Alice Schwarzer schreibt

Lale Akgün: "Multi-Kulti ist gefährlich"

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Alice Schwarzer Sie sind Türkin. Sie sind Muslimin. Und Sie sind mit einem islamischen Religionslehrer verheiratet. Aber Sie tragen nicht nur kein Kopftuch, Sie haben auch noch rappelkurze Haare.
Lale Akgün (lacht) Das habe ich meinem Großvater zu verdanken. Der war Lehrer und hat mich sehr beeindruckt. Er hat noch auf einer islamischen Medresse studiert, aber immer gesagt: Die Ohren sind ganz wichtig. Und Frauen haben genau dasselbe Recht darauf wie Männer, dass ihre Ohren frei sind damit sie alles mithören und mitbekommen, in alle Himmelsrichtungen.

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Sie sind mit acht Jahren mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen, leben also seit 41 Jahren hier.
Ja, ich bin türkischer Herkunft und deutscher Staatsangehörigkeit. Ich bin also beides: das orientalische Fühlen ist genauso in mir wie das westliche Denken. Aber wir, mein Mann und ich, kommen aus dem muslimischen Kulturkreis und stehen dazu, dass wir Muslime sunnitischer Konfession sind.

Ihr Mann ist islamischer Religionslehrer an einer deutschen Schule. Und Sie haben 16 Jahre lang als Therapeutin praktiziert. Hatten Ihre türkischen PatientInnen andere Probleme als die deutschen?
Ja, sie hatten vor allem Konflikte mit den Geschlechterrollen. Denn viele der Türken, die nach Deutschland kommen, sind ja aus sozial benachteiligten Familien und haben darum die Arbeitsimmigration auf sich genommen. Die meisten kamen in den 60er und 70er Jahren und hatten ein bestimmtes Weltbild, wie eine Frau zu sein hat und wie ein Mann. Sie hatten gar nicht mitbekommen, dass die Rolle der Frauen sich verändert hatte, hier wie in der Türkei. Viele meiner Patientinnen konnten diesen Konflikt allerdings nichts thematisieren, also somatisierten sie, flüchteten in die Krankheit. Ich hatte viele Fälle von Migräne, Hautausschlägen und sogar Hysterie darunter richtig klassische Fälle, wie wir sie nur aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert kennen und die in Mitteleuropa eigentlich schon ausgestorben sind: Also dieses Aufbäumen im Zirkel etc. Dafür gab es früher bei den Türkinnen überhaupt nicht die bei den Deutschen so verbreiteten Essstörungen. Inzwischen allerdings sind die auch bei Türkinnen angekommen.

Sie haben gesagt: Für mich ist das Kopftuch ein rotes Tuch. Warum?
Aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen: Erstens, weil es den Islam auf ein Stück Tuch reduziert. Zweitens, weil es ein äußeres Zeichen der Ungleichheit von Mann und Frau ist.

Und was sagen Sie zu dem Argument, dass viele Frauen es freiwillig tragen?
Was ist schon freiwillig... Gerade Frauen verinnerlichen oft die Vorstellungen der Männerwelt. Sie sagen zwar: Ich trage das Kopftuch aus freien Stücken. Aber oft ist es der Versuch, dem Mann, dem Vater oder Ehemann, den Wunsch von den Augen abzulesen. Oder der Versuch, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Oder der Versuch, sich aufzuwerten. Das Kopftuch signalisiert: Ich bin unberührbar und rein, ich stehe über den anderen Frauen. Was natürlich nicht stimmt. Statistisch gesehen haben wir unter den Kopftuch-Trägerinnen dieselbe Moral wie unter den Nicht-Kopftuch-Trägerinnen. Sie gehen genau so selten unschuldig in die Ehe und erlauben sich dieselben sexuellen Freiheiten. Auch sind die Grenzen der wahren Motive fließend: Wer kann schon unterscheiden zwischen dem Kopftuch aus innerer persönlicher Religiosität, dem von der männlichen Autorität aufgezwungenen und dem, hinter dem eine gezielte politische Absicht steckt? Schließlich und endlich kann das Kopftuch auch ein Übergangsobjekt sein: Man hat die eine Gesellschaft verlassen, ist aber in der anderen noch nicht angekommen, und braucht diese Zeit, wo man geschützter, in sich verschlossener ist. Man ist eingepuppt und wird vielleicht erst später schlüpfen.

