Ein Muslim fordert Reformen!

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Die Idee ist auf den Punkt. Nicht zufällig im Jahr des Luther-Jubiläums schlägt der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi seine 40 Thesen an die Türe eines Gotteshauses. Und zwar nicht irgendeines Gotteshauses, sondern der Berliner Dar-as-Salam-Moschee in Neukölln. Die wurde jüngst noch im Verfassungsschutzbericht erwähnt: wegen ihrer besonderen Nähe zu den ägyptischen Muslimbrüdern (der Keimzelle der Islamisten).

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Was nun steht in den Thesen des in Oran geborenen Deutsch-Algeriers? Zum Beispiel das:

  • Der Koran kann interpretiert werden, man darf ihn nicht wortwörtlich nehmen.
  • Der Prophet Mohammed ist auch nur ein Mensch, und selbst er irrte.
  • Die Frauen des Islam müssen sich erheben, um sich zu befreien.
  • Das Kopftuchgebot ist ein Produkt männlicher Herrschaft, keine religiöse Vorschrift.
  • Der nicht-reformierte Islam ist keine Religion des Friedens.

Der in Freiburg lehrende Islamwissenschaftler ist einer von heute etwa einem Dutzend Frauen und Männer muslimischer Herkunft in Deutschland, die öffentlich und offensiv eine Reform des Islam fordern. Und ein Ende der Zusammenarbeit der Bundesregierung und Kirchen mit rückständigen Islamverbänden; wie der Ditib, dem verlängerten Arm Erdogans in Deutschland, oder dem „Zentralrat der Muslime in Deutschland“. Denn diese Verbände seien keine Glaubensgemeinschaften, sie würden „meist aus dem Ausland gesteuert“ und „einer nationalen, ethischen und politischen Agenda“ folgen.
Ourghi kennt die Islamisten nur zu gut. Er ist 1968 in Oran geboren und in den so genannten „Schwarzen Jahren“ aus Algerien mit einem Studien-Visum nach Deutschland geflohen. Damals, in den 1990er Jahren, verfolgten die Islamisten in seiner Heimat alle frei denkenden Menschen gnadenlos und zettelten einen Bürgerkrieg an, der 200.000 Menschenleben kostete.

Heute bezeichnet Ourghi Deutschland als seine „Heimat“ und kann nicht fassen, dass man hierzulande Islamisten, die inzwischen nicht nur in Algerien verfolgt werden, in Deutschland toleriert, ja sogar hofiert. Er fordert, dass der vielbeschworene Dialog endlich auch mit fortschrittlichen MuslimInnen geführt wird – statt nur mit rückschrittlichen.

In seinem gerade erschienenen Buch, „Reform des Islam“, stellt der Islamwissenschaftler seine 40 Thesen vor (die 40 ist im Islam das Symbol der Vollkommenheit). Er schreibt darin unter anderem: „Die in den muslimischen Gemeinden vermittelte Religion, sei es in den türkischen oder den arabischen Moscheen, ist realitätsfremd. Sie ist nicht zukunftsfähig und verfolgt eine Pädagogik der Unterwerfung, die ihre Anhänger in den westlichen Gesellschaften systematisch isoliert.“

Ourghi spielt damit sowohl auf die islamistische Ideologie der Verbände an, wie auch auf die „Import-Imame“, die oft kein Wort Deutsch sprechen und einen Islam auf den Knien predigen. Der Deutsch-Algerier hingegen steht – wie so viele MuslimInnen – für einen „humanistischen Islam, der mit den westlichen Werten und dem Grundgesetz vereinbar ist“.

Abdel Hakim Ourghi vor der Dar-as-Salam-Moschee.
Abdel Hakim Ourghi vor der Dar-as-Salam-Moschee.

Will Ourghi den Islam schönreden? Nein, sagt er und antwortet dem Deutschlandfunk auf die Frage: „Mir ist bewusst, dass der Islam einfach zurzeit viele Probleme hat. Wir müssen auch über diese Probleme reden, über diese unangenehmen Wahrheiten. Das hat damit zu tun, dass wir Muslime nie gelernt haben, zwischen der Macht der Kanzel und der Macht des Weltlichen zu unterscheiden. Der Islam ist eher eine persönliche, individuelle Beziehung zwischen dem Einzelnen und seinem Gott. Und dazu brauchen wir keine Vermittler.“

Das hören natürlich die Stellvertreter Mohammeds gar nicht gerne. Ihre Macht beruht auf der Rolle des „Vermittlers“ – zwischen Millionen MuslimInnen und Allah. Für sie ist der Koran ein Instrument der Macht.

