Kein Großbordell in Kleinblittersdorf!

Montagsdemo gegen das geplante Bordell in Kleinblittersdorf. © sr.de
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Am nächsten Montag, 26. September, werden sie noch einmal demonstrieren. Wie an den letzten drei Montagen auch, werden sich über 200 stocksaure BürgerInnen mit ihren Plakaten vor dem Kleinblittersdorfer Rathaus versammeln, einige werden dabei wieder ihre T-Shirts tragen: „Wir wollen keinen Puff!“ 

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Am Dienstag wird sich dann herausstellen, ob der Rat des kleinen saarländischen Städtchens es wirklich noch einmal tut: Wird die SPD tatsächlich noch einmal dafür stimmen, dass im denkmalgeschützten Schloss Falkenhorst am Ortsrand ein Bordell eröffnet? Bei seiner Sitzung am 11. August waren alle 13 sozialdemokratischen Abgeordneten dafür gewesen. Da einige der 16 CDU-Ratsmitglieder urlaubs- oder krankheitsbedingt gefehlt hatten, hatte das gereicht, um die Bahn für die Bordell-Investoren frei zu machen.  

"Prostitution ist
ein Angriff
auf die Würde
der Frau"

Aber das ließen die Kleinblittersdorfer nicht durchgehen. Sie gründeten eine Bürgerinitiative und starteten die Montags-Demos. Dazu ließ Pfarrer Andreas Müller seine Kirchenglocken läuten und erklärte: „Das Argument, Prostitution sei das älteste Gewerbe der Welt, lasse ich nicht gelten. Prostitution hat immer mit Macht, Geld und Unterdrückung zu tun. Prostitution ist ein Angriff auf die Würde der Frau und verstößt damit gegen das Grundgesetz.“ Auch der (parteilose) Bürgermeister Stephan Strichertz findet Prostitution „ethisch und moralisch verwerflich“ und stellte sich an die Spitze des BürgerInnen-Protestes.

„Wir sind schon überflutet von den vielen Spielcasinos“, klagt Karin Zick von der Bürgerinitiative. Im benachbarten Frankreich ist Glücksspiel verboten, so dass deutsche Casino-Betreiber auf französische Kundschaft setzen. Im April 2016 hat Frankreich nun auch die Bestrafung der Freier beschlossen, so dass man sich offenbar auch in Sachen Großbordell ein lukratives Geschäft verspricht. „Schon durch die Casinos ist die Kriminalität bei uns gestiegen. Mit einem Bordell wird das Problem noch größer werden“, sagt Zick. Die Polizeiwache in dem 12.500 EinwohnerInnen-Örtchen ist aber nach 17 Uhr und an den Wochenenden nicht besetzt. Außerdem: „Prostitution hat mit Menschenhandel zu tun. Mir kann niemand erzählen, dass eine Frau das freiwillig macht.“

Im April war die SPD noch bereit, das Bordell zu verhindern.
Und jetzt?

Warum, fragen sich nicht nur die Mitglieder der Bürgerinitiative, ficht die SPD das alles nicht an? Zumal sie im April noch geschlossen für eine sogenannte „Veränderungssperre“ gestimmt hatte, um das Bordell zu verhindern. Im Frühjahr hatte Bürgermeister Strichertz dem Gemeinderat mitgeteilt, dass Investoren ein Bordell in Schloss Falkenhorst beantragt hätten. Einer der potenziellen Betreiber: Rigo Wendt, der bereits mehrere Bordelle betreibt, unter anderem den „Club Pearls“ in Trier. Dort bieten rund 40 Frauen namens Natasha, Jamilia oder Milena ihre Dienste an, von „Analfolter“ über „Ertränkungsspiele“ bis „Zwangsernährung“. Um das Bordell zu verhindern, beschloss der Gemeinderat die „Veränderungssperre“, so dass der Bebauungsplan nicht pro Bordell verändert werden durfte. Die SPD stimmte ebenfalls dafür.

Im August aber erklärte SPD-Ortsvorsitzende Bernd Dick: „Wir haben mit einem Bordell an dieser Stelle kein Problem“. Was mag den Gesinnungswandel des SPD-Chefs und seiner Fraktion ausgelöst haben? Zumal laut Verordnung des Saarlandes Gemeinden unter 35.000 EinwohnerInnen ohnehin Sperrgebiet sind, also Bordelle dort eigentlich gar nicht erlaubt sind. Auch nicht in Kleinblittersdorf.

Die BürgerInnen von Kleinblittersdorf jedenfalls schritten zur Tat. Sie sammelten Unterschriften für einen „Einwohnerantrag“, damit der Gemeinderat noch einmal über die Bordell-Genehmigung abstimmen muss. Rund 500 Unterschriften hätten sie gebraucht, innerhalb weniger Tage sammelten sie fast tausend. Am Dienstag, 27. September, ist es nun soweit. Wir dürfen gespannt sein.