Was heißt das konkret?
Einmal hatte ich eine Patientin, die gerade jung geschieden war. Meine Sekretärin hatte mir eine ältere Frau angekündigt, und es kam eine tief Verschleierte. Ich fragte: Wie alt sind Sie? Sie war 21. Und als ich ihr sagte, dass meine Sekretärin sie für Mitte 40 gehalten hatte, war sie sehr gekränkt. Wenige Monate später kam sie wieder. Nun hatte sie einen neuen Partner und war, seinem Geschmack entsprechend, total aufgestylt: Barbie-Frisur, Minirock, Stöckelschuhe. Ich habe sie fast nicht wiedererkannt. Was ist nun ihr freier Wille? Was ist ihre so genannte wahre Identität?

Trägt Ihre Mutter eigentlich ein Kopftuch?
(lacht) Nein. Meine Mutter ist Mathematikerin und die rationalste Frau, die ich in meinem Leben getroffen habe. Mein Vater hingegen, ein Zahnarzt, war ein sehr weicher Mensch. Meine Mutter war der Mann in der Familie.

Sie sind ja in den frühen 60er Jahren mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Hat sich seither bei der Mehrheit der hier lebenden Türken etwas verändert?
Ja, ganz stark. So richtig aufgefallen ist mir das in einer Ausstellung im Ruhrlandmuseum 1998. Da ging es um die Immigration der Türken, die neue und die alte Heimat. Und da sah man, dass die Türkinnen in den 60er Jahren überhaupt keine Kopftücher trugen. Das fing erst in den 80er Jahren an, ganz schleichend. Es hatte mit dem Militärputsch 1980 in der Türkei zu tun. Und mit Khomeinis Putsch 1979 im Iran. Also mit der Islamisierung der muslimischen Länder. Dabei haben die Amerikaner eine ganz zentrale Rolle gespielt. Sie haben in den 80er Jahren die Islamisierung aller Nachbarstaaten der UdSSR forciert, um den Kommunismus abzupuffern, und den so genannten grünen Gürtel um den Kommunismus gelegt. Grün wie der Islam. Das hatte dann natürlich Auswirkungen bis nach Deutschland. Und dann ging Anfang der 90er der Afghanistankrieg der Sowjetunion gegen die Taliban los. Und das hat den islamistischen Brüdern in der ganzen Welt nochmal Auftrieb gegeben. Auf einmal gehörte es dazu, Kopftuch zu tragen.

Das Kopftuch also nicht als Ausdruck des Glaubens, sondern als Signal für eine politische Haltung?
Ganz klar. Erst danach kamen die überhöhenden kulturellen und religiösen Erklärungen: Das Kopftuch als Ausdruck der muslimischen Identität, der eigenen Kultur etc. Dabei hatten auch in den 1960er Jahren viele ihre Identität verloren, aber deswegen noch lange keine Bärte und Kopftücher. In der Zeit gab es ja auch in der Türkei kaum Kopftücher in den Großstädten. Höchstens die Kopftücher auf dem Land, aber eher so turbanmäßig um den Kopf geschlungen, mit den Zipfeln oben, als praktischer Schutz vor Staub. Das, was wir heute in Deutschland als islamisches Kopftuch kennen dieser lange Mantel mit dem Kopftuch über die Schultern und den ganz abgebundenen Haaren diese Kluft ist überhaupt erst in den 1980ern entstanden. Das gab es früher überhaupt nicht. In unseren Familienalben trägt nur meine Urgroßmutter manchmal ein Kopftuch: So ein Seidentuch mit einer Spitzenborde...

... das trugen unsere Urgroßmütter an Feiertagen auch. Sie haben in den 90ern ein paar Jahre lang in Solingen das Landeszentrum für Zuwanderung, das erste seiner Art, geleitet. War in der Zeit ein Druck Richtung Bart und Kopftuch zu spüren?
Und wie! In den Predigten wurde verkündet: Jedes Haar, das zu sehen ist, wird sich in der Hölle in eine Schlange verwandeln. Stellen Sie sich das mal vor, wie viele Haare Sie auf dem Kopf haben und wie viele Schlangen daraus werden. Das heißt, die Leute wurden eingeschüchtert, man machte ihnen Angst. Ich habe dann mit denen geredet, ihnen erklärt, worum es im Islam wirklich geht, nämlich: Du sollst nicht äußerlich auffallen. Was in der Konsequenz heißt, dass das Kopftuch in einer Gesellschaft wie der unseren ganz und gar unislamisch ist, weil auffallend und abgrenzend. Die Kopftuchträgerinnen sind ja was Besonderes und wollen das auch sein, aber genau das verbietet der Koran. Auffallen ist zutiefst unislamisch. Das Kleid oder der Anzug gehören auf die Straße, der Badeanzug an den Strand, der Pyjama ins Bett und das Kopftuch in die Moschee!