Ourghi setzt dagegen: „Mir persönlich geht es in erster Linie darum, dass die Muslime anhand der reflektierenden Vernunft den Islam interpretieren und dass sie versuchen, sich von der selbstverschuldeten Knechtschaft zu befreien - diese Knechtschaft, die sich durch den Diskurs von muslimischen Gelehrten im Laufe der Jahrhunderte etabliert hat.“

Für den kritischen Muslim lautet darum die richtige Frage nicht: Gehört der Islam zu Deutschland?, sondern: „Welchen Islam brauchen wir heute in Deutschland?“ Seine Antwort ist eindeutig: „Einen Islam, der reformierbar ist! Der die anderen akzeptiert, wie sie sind, auch die Atheisten.“

Beginnt nun endlich der überfällige echte Dialog?
 

Weiterlesen
Abdel-Hakim Ourghi: Reform des Islam – 40 Thesen (Claudius, 18 €).

 

 

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Ramadan-Marsch ohne Mehrheit

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Herr Ourghi, Ihre Facebook-Seite ist gesperrt worden. Was ist passiert?
Na ja, gestern wollte ich mir meine Facebook-Seite anschauen – aber ich kann mich nicht mehr einloggen. Das ist jetzt das dritte Mal in zwei Monaten! Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Ich vermute, es geht um meine wirklich sehr differenzierte Kritik an islamischen Demonstrationen und Mahnwachen gegen Islamismus und gegen die Gewalt im Namen des Islams. Warum auch immer deswegen meine Seite gesperrt wird ...

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Eine solche Demonstration fand Samstag in Köln statt: der sogenannte "Ramadan-Friedensmarsch". Schon der Name signalisiert ja, dass die Initiative von Orthodox-Religiösen kommt: Ramadan, die islamische Fastenzeit.
Solche Demos sind auch nur kosmetische Korrekturen. Die Lösungen liegen woanders. Das heißt nicht, dass ich Mahnwachen und Demonstrationen nicht wichtig finde. Aber nicht, wenn Muslime hingehen und sagen: „Nicht in meinem Namen!“ Oder: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun!“ Anstatt realitätsnahe Antworten und zukunftsorientierte Lösungen für das Problem der Gewalt im Islam zu finden. Immer nur behaupten "Das alles hat nichts mit dem Islam zu tun", das finde ich naiv.

Lamya Kaddor, die den "Ramadan-Friedensmarsch" in Köln initiiert hat, sagt: MuslimInnen müssten sich nicht von islamistischen Gewalttätern distanzieren, da diese Gewalt mit dem Islam nichts zu tun habe.
Was für ein eleganter Unsinn! Natürlich hat der Islam mit der Gewalt zu tun. Uns alle, Friedliebende wie Terroristen, verbindet diese Religion! Zu behaupten, diese Islamisten seien keine Muslime, das ist doch Augenwischerei und hat nichts mit der Realität zu tun. Denn diese "heiligen Krieger" werden weder in Synagogen noch in Kirchen radikalisiert, sondern in Moscheen. Und sie bezeichnen sich auch noch als die „besseren Muslime“. Wir müssen also endlich dazu stehen, dass Muslime im Namen des Islams morden. Den Islamisten dienen doch etliche medinensische Koranpassagen als Handlungsanleitung - und auch das Handeln des Propheten selbst. Also kanonische Quellen der islamischen Rechts- und der Religionslehre. Darüber hinaus beruft sich der islamistische Terror auf eine Gewalt propagierende, theologisch gut fundierte Ideologie. Dass es zum Beispiel im Koran Passagen gibt wie die Sure 9 Vers 29, die dazu auffordert, Krieg gegen alle diejenigen zu führen, die nicht zu der wahren Religion gehören. Also auch gegen Juden und Christen. Das einzugestehen, wäre ein erster Schritt in Richtung Lösung. Wir brauchen endlich den Mut, die Probleme zu benennen und das kollektive Verdrängen zu beenden.

