Das war nie mein Traumjob!

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EMMA: Frau Ministerin, die Gesundheits­reform ist ein weites Feld. Deshalb möchten wir uns auf die Geschlechteraspekte der Reform konzentrieren. Vorab aber eine Frage: Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt, dass die Kritiker der Gesundheitsreform alle eigene Interessen haben. Was meinen Sie damit?
Ministerin Ulla Schmidt: Wir wollen eine gute und bezahlbare medizinische Versorgung für die Versicherten, den Beteiligten geht es um ihre eigenen Interessen, vor allem darum, mehr Geld zu erhalten. Ich fange mal mit der Pharmaindustrie an: Die Konzerne wollen möglichst viel Absatz und die Preise so festsetzen, dass sie größere Gewinne machen. Die Apotheker wollen die vorgesehenen 500 Millionen Einsparungen nicht, sondern weitere Zuwächse. Die Ärzte­schaft will eine neue Honorierung, zu der wir auch bereit sind, aber sie wollen von vornherein sieben Milliarden Euro mehr. Die Krankenhäuser wollen nicht ein Prozent der Kosten einsparen, sondern eigentlich mehr Geld. Die Krankenkassen wehren sich vor allem dagegen, dass aus sieben Bundesverbänden einer werden soll. Denn keiner von den Funktionären weiß, ob er in diesem einen noch dabei ist. Und alle fürchten die Transparenz mehr als der Teufel das Weihwasser.

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Gibt es dennoch den einen oder anderen Punkt, bei dem auch Sie sagen: Ja, da verstehe ich die Kritik an der Reform? 
Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die Finanzbasis breiter ist. Ich bin davon überzeugt, dass auf Dauer ein Gesundheitssystem, wie wir es haben, mehr Solidarität braucht. Das heißt: Alle zahlen einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens in den Fonds, und aus diesem Fonds erhält jede Krankenkasse ihren Anteil – egal, ob privat oder gesetzlich. Außerdem müsste man alle Einkommen zugrunde legen, zum Beispiel auch Mieteinnahmen oder Vermögenszinsen. Und das war mit der Union nicht machbar.

Gibt es Aspekte an der Gesundheitsreform, die speziell Frauen stärker oder speziell betreffen?
Wir machen die Mutter-Kind-Kuren zur Pflichtleistung. Das ist sehr wichtig. Denn Mütter, die total erschöpft sind, müssen sich erholen und ihre Gesundheit stabilisieren können. Das müssen die Kassen jetzt finanzieren. Außerdem wird die geriatrische Rehabilitation eine Pflichtleistung. Das bedeutet, dass auch für ältere Menschen im Rentenalter nach Schlaganfällen oder Stürzen Rehabilitation jetzt eine verpflichtende Krankenkassen-Leistung ist. Und das kommt natürlich vor allem den Frauen zugute, weil sie den Großteil der Älteren stellen.

Sie haben im Jahr 2001, kurz nachdem der Frauengesundheitsbericht der Bundesregierung erschienen war, in Ihrem Ministerium das Referat ‚Frauen und Gesundheit‘ gegründet. Viel haben wir von diesem Referat bisher aber nicht gehört.
Wir haben da eine ganze Menge gemacht! Zum Beispiel haben wir dafür gesorgt, dass bei klinischen Studien für Arzneien jetzt auch Frauen und Kinder verpflichtend berücksichtigt werden. Die Medikamente wurden ja früher nur an Männern getestet. Und wir haben dafür gesorgt, dass Häusliche Gewalt ein Thema für die Gesundheitsberichterstattung des Robert-Koch-Instituts wird. Außerdem haben wir weitere Projekte zur gesundheitlichen Prävention initiiert, zum Beispiel für Frauen in der zweiten Lebenshälfte oder zum Erhalt der seelischen Gesundheit von Frauen.

Die Frauen hatte gerade das deutsche Gesundheitswesen ja lange Zeit vergessen. Die Weltgesundheitsorganisation hat dann wichtige Impulse gegeben, damit sich das ändert.
Genau, und das ist mir sehr wichtig. Wir haben auch gemeinsam mit der Bundesärztekammer Empfehlungen dafür entwickelt, wie Ärztinnen und Ärzte mit Frauen umgehen sollten, die genitalverstümmelt sind. Wir haben dafür gesorgt, dass Brustkrebs als chronische Krankheit in die Chronikerprogramme aufgenommen wurde. Und wir kümmern uns darum, dass das MammografieScreening Schritt für Schritt auf den Weg gebracht wird.

