"An Zynismus nicht zu überbieten"

Sabine Constabel mit zwei der von ihr betreuten Frauen. - © B. Flitner
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Betr: Ihr Artikel  "Opfer oder Femme fatale?"

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Der Beitrag von Frau Lohaus ist an Zynismus nur noch schwer zu überbieten. Die Tausende von Armutsprostituierten, mit denen hierzulande die Bordelle bestückt werden, auch nur in die Nähe der "Femme Fatal", eines verführerischen Frauentypus, zu bringen, kann ich nur als Ausdruck eines fatalen Nichtverstehens der Thematik werten. Seit über zwei Jahrzehnten arbeite ich als Sozialarbeiterin mit Prostituierten und bin mit deren Lebenswirklichkeit tagtäglich konfrontiert. Die Frauen opfern sich für ihre Familien, meist für ihre Kindern, weil ihnen die Prostitution als einziger Weg aufgezeigt wurde. Nichts daran ist selbstbestimmt und Folge einer realen Wahlmöglichkeit. Sie ergeben sich in ihr Schicksal, nur und ausschließlich, weil man ihnen keine Wahl gelassen hat und lässt. Und das übrigens nicht erst seit 2002. Prostitution war noch nie der Ausdruck und die Folge eines selbstbestimmten Lebens, immer schon fanden sich in der Prostitution zuhauf Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen.

Und was für eine Arroganz von Frau Lohaus, den Armutsprostituierten ihre ausweglose Situation noch als Gewinn verkaufen zu wollen. Das ist infam, menschenverachtend und in der Tat durch und durch rassistisch. So einige der Armutsprostituierten würden sehr viel lieber ihre Organe verkaufen, anstatt sich hier Männern als Objekte zur sexuellen Benutzung anbieten zu müssen. Doch spätestens an dieser Stelle ist uns plötzlich klar, dass hier die sogenannte "Selbstbestimmung" ihre Grenzen finden muss. Nein, das dürfen sie nicht, wir schlachten nicht die Ärmsten aus, selbst dann nicht, wenn sie "freiwillig" und "selbstbestimmt" auf den OP-Tisch hüpfen würden. Aber zur sexuellen Benutzung sind sie zu gebrauchen? Das ist legal. Dass Freier tausende von jungen Frauen und Mädchen dabei psychisch vernichten, scheint für viele irrelevant zu sein und wird nicht zur Kenntnis genommen.

Die Profiteuere des ProstG von 2002 sind nicht die Prostituierten, dieses Wissen sollte man mittlerweile auch bei Frau Lohaus voraussetzen können. Die Profiteure sind die Bordellbesitzer und Bordellbesitzerinnen, samt den Käufern der Frauen, die sich niemals zuvor die Armut und Verzweiflung der Prostituierten derart ungebremst zu Nutze machen konnten.

Darüber hinaus bleibt festzustellen, dass die Frauen in der Prostitution keine Angst vor der so genannten "Illegalität" haben. Sie wissen durchaus, dass ein Verbot der Prostitution ihren Fluchtweg aus der Ausbeutung kennzeichnen kann.

Bis wir die Stufe der Zivilisation erreicht haben, die es für uns undenkbar macht, dass ein Mensch den anderen zur sexuellen Benutzung kauft, ist die längst überfällige Reglementierung des Prostitutionsmarkts zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Den Appell von Frau Schwarzer zu unterstützen, war für mich dshalb ein Akt der Selbstverständlichkeit.

Sabine Constabel

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Karo e.V.: „Eine Verhöhnung der Opfer!“

Cathrin Schauer von KARO e.V.
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Als Sozialarbeiterin, die seit 19 Jahren mit Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution arbeitet, bin ich entsetzt über eine derartige Ausführung. Alleine der Satz „Vielleicht fühlt es sich aus der Perspektive einer Roma Frau, die im Elend lebt und rassistisch verfolgt wird tatsächlich selbstbestimmt an, in Deutschland als Sexarbeiterin zu arbeiten?“, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Hat diese vermeintliche Journalistin jemals ein Opfer gesehen? Jemals mit Frauen, die oft noch halbe Kinder sind, über deren Martyrium gesprochen? Nein!