Sehen Sie diesen Mut nicht?
Nein. Die enge Verbindung des Islams mit der Gewalt wird von der Mehrheit der in Europa lebenden Muslime verschwiegen und gegenüber den nicht-muslimischen Gesellschaften Europas ausgeblendet.

Sie sehen gerade bei Imamen und den Islamverbänden eine Mitverantwortung für die Radikalisierung von Muslimen.
Ja. Wir haben es ja in den Moscheen in Deutschland häufig mit sogenannten Import-Imamen aus muslimischen Ländern zu tun, die im Auftrag eines ausländischen Staates predigen. Oder auch mit Selfmade-Imamen ohne theologische Ausbildung. Solche Imame predigen oft eine Pädagogik der Unterwerfung. Da darf nichts hinterfragt und nicht reflektiert werden. Genauso läuft das auch im Koranunterricht, der die muslimischen Kinder von der westlichen Kultur isoliert. Da werden schon den Kindern Werte vermittelt, die nicht mit unserem westlichen Erziehungssystem im Einklang stehen. Ich bin davon überzeugt, dass in etlichen Moscheen in Deutschland eine Art Vorradikalisierung stattfindet. Die Predigten und der Koranunterricht sind eine Ansammlung von fertigen Antworten, die die Suche nach dem eigenen Ich in der Berührung mit dem Anderen verhindern wollen. Die Kultur des Konflikts ist damit programmiert. Es ist zurzeit nicht zu erwarten, dass die notwendige Reform des Islams von den bestehenden Moscheen ausgehen kann.  

Was macht diese Pädagogik der Unterwerfung aus?
Es wird eine Pädagogik der Strafe vermittelt: Gott, der Strafende. Man muss sich an den Islam klammern. Man muss sich schützen vor der westlichen Kultur. Tenor: Wir Muslime sind die wahren Gläubigen, und wir sind die beste Gemeinschaft, die je gestiftet worden ist. Mit dieser Strategie werden die Muslime von anderen Glaubensgemeinschaften und Nicht-Religiösen isoliert. Ihre Welt wird in feste Kategorien eingeteilt. Alles, was mit dem Islam zu tun hat, ist das Richtige - und alles, was nicht mit dem Islam zu tun hat, ist das Falsche. Das führt zu einer Art Sektierertum. Menschen werden in zwei Kategorien geteilt: in „die Gläubigen“ und "die Ungläubigen“. Diese Pädagogik der Unterwerfung hat die Generation des „halal“ und „haram“, des Erlaubten und des Verbotenen hervorgebracht. Das sind die wahren Probleme, die wir lösen müssen in den Gemeinden. Niemand kann leugnen, dass sich der Islam zur Zeit in einer Sinnkrise befindet.

Und welche Auswirkung hat diese Lehre der Unterwerfung speziell für die Frauen und ihre Rechte?
Wissen Sie, wir Muslime sagen immer, der Islam habe die Frauen befreit. Und für das siebte Jahrhundert mag das sogar stimmen. In dieser Zeit wurden Mädchen noch lebendig begraben. Aber das ist doch inzwischen Geschichte, zumindest in einigen Teilen der Welt. Gemäß dem Koran (Sure 4:3) ist es den Männern erlaubt, bis zu vier Frauen zu heiraten sowie mit seinen Sklavinnen im Konkubinat zu leben. Allerdings hat die Gleichbehandlung der vier Ehefrauen einen sehr hohen Stellenwert. In derselben Sure (Sure 4:34) bekräftigt der Koran die einseitige männliche Dominanz gegenüber Frauen, denn „die Männer stehen über den Frauen“. Diese Koranstelle legt die Hierarchie zwischen den Geschlechtern eindeutig fest. Ist die Frau widerspenstig, so muss sie von ihrem Ehemann ermahnt, im Ehebett gemieden und geschlagen werden (Sure 4:34). Bei der Erbteilung gesteht der Koran ihnen nur die Hälfte des Anteils ihrer Männer zu (Sure 4:11-12). Auch im Prozessrecht zählen die Frauen als Zeuginnen nur zur Hälfte (Sure 2:282).