Das sieht der Zentralrat der Muslime aber ganz anders.
Der Zentralrat... für wen spricht der eigentlich? Maximal zehn Prozent der Muslime sind überhaupt organisiert, und im Zentralrat sind höchstens ein, zwei Prozent. Der Zentralrat ist eine selbst ernannte Institution, der sich diesen Namen parallel zum Zentralrat der Juden gegeben hat. Aber unter dem Dach des Zentralrates sind überhaupt keine mitgliederstarken Vereine; der einzige, der VIKZ (Verein Islamischer Kulturzentren) ist ausgetreten. Der Zentralrat hat nicht das geringste Recht, für die Muslime in Deutschland zu reden oder gar irgendwelche Regeln aufzustellen.

Wie erklären Sie sich dann, dass der Vorsitzende des Zentralrates, Nadeem Elyas, als Repräsentant aller Muslime in Deutschland zum Kanzler oder Bundespräsidenten geladen wird? Und auf allen Podien sitzt, die sich angeblich den Dialog auf die Fahne geschrieben haben?
Das kann ich Ihnen genau sagen: Weil die über 90 Prozent nichtorganisierten Muslime sich nie eine Stimme gegeben und sich nie organisiert haben. Dieser so genannte Dialog zwischen wem findet der eigentlich statt? Ich habe immer gesagt: Erst wenn die Weihnachtschristen und die Ramadanmuslime miteinander reden, ist das ein Dialog...

...ein Dialog zwischen den Mehrheiten...
Genau! Und nicht nur ein Dialog mit dem Zentralrat. Der hat übrigens auch eine Islamcharta herausgebracht, in der er das politische Verständnis und Verhalten der Muslime in Deutschland definiert. Das ist überflüssig wie ein Kropf! Wir haben schließlich ein Grundgesetz. Das haben in Deutschland auch die Muslime zu achten. Wir sind ein Rechtsstaat. Unsere Gesetze werden im Bundestag gemacht und nicht im Zentralrat. Es gibt in einer Demokratie keine Parallelinstitution, die das Recht hat, Parallelgesetze zu machen. Wir leben in einer Demokratie. Und wir müssen auch nicht betonen, dass wir Demokraten sind, das ist selbstverständlich.

Für den Zentralrat ist das anscheinend nicht so selbstverständlich & Vielleicht muss er es heute betonen, weil er vor dem 11. September noch etwas ganz anderes gesagt hat. Aber wie tragen Sie als Politikerin denn nun dazu bei, dass die Mehrheit der MuslimInnen eine Stimme bekommt?
Ich bin jetzt von meiner Fraktion damit beauftragt worden, darüber nachzudenken. Wir arbeiten an einer Strategie, und ich hoffe, in ein paar Monaten mehr sagen zu können.

Was werden die ersten Schritte dieser Strategie sein?
Das wichtigste ist die Verstärkung der Bildungspolitik. Das fängt an mit der Sprache. Vor allem die Frauen, die Mütter müssen Deutsch lernen! Und die Kinder ab dem Kindergarten.

Sollten türkische Schulkinder nur Deutsch in der Schule sprechen?
Normalerweise sprechen Immigranten-Kinder vor allem die Sprache des Landes, in dem sie leben und nur noch gebrochen ihre Herkunftssprache. In Deutschland ist es umgekehrt. Und das ist sehr merkwürdig. Meine Tochter zum Beispiel spricht fließend Deutsch, aber auch Türkisch, was nicht einfach war, eine zweite Sprache in der Familie aufzubauen.

Und wie erklären Sie sich, dass deutsche Türkenkinder oft nur gebrochen Deutsch sprechen?
Das ist das Resultat der Verdrängung auf beiden Seiten. Deutschland hat 40 Jahre lang die Illusion aufrechterhalten, wir seien keine Einwanderungsgesellschaft. Das ist die größte Lebenslüge der Bundesrepublik. Und auch viele Türken haben sich vorgemacht, dass sie wieder zurückgehen. Doch kein Land auf der Welt hat in den letzten Jahrzehnten so viel Einwanderer gehabt wie Deutschland...

Tatsächlich?
Ja! Wir haben seit 1945 insgesamt 19,5 Millionen Menschen in Deutschland aufgenommen: acht Millionen Heimatvertriebene und vier Millionen Spätaussiedler, also zwölf Millionen deutschstämmige Einwanderer aus Osteuropa; plus 7,5 Millionen Ausländer. Das ist einzigartig. Das muss uns erst mal ein anderes Land nachmachen. Aber wir haben aus einer falsch verstandenen Multikulti-Haltung die Leute nie als Teil unserer Gesellschaft begriffen. Es ist immer beim Ihr und Wir geblieben, nach der Devise: Ihr seid anders. Dieses differenzialistische Denken wir sind die einen und ihr seid die anderen ist der Kern des Übels.