Für das MammografieScreening, also die Mammografie zur Früherkennung von Brustkrebs für alle Frauen ab 50, haben die Frauen lange gekämpft. Das Screening sollte zum 1. Januar 2005 flächendeckend in Deutschland eingeführt sein. Doch wir haben es zwei Jahre später immer noch nicht in allen Bundesländern.
Nein. Aber von 94 geplanten Screening-Einheiten sind jetzt 36 auf den Weg gebracht. Ich habe mich schon als Bundestagsabgeordnete für das Screening engagiert und vor über zehn Jahren an den damaligen Gesundheitsminister Seehofer geschrieben. Und als ich Ministerin wurde, dachte ich: Jetzt mache ich das ganz schnell! Aber es ist aus mehreren Gründen ganz schwierig: Erstens, weil wir im Gesundheitswesen das System der Selbstverwaltung haben. Da kann ich als Ministerin nicht einfach etwas anordnen, sondern das muss alles durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, in dem Ärzte und Krankenkassen sitzen, beschlossen werden. Diesen Ausschuss will ich jetzt professionalisieren, damit die Entscheidungen schneller fallen. Zweitens nützt das Screening nur, wenn eine hohe Qualität gesichert ist. Wir hatten aber weder die personellen Voraussetzungen, sprich: hochqualifizierte Radiologen noch die Geräte auf dem neuesten Stand der Technik. Deshalb haben wir drei Modellversuche in Bremen, Wiesbaden und der Weser-Ems-Region durchgeführt. Und die kommen alle zu dem Ergebnis, dass bis Ende 2007 in allen Bundesländern das Screening angelaufen sein müsste.

Was sagen die Brustkrebs-Initiativen dazu?
Die engagierten Frauen in den Brustkrebs-Initiativen sind nicht immer zufrieden mit dem, was in der Selbstverwaltung entschieden wird. Es entscheiden ja bezeichnenderweise nur Männer über Brustkrebs. Aber für mich als Ministerin ist der Druck der Frauen in diesen Selbsthilfegruppen oft hilfreich.

Sie müssen also immer wieder auf die protestierende Basis verweisen?
Ja, die bringen mit ihrem Protest vieles in Gang und sind auch für das Ministerium eine wichtige Unterstützung.

EMMA hat 1996 zum ersten Mal das Mammografie-Screening gefordert und eine Kam­pagne dazu angezettelt. Zehntausende Frauen haben protestiert. Das Thema Brustkrebs ist ein ermutigendes Beispiel dafür, wie die Frauen durch massiven Druck ihre Forderungen durchsetzen konnten.
Ja, und heute haben wir in Deutschland zertifizierte Brustzentren, in denen sich eine Frau behandeln lassen kann. Das gab es früher ja gar nicht.

Umso deprimierender ist es aber, dass die Frauen gerade schon wieder auf die Barrikaden gehen, weil für das Screening neue Mammografie-Geräte eingesetzt werden, deren Strahlenbelastung so hoch ist, dass sie im Ausland nicht zugelassen sind.
Diese Frage wird vom Bundesamt für Strahlenschutz gerade überprüft. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass Frauen durch die neuen so genannten digitalen Mammografiegeräte stärker belastet werden.

Im Bereich Brustkrebs wissen Frauen, dass sie eine rührige Ministerin im Rücken haben. Nun gibt es aber auch den katastrophalen Bereich der Ess-Störungen. Das Robert-Koch-Institut hat das gerade wieder bestätigt: Jedes dritte Mädchen hat kein normales Essverhalten. Jedes zehnte erkrankte Mädchen stirbt. Wann nimmt die Gesundheitsministerin sich endlich dieses Problems an?
Das haben wir längst: Wir setzen da vor allem auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die hat zum Thema Ess-Störungen Materialien entwickelt. Denn mit diesem Thema müssen wir in die Schulen gehen. Dabei geht es vor allem darum, die Mädchen in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken mit Projekten wie ‚Ich bin stark‘ oder ‚Ich bin gut drauf‘. Wir haben zusammen mit der Bundesärztekammer, den Jugendämtern und den Kirchen die ‚Koalition gegen den Schönheitswahn‘ gegründet. Und ich habe mich auch öffentlich gegen Heidi Klums Show ‚Germany’s Next Top Model‘ ausgesprochen. Weil wir diese Bilder ändern müssen.