Und was sind die Folgen?
Die Frauen sind Menschen zweiter Klasse in den islamischen Gemeinschaften. Dagegen würden wir Muslime Mahnwachen benötigen! Und Demos für die Reform des Islams. Denn diese Religion befindet sich zurzeit in einem pathologischen Zustand - und der ist hausgemacht.

Und welche Rolle spielen da die Islam-Verbände in Deutschland?
Eine fatale. Was die Vertreter der männlichen Herrschaft in den Islamverbänden zum Beispiel über die Pflicht zum Kopftuch erzählen, ist eine der größten Lügen. Das Kopftuch ist keine islamische Vorschrift! Es gibt keinen Hinweis darauf im Koran. Es gibt nur zwei Verse, das Dekolleté zu bedecken. Aber mit solchen Behauptungen wie der Kopftuch-Lüge wollen diese Männer die Frauen unter Kontrolle bringen. Es gibt heute keine Gemeinschaft in der ganzen Welt, die so viel Angst vor der Freiheit der Frauen hat, wie die islamische. Es scheint, dass die Frauen zum ewigen Feind der Männer erklärt wurden. Und einen großen Beitrag zur Knechtschaft der muslimischen Frauen leisten auch die bereits unterdrückten Frauen.

Nun zählt ausgerechnet der scharia-nahe Zentralrat der Muslime zu den ersten Unterstützern der "Ramadan-Friedensdemo" in Köln.
Ironie des Schicksals, na ja, jeder darf ja demonstrieren. Aber natürlich tragen genau diese Dachverbände die volle Verantwortung dafür, dass der Islam bei uns in Deutschland so konservativ, ja rückschrittlich ausgelegt wird. Diese Verbände haben kein Interesse an der Aufklärung des Islams. Sie sind verantwortlich für den Reformstau des Islams im gesamten Westen. Sie sind es auch, die jede Kritik am Islam mit den Labels „Rassismus“ und „Islamophobie“ versehen. Dabei ist es keineswegs rassistisch, den Islam zu kritisieren; schon weil ja Religion in sich keine Rasse, keine unabänderliche Gegebenheit ist. An seiner Herkunft kann man nichts ändern. An der eigenen Religion aber kann man schon einiges ändern. Und Sie müssen bedenken, dass sich nur maximal 15 Prozent der hier lebenden Muslime von diesen etablierten Verbänden vertreten fühlen. Wir haben also eine schweigende Mehrheit. Wir liberalen Musilme wollen jedoch diese rückschrittlichen Verbände nicht nur kritisieren. Wir wollen auch Alternativen anbieten - und damit diese schweigende Mehrheit erreichen.

Wie sehen Ihre Alternativen denn aus?
Wir brauchen eine Freiheit der Interpretation und das Begraben der wortwörtlichen Auslegung! Das Letztere ist eine chronische Krankheit, worunter bis heute die kollektive Identität der Muslime leidet. Der Koran muss kritisiert werden dürfen. Wir müssen auch die sogenannte Tradition des Propheten in Frage stellen dürfen. Da gibt es Überlieferungen, die mit der heutigen Realität nichts zu tun haben. Und wir müssen uns befreien von der Autorität der Gelehrten als Vermittler der absoluten Wahrheit, als Vertreter von Gott auf Erden. Indem wir uns unseres Verstandes bedienen, frei nach Immanuel Kant.

Gehört der Islam eigentlich Ihrer Meinung nach zu Deutschland?
Das ist doch die völlig falsche Frage! Die richtige Frage lautet: Welchen Islam wollen wir in Deutschland? Wie sieht die humanistische Alternative zu der Intoleranz, bis hin zur Gewalt der Islamisten aus? Und auch die Alternative zu den konservativen Muslimen! Es geht um die Reform des Islams auf der Grundlage der reflektierenden Vernunft - und die muss innerislamisch stattfinden. Durch eine öffentliche Debatte, in der auch Muslime ungestraft sagen dürfen, was sie wirklich denken. Hier in Deutschland hat man ja manchmal auch als Muslim schon Angst, seine Meinung zu sagen, weil jede differenzierte Islamkritik ständig mit Beleidigungen verwechselt, ja sogar als "Rassismus" oder "Islamophobie" diffamiert wird.

Das Gespräch führte Alexandra Eul 

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