Haben Sie das auch selbst schon zu spüren bekommen?
Nicht nur ich, auch meine Tochter. Zu ihr hat mal ein Kioskbesitzer, der sie gut kennt, gesagt: Fährst du in den Ferien nach Hause? Er meinte damit die Türkei. Das Kind war ganz irritiert, denn sein Zuhause ist ja Deutschland.

Ähnliches ist dem verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, immer wieder passiert. Er ist in Deutschland geboren und in Deutschland gestorben, aber immer wieder wurde er wie ein Ausländer, wie ein Israeli behandelt. Zum Beispiel wurde mal zu ihm gesagt: Machen Sie sich eigentlich keine Sorgen um die politischen Verhältnisse in Ihrem Land? Da hat Bubis, der auch FDP-Mitglied war, geantwortet: Finden Sie, dass es so schlimm steht um Deutschland?
Das sind ja auch ganz ähnliche Probleme. Und sie haben ein und dieselbe Wurzel: die Ausgrenzung des Fremden. Woanders ist das übrigens anders. Ich habe jüngst einen Artikel über zwei Frauen von den vietnamesischen Boatpeople gelesen. Die eine war in den USA gelandet und die andere in Deutschland. Nach zehn Jahren sagte die in Amerika: Ich bin Amerikanerin! Die in Deutschland Lebende war darüber sehr erstaunt, weil ihr so schnell nie über die Lippen kommen würde, zu sagen: Ich bin Deutsche.

Warum nicht?
Weil man als Zugezogene in Deutschland auf das Fremdsein festgelegt wird. In Frankreich ist man nach einer gewissen Zeit Franzose, egal ob man schwarz oder was auch immer ist. Hier bleibt man immer die Andere.

Das scheinbar fortschrittliche Schlagwort vom Multikulti wäre dann also in Wahrheit nur eine modische Umschreibung dieser Haltung: Wir sind wir und ihr seid die Anderen?
Genau! Ich finde Multikulti eine besonders gefährliche Verharmlosung der Ausgrenzung. Multikulti ist ein Exklusions-Instrument. Durch Multikulti werden die Zugewanderten im Exotikbereich gehalten, wo man sie heute nett findet aber morgen vielleicht nicht mehr. Das Entscheidende ist: Die Anderen bleiben immer vom Wohlwollen der Mehrheitsgesellschaft abhängig. Dadurch werden sie im permanenten Ausnahmezustand gehalten, sie gehören nicht dazu. Und sie müssen immerzu Folklore produzieren anderes Essen, andere Musik etc. um eine Daseinsberechtigung zu haben. Dieses Multikulti-Denken zwingt zu einer Gradwanderung zwischen Bereicherung und Belastung, zwischen positiv und negativ. Das ist sehr gefährlich, weil es jederzeit umschlagen kann.

Ist eine Frau wie Sie dem entkommen?
Neulich hat ein Kollege in Berlin mich mit den Worten vorgestellt: Das ist die exotischste Frau in unserer Fraktion. Da habe ich gesagt: Mach mal einen Punkt! Was ist denn an mir exotisch?

Der Kern dieses ganzen Übels ist ja, wie Sie auch sagen, die Ideologie vom Unterschied, das differenzialistische Denken. Ob nun in Bezug auf Völker, Rassen oder Geschlechter. Auch wir Frauen sind ja angeblich so anders...
Ich sehe da auch viele Parallelen. Wenn ich gefragt werde, was für mich Integration ist, sage ich: Ethnik-Mainstreaming parallel zum Gender-Mainstreaming. Ich möchte, dass Zugewanderte selbstverständlich in allen gesellschaftlichen Bereichen präsent sind, ohne Folklore.

Aber das zu quotieren, das würde ja schon wieder bedeuten, die Zugewanderten auf ihr Fremdsein festzulegen.
Nein, nicht Quotieren, aber als Ziel anstreben.

Sie sind Sozialdemokratin, das heißt, Sie gehören zu einer Partei, die diese ganzen Probleme, über die wir jetzt reden, bisher verschlafen hat und überhaupt kein Bewusstsein, geschweige denn einen Diskurs oder gar eine Strategie hat. Jetzt hat die Fraktion Sie aufgefordert, aktiv zu werden. Was werden Sie tun?
Darüber nachdenken, wie die Zugewanderten eine öffentliche Stimme werden können, ein gesellschaftlicher Faktor. Ich bin auf jeden Fall dafür, dass Immigranten sich einbürgern lassen und akzeptieren: Ich bin hier.