Kommen wir zu dem tristen Kapitel Häusliche Gewalt.
Da ist das Frauenministerium federführend …

… das in seinem neuen ‚Aktionsplan gegen Gewalt gegen Frauen‘ das Thema Gesundheitswesen zu einem neuen Schwerpunkt machen will.
Ja, und wir arbeiten in einer Bund-LänderArbeitsgruppe zusammen. Denn diese Gewalt hat ja eine lange Kette von gesundheitlichen Konsequenzen. Da geht es nicht nur um die unmittelbaren Verletzungen durch Schläge. Durch die Gewalt wird der Frau ihre Würde und ihre Stärke genommen. Das kann in den Alkohol oder in die Tablet­tensucht führen oder zu psychosomatischen Erkrankungen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite für die Sensibilisierung der Polizei sorgen, und auf der anderen Seite für die Sensibilisierung der Ärzte …

… die hinter der Sensibilisierung von Polizei und Justiz hinterherhinkt.
Deshalb führen wir Gespräche mit der Bundesärztekammer und den Kassenärztlichen Vereinigungen darüber, wie wir das Thema in die ärztliche Arbeit so einbringen, dass Ärzte und Ärztinnen nachfragen, wenn eine Frau mit einem blauen Auge zu ihnen kommt und sagt, sie wäre vor den Schrank gelaufen. Sie müssen auch wissen, zu welcher Beratungsstelle sie so eine Patientin schicken können. Die Bundesregierung hat dafür Projekte gefördert, zum Beispiel Signal in Berlin.

Wie sieht es mit der Psychiatrie aus? Das ist ja ein Bereich, in dem geschlechtsspezifische Unterschiede sehr deutlich werden. Zum Beispiel darin, dass männliche Täter und weibliche Opfer in gemischten Stationen und WGs gemeinsam untergebracht und behandelt werden.
Da haben wir zum Beispiel die Depressionen, von denen ja doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen sind. Diese traditionelle Frauenkrankheit werden wir jetzt auch in die Desease Management Programme aufnehmen. Da gelten dann bestimmte Leitlinien für die Behandlung, und in diesen Leitlinien werden geschlechtsspezifische Fragen immer berücksichtigt. Außerdem wird für uns das Thema der psychisch kranken Älteren immer wichtiger, und da sind natürlich wieder vor allem Frauen betroffen. Deshalb möchten wir, dass die Pflegeversicherung nicht nur die klassische Körperpflege abdeckt, sondern auch soziale Betreuung. Diese Themen sind jetzt auf dem Tisch. Da ist vieles in Bewegung, und wenn das einmal anrollt, dann wird sich wirklich etwas ändern.

Was ist ihre stärkste Erkenntnis in den sechs Jahren als Gesundheitsministerin?
Gesundheitsministerin zu werden, war nie mein Traumjob …

Das verstehen wir gut.
… aber was ich gelernt habe, ist: Wenn du von etwas überzeugt bist, musst du es gegen alle Widerstände durchkämpfen. Das hat ja nichts damit zu tun, dass man nicht empfänglich bleibt für berechtigte Kritik. Aber wenn man in diesem Job anfängt, sich davon beeindrucken zu lassen, wer alles schreit, dann kommt man nicht weiter.

Wie ist eigentlich die Gesundheitsministerin krankenversichert?
Das werde ich immer gefragt: Privat.

Ach?
Ich bin ja 1974 Beamtin geworden, da war das automatisch so.

Jetzt sind Sie ja seit einem Jahr im Merkel-Kabinett. Wie ist denn da, unabhängig von Sachfragen, so die Zusammenarbeit, der Stil?
Sachbezogen und fair. Ich habe mich bisher auf das, was sie sagt, immer verlassen können. Sie informiert auch sofort, so dass man keine Entscheidungen aus der Zeitung erfahren muss. Es gibt ein Klima, in dem alle gleichberechtigt sind. Was zählt, ist das Argument. Und es war von Anfang an so, dass eine Frau im Kabinett genau so viel zu sagen hat wie ein Mann.

Kürzlich hatten wir hier in der Redaktion vier Damen sitzen. Drei waren Merkel-Parodistinnen, die vierte war Katrin Schmick vom WDR, besser bekannt als Ullalala Schmidt vom ‚Reformhaus Schmidt‘. Können Sie über Ullalala lachen?
(lacht) Ja! Über die kann ich wirklich lachen! Manchmal kommt es allerdings vor, dass die Leute die Parodie für bare Münze nehmen. Bei so einer Anrufsendung im Radio hat mal ein Hörer geschimpft: Ich hätte gesagt, die Leute sollten auf dem Weihnachtsmarkt nur ein halbes Glas Glühwein trinken. Da musste ich erst mal klarstellen, dass das eine Nummer von Katrin Schmick war. Aber wenn ich in Nordrhein-Westfalen Veranstaltungen habe und ich sage am Ende: ‚Bleiben Sie gesund, anders wär nämlich schlecht!‘, dann lacht der ganze Saal.

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