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Alice Schwarzer schreibt

Helle und dunkle Stunde

© Bettina Flitner
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Heute ist für die Frauen ein heller und ein dunkler Tag gleichzeitig in der deutschen Politik. In Bezug auf die Vergewaltigung widerfährt den Frauen in Deutschland endlich Gerechtigkeit, zumindest auf gesetzgeberischer Ebene. Lange genug hat es gedauert (Mein erster Kommentar für die Reform des Vergewaltigungsparagraphen datiert aus dem Jahr 1981!). Gleichzeitig aber widerfährt den Frauen, die auf der untersten Stufe der Sexualgewalt stehen, den Prostituierten, erneut schweres gesetzgeberisches Unrecht. Doch in Wahrheit betrifft auch das uns alle.

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Das System
Sexualgewalt
ist unteilbar

Dem Vergewaltigungsgesetz hat auf den letzten Metern ein Schulterschluss von Politikerinnen aus Union und SPD sowie die breite Unterstützung gesellschaftspolitisch organisierter Frauen zum Sieg verholfen. Dieses Frauenbewusstsein lässt allerdings bei der Prostitution auf sich warten. Ja, es gibt sogar vehemente Befürworterinnen des Pro-Prostitutionsgesetzes, Mittäterinnen. Warum?

Die Frauen, die jetzt für den Schutz vor Vergewaltigung plädieren, tun dies auch für sich selbst. Von der Prostitution jedoch sind sie nicht betroffen, zumindest nicht direkt (Ja, manche profitieren sogar davon: als „Studiobetreiberinnen“ und Zuhälterinnen).

Aber vielleicht können die meisten Frauen sich auch gar nicht erlauben, genauer hinzusehen bei der Prostitution. Weil der eigene Mann bzw. Freund ein Freier ist (was sie als „Partnerinnen“ demütigt oder manchmal vielleicht sogar erleichtert). Weil Freier wie Zuhälter in den Parteien und Politorganisationen neben ihnen sitzen. Weil wir ach so fortschrittlichen Menschen im 21. Jahrhundert mitten unter uns einen Sklavinnenmarkt dulden, der angeblich "freiwillig" ist, aber jeder Beschreibung spottet!

Auch die
privilegierten
Frauen sind
betroffen

Dabei lässt sich das alles in Wahrheit nicht trennen. Das System der Prostitution und das System der Vergewaltigung bedingen sich gegenseitig. Eine Menschensorte, deren Körper und Seele man für ein paar lausige Scheine kaufen kann, die kann man nicht wirklich achten. Die kann man sich auch im Ehebett und Büro oder auf der Straße greifen, wenn man gerade Bock darauf hat oder der Schlampe einfach gezeigt werden muss, wo der Hammer hängt.

Übrigens, die Vergewaltigungen passieren in genau dieser Reihenfolge: die meisten durch den eigenen Freund und Ehemann bzw. Nahtäter, nur jede dritte anonym auf der Straße. Die größte Gefahr geht also immer noch vom Mann im eigenen Bett aus. Was will uns das sagen?

Von der Prostitution aber ist die Internet-Aktivistin, die Karriere-Juristin oder die Politikerin in Deutschland im 21. Jahrhundert kaum direkt betroffen. (Die sich prostituierende Studentin oder Hausfrau gehört eher in den Bereich der Porno-Mythen.) Die Körper, die heute auf dem milliardenschweren Prostitutionsmarkt verschachert werden, sind zu 90 bis 95 Prozent die Körper von Frauen, die noch nie etwas von einem Hashtag oder einer Petition gehört haben und sich auch nicht als "Sexarbeiterinnen" verstehen, sondern einfach nur versuchen zu überleben. Sie können kaum Deutsch und ahnen oft noch nicht einmal, in welchem Bordell, in welcher Stadt sie sich gerade befinden.

Täglich kaufen
Millionen
Männer sich
eine Frau

Das sind nicht wir, die sich da für 30 Euro – inzwischen sinkt der Tarif auf 20 Euro, dank des Zustroms der Flüchtlingsfrauen – in alle Körperöffnungen penetrieren lassen müssen, demütigen, vergewaltigen. Es sind die Anderen, denen das passiert. Es sind Ausländerinnen, Ausgegrenzte, die Ärmsten der Armen. (Wo bleibt da übrigens der Protest der selbsternannten Anti-Rassistinnen?)

Doch wenn es schon nicht das Mitgefühl für die Hunderttausende von Frauen ist, die tagtäglich nebenan von unseren eigenen Männern geschunden werden – dann sollte es wenigstens das Wissen um die Zusammenhänge sein. Das System Sexualgewalt ist nicht teilbar. Derselbe Blick, der sich auf die Prostituierten richtet, trifft auch uns. Da kann unser Vergewaltigungsgesetz noch so gut sein, inklusive „Nein heißt Nein!“ – solange unsere eigenen Liebhaber, Väter, Brüder, Söhne, Freunde über eine Million Mal am Tag gleich nebenan Frauen kaufen, solange sind wir alle in den Augen dieser Männer das willige Geschlecht.

Alice Schwarzer

Alice Schwarzer: Wir nehmen die Kriegserklärung an! (EMMA 9/1981)

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