und könnten überhaupt nicht verstehen, warum wir Frauenrechte für patriarchale Flüchtlingsgruppen opfern. Entscheidend ist, dass wir ein Missverständnis ausräumen. Nämlich, dass es bereits Rassismus ist, wenn man ein tatsächlich vorhandenes Problem mit bestimmten Männergruppen beschreibt. Es ist ein Irrglaube, dass es nützt, das Problem zu ignorieren. Wir müssen die Probleme beschreiben und erklären. Kritisch und tatsächlich auch rassistisch wird es erst dann, wenn man die Eigenschaften einer bestimmten Gruppe allein aufgrund der Herkunft oder gar genetisch erklärt. Das ist natürlich falsch. Es geht hier um soziale Entwicklungen. Es ist ja nachvollziehbar, dass junge Männer, die aus patriarchalen Gesellschaften kommen, die ohne Familie und Freunde hier sind und die in Turnhallen leben, sich problematisch verhalten. An diesen Ursachen kann ich ­ansetzen. Aber wenn ich die Augen zumache und sage: „Das gibt es alles gar nicht!“, dann besteht die Gefahr, dass man weitere Opfer beklagen muss.

Was können Sie als Oberbürgermeister in Ihrer Stadt konkret tun?
Wir haben zum Beispiel mit den Club­betreibern eine Null-Toleranz-Politik vereinbart. Alle sind aufgefordert, bei Übergriffen sofort einzugreifen und den Gästen klarzumachen, dass sie, wenn sie Frauen sexuell belästigen, eine Straftat begehen und die Polizei geholt werden muss. Als der Serienvergewaltiger identifiziert und verhaftet wurde, bin ich mit dem Polizeichef in die Flüchtlingsunterkunft gegangen, in der er gewohnt hat. Wir haben alle Bewohner zusammengetrommelt und ihnen erklärt, was passiert ist und welche Strafe dem Täter droht. Außerdem haben wir ein Informationsblatt verteilt, in dem sexuelle Straftat­bestände erklärt sind und was so eine Straftat für das Asylverfahren bedeutet.

Mit Ihren Positionen sind Sie in Ihrer ­Partei, den Grünen, nicht unumstritten.
Das könnte man so sagen (lacht).

Wie lange dauert es noch bis zum Parteiausschlussverfahren?
Das wird es nicht geben. Es ist für meine Partei eine ganz schwierige Erkenntnis, dass die Menschen, die zu uns gekommen sind, vielfach Wertvorstellungen mitbringen, die vielem, was wir in Deutschland erkämpft haben, entgegenstehen. Einfach, weil in ihren Herkunftsländern die Entwicklung in Sachen Emanzipation etwa 50 Jahre zurückhängt. Vor der Frauenbewegung war ja auch in Deutschland vieles noch ganz anders. Und nun kommen Menschen, die diesen Kampf nicht mitgemacht haben und viele Errungenschaften nicht kennen oder sie sogar ablehnen. Meine Partei muss den schwierigen Spagat aushalten, einerseits humane Flüchtlingspolitik erhalten zu wollen und andererseits die Probleme, die Flüchtlinge mit sich bringen, als real anzuerkennen. Und ich meine: Wir tun gerade der Flüchtlingspolitik keinen Gefallen, wenn wir die Schwierigkeiten kleinreden und so tun, als wären zum Beispiel diese öffentlichen sexuellen Angriffe nichts Besonderes und als hätte es die immer schon gegeben. Erstens stimmt es nicht. Und zweitens merken das die Leute. Wir sollten also offensiv sagen: Ja, die Probleme gibt’s und wir lösen sie! Damit wäre sowohl den Opfern wie auch den Flüchtlingen geholfen. Ich weiß, dass das eine Diskussion ist, die schmerzt. Aber da müssen wir durch.

Das Gespräch führte Chantal Louis.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
 
Zur Startseite