Alice Schwarzer: Geliebte Hilde
Sie war meine erste Liebe. Noch vor Elvis Presley und James Dean. Ab acht schlich ich mich in die Filme ab zehn, im Rex, dritte Reihe, 1.10 Mark. Diese Schultern, die Schritte, die Stimme. Natürlich hätte ich es damals nicht benennen können: Was mich anzog, war ihre Androgynität.
Ich komme aus einer cinephilen Familie. Die Großmutter, bei der ich lebte, ging dreimal in der Woche ins Kino. Von ihr wusste ich auch, wer mitgemacht hatte bei den Nazis und wer nicht. Über Knef hat sie sich nie beklagt. Nur gesagt, dass „die Knef“ viel zu emanzipiert sei für die Nachkriegsdeutschen. Stimmt. Ich habe später einmal gesagt, sie sei zu früh geboren, das habe ich damit gemeint: zu früh zu emanzipiert.
Das war in ihrer ersten Lebenshälfte, die, wie diesem so kundigen und empathischen Text von Simone Herrmann zu entnehmen ist, einfach beeindruckend war! Was aber hat die Knef irgendwann geknickt und zu einer Frau gemacht, die sich mehr mit ihren Krankheiten, ihren Schwächen, als mit ihren Stärken beschäftigte? Es war, meine ich, ihr Frausein.
Als Ehefrau des 15 Jahre jüngeren und blendend aussehenden David Cameron wollte die große Knef sich kleinmachen und sagte mitten in der Frauenbewegung Sätze wie diesen: „Bei uns zuhause ist der Mann der Chef.“ Es nutzt nichts. Der Engländer Cameron ging irgendwann, weil er nicht länger „Herr Knef“ sein wollte.
Und dann die Mutterschaft. Da wurde die sonst so lakonische und spröde Knef plötzlich kitschig, sie spielte Mutter (auch wenn es ihr ernst war). Ihre Tochter Tinta, die nach dem Tod der Mutter Löwenbändigerin in Amerika wurde – in Sachen Löwen kannte sie sich ja schon aus – hat es ihr nicht übelgenommen. Sie äußert sich heute liebevoll und respektvoll über ihre Mutter (so in dem großartigen Dokumentarfilm „Ich will alles“). Am 28. Dezember wäre Hildegard Knef 100 geworden. Ich verneige mich.
ALICE SCHWARZER