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Ich kenne die Bedingungen, unter denen Roma teilweise leben müssen. Ich arbeite mitten in diesem Milieu. Gehe in die Wohnungen, in den Lebensraum dieser Menschen, wenn auch „nur“ in Tschechien. Ich kenne jedoch auch diese Opfer - manchmal Roma - die aus anderen Ländern nach Deutschland in die Prostitution gelockt oder verschleppt wurden. Fast alle haben eines gemeinsam: eine Kindheit geprägt von Gewalt. Und nicht selten waren sie Opfer von sexuellem Missbrauch. Aufgewachsen ohne Liebe - zwischen  Gewalt und Missbrauch - haben sie sich größtenteils von ihrem Körper abgespalten und neigen häufig zu Selbstverletzungen. Zärtlichkeit und körperliche Nähe haben sie vielfach nur in Form sexueller Handlungen kennen gelernt. Oft ist die Wirklichkeit grausamer als die Fantasie es zulässt. Es sind lebendige Frauen und Kinder – keine statistischen Zahlen -  die wie Ware transferiert werden und unter sklavenähnlichen Bedingungen in der Prostitution leben und arbeiten müssen.

Wenn wir von sexueller Ausbeutung und Gewalt an Kindern und Frauen sprechen, reden wir von schwerwiegenden Straftaten und schweren Menschenrechtsverletzungen – von Menschen, die „durch Drohung, Gewalt und Erniedrigung in einen Zustand völliger Abhängigkeit“ gebracht werden.

Die Dunkelziffer der Verbrechen ist höher, als von Polizei und Öffentlichkeit angenommen. Denn nur Straftaten, die von den Opfern angezeigt werden, sind bekannt. Die betroffenen Frauen aber haben Todesängste oder keine Möglichkeit, diese Verbrechen anzuzeigen, weil sie die Konsequenzen der Anzeige fürchten. Zu Recht, da sie in den Heimatländern nicht selten korrumpierte Polizeibeamte erlebt haben oder diese Frauen von ihren Zuhältern nonstop überwacht und bedroht werden. Oder weil ihnen sowieso niemand glaubt.

Wir haben in all den Jahren unzählige Frauen und jungen Mädchen getroffen, die unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland in die Prostitution gebracht wurden. Es wurde ihnen Arbeit versprochen, sogenannte „seriöse Arbeit“, in einem Hotel oder ähnlichem. Nur ein Bruchteil der Frauen weiß, dass sie in die Prostitution gebracht werden. Was das tatsächlich bedeutet, können sie jedoch nicht einmal ansatzweise erahnen.

Und für diese Frauen soll es ein glücklicher Umstand sein, in Deutschland in der Prostitution zu arbeiten? Dort wo strengste, oftmals menschenunwürdige Regeln den Alltag dieser Frauen beherrschen? Wie das Verbot, Kaugummi zu kauen, länger als 10 bis 15 Minuten an der gleichen Stelle ohne Gast zu verweilen, mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden zum Schutz der Intimität durch den Club zu laufen, aus Gläsern ohne Strohhalm zu trinken (wegen ggf. schwer abwaschbaren Lippenstiftresten) oder die Schuhe auszuziehen.

Ein Verstoß gegen diese Regeln wird bestenfalls mit Geldstrafen sanktioniert. Schlimmstenfalls – und dies wissen wir durch die Arbeit mit diesem Opfern – wird den Frauen Gewalt angedroht oder zugefügt. Und das alles soll den Charakter von freiwilliger und selbstbestimmter Prostitution haben? Nein!

Zusammenfassend stelle ich fest, dass in dem Artikel von Frau  Lohaus wenigstens ein kluger Satz geschrieben steht: „Denn wo die Wahrheit liegt, das weiß ich auch nicht.“ Und genau unter diesem selbstkritischen Aspekt, sollte der Inhalt ihrer Einlassungen zum Thema Prostitution auch bewertet werden. Den Anspruch „Popkultur, Politik und Style mit einer feministischen Haltung“ zu verbinden, mag ihr als Redakteurin und Herausgeberin des Missy Magazines wohl zustehen. Dass dies im Kontext der Problematik von Menschenhandel und Zwangsprostitution völlig deplaziert ist und ihr daher auch nicht gelingt, hat sie wohl bewiesen.

Wir als MitarbeiterInnen von KARO e.V. positionieren uns ganz klar für Prostituierte, aber gegen Prostitution. Prostitution leistet Menschenhandel und Zwangsprostitution Vorschub. Prostitution hat schwere Folgen für Körper und Seele.

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