Was wären für Sie die idealen Voraussetzungen für eine Einbürgerung?
Das ist unterschiedlich. Bei den Älteren, die seit 30, 40 Jahren hier sind, würde ich noch nicht einmal verlangen, dass sie fließend Deutsch sprechen. Bei den Jüngeren aber sollte das Voraussetzung sein. Und, dass sie sich an die Verfassung halten. Die allermeisten Zugewanderten aber erfüllen diese Voraussetzungen.

Nun gibt es aber die auch von Ihnen beobachteten Veränderungen, die Gefahr des steigenden Islamismus. Damit meine ich nicht nur die agitierende Minderheit, sondern auch die agitierte Mehrheit. Der deutsche Jugendforscher Prof. Heitmeyer zum Beispiel hat eine Untersuchung gemacht und herausgefunden: jeder fünfte männliche muslimische Jugendliche in Deutschland befürwortet heute die Scharia und damit den Gottesstaat...
Ich bin überzeugt, dass die meisten Musliminnen und Muslime in Deutschland Demokraten sind. Wir müssen aber auch denen Angebote machen, die die demokratischen Prinzipien noch nicht so verinnerlicht haben. Die anderen machen ihnen ja auch Angebote. Freizeit, Sport und, noch wichtiger, Sinnstiftendes! Diese Angebote müssen von uns, von der demokratischen Gesellschaft, kommen. Wir müssen ihnen damit signalisieren: Ihr gehört zu uns.

Ist es denn auch sinnstiftend, muslimische Schülerinnen vom Sport zu befreien und Lehrerinnen das Tragen des Kopftuches in der Schule zu erlauben?
Nein! Die Schule ist eine Pflichtveranstaltung und da geht es nicht à la Carte, man hat das ganze Menü zu akzeptieren. Ich bin strikt dagegen, dass bestimmte Kinder von manchen Fächern befreit werden. Und ich bin auch strikte Gegnerin des Kopftuches in der Schule. Die demokratische Schule ist eine weltliche, eine religionsneutrale Schule, da haben religiöse Symbole nichts zu suchen. Vor allem bei den LehrerInnen nicht, die ja Vorbild sind für die Kinder. Diese Vorbilder müssen neutral sein, damit alle sich mit ihnen identifizieren können.

Und was sagen Sie zu dem Begehren der deutsch-afghanischen Lehrerin Fereshta Ludin, das Kopftuch an deutschen Schulen zu tragen?
Frau Ludin kann das Kopftuch in ihrer Freizeit tragen, aber nicht in der Schule. Hinzu kommt: Das Kopftuch ist kein gutes Signal für die Schülerinnen. Außerdem, wenn Frauen mit Kopftuch in der Schule unterrichten, dann wird das bald für den ganzen öffentlichen Dienst gefordert werden. Aber der Staat muss seine Neutralität bewahren. Die Trennung von Religion und Staat ist schließlich eine der großen Errungenschaften der Moderne.

Nun wird ja immer gesagt, der Islam sei eben eine andere Kultur...
Man sollte sehr vorsichtig sein mit der Erklärung der Unterschiede über die Kulturschiene...

... Algerierinnen nennen das die Kulturfalle ...
Wenn zum Beispiel ein Vater seine Kinder verprügelt, und er ist ein Deutscher, dann sagt man: Das ist ein schlechter Vater. Ist er Türke, sagt man: Das ist deren Kultur. So ein Unsinn, Schlagen ist keine Kultur, das ist Unkultur. Ein prügelnder Vater ist ein schlechter Vater, punktum. Oder ich zum Beispiel, ich fühle mich bei großer Hitze sehr wohl. Dann sagen die Leute zu mir: Kein Wunder, Sie sind ja auch Türkin. So ein Quatsch! Ich habe einfach nur einen niedrigen Blutdruck.

(lacht) Wenn Sie benennen sollten, wie viele türkische und wie viele deutsche Anteile Sie haben, Frau Akgün, was würden Sie antworten?
Ich würde sagen: Ich bin ich. Am stärksten hat mich meine Familie, meine Erziehung geprägt. Und es gibt keine deutsche oder türkische Erziehung es gibt nur gute oder schlechte Erziehung.

Und Ihre 15-jährige Tochter, was würde die wohl antworten?
Sie würde sagen: Ich bin Feride. Das ist Arabisch und heißt auf Deutsch: die Einzigartige.

www.lale-akguen.de

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