Feministinnen befeuern den Wahlkampf

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„Ja, ich bin ein Feminist“, sagt François Hollande mit fester Stimme und der Saal ist zufrieden. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat sitzt auf der Bühne im Saal La Cigale, ein angestaubter Belle-Epoque-Palast mit Stuck, goldener Decke und rotem Samt im Pariser Pigalle-Viertel. Und Monique Dental vom Netzwerk ­Réseau féministe rupture nimmt den Präsidentschaftskandidaten in die Zange. Nur für jedes zehnte Kleinkind gibt es einen Krippenplatz, die Feministinnen fordern zusätzliche 500.000 Plätze – was verspricht Hollande im Falle eines Wahlsiegs? Einen „öffentlichen Dienst vor allem im Bereich Kleinkindbetreuung“. Und, ja, er sei „für ein Ministerium für die Frauenrechte“. Da braust Applaus auf und ein Sprechchor ­jubelt: „Hollande, Präsident!“.

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Rund 1.300 Frauen und auch ein paar Männer sind an diesem Abend in La ­Cigale versammelt, zu einem Ereignis ­ohnegleichen. Denn das Meeting wurde keinesfalls von der Parti Socialiste für ihren Kandidaten organisiert – sondern von den „Féministes en mouvement“ (Feministinnen in Bewegung), einem Zusammenschluss von 46 feministischen Vereinen und Verbänden, denen viele junge Frauen angehören. Die erste Reihe besetzen Polit-Stars, Ex-Ministerinnen und Françoise Héritier, Anthropologin und Grande Dame des Feminismus.

Die „Féministes en mouvement“ haben Präsidentschaftskandidaten aller Couleurs zum Kreuzverhör ins La Cigale eingeladen. Erschienen sind Eva Joly, die für die Grünen antritt; Jean-Luc Mélenchon für die linke „Front de Gauche“; sowie Philippe Poutou, Kandidat des ultralinken NPA. Präsident Nicolas Sarkozy hat auf die Einladung nicht reagiert. Gar nicht erst eingeladen wurde die zweite Kandidatin: Marine Le Pen von der Front National.

Der letzte Tropfen im endlich über­gelaufenen Wut-Fass der Französinnen war die „Affäre DSK“ (siehe EMMA 3/11–1/12). „Der macht seinen DSK“, heißt es seither in Frankreich, wenn ein Mann eine Frau belästigt oder gar übergriffig wird. Das breite Echo, das die ­Affären rund um DSK und andere Machos in den Medien und vor allem in der Bevölkerung auslöste, hat die Feministinnen wieder ins Rampenlicht gebracht. Und das nutzen sie jetzt für Trommelaktionen gegen jede Art von Sexismus.

Zum Dank für ihre Teilnahme erhalten die PolitikerInnen an diesem Abend ein Exemplar des frischgedruckten Manifests der „Feministinnen in Bewegung“, Titel: „Aber was wollen sie denn noch!“ – Auf diesen genervten Ausruf ihrer Geg­nerInnen geben die Autorinnen jetzt auf 110 Seiten im Taschenbuch-Format ­dezidiert Auskunft.

Bereits im Juni letzten Jahres gab das ­„Laboratoire pour l’Égalite“ (Labor für die Gleichstellung) eine repräsentative Umfrage in Auftrag. Die Ergebnisse: 86 Prozent der befragten Männer und Frauen „fühlen sich betroffen“ vom anstehenden Wahlkampf und 88 Prozent sind der Ansicht, die Benachteiligung weiblicher Arbeitnehmer sei ein wichtiges Thema, das im Wahlkampf behandelt werden solle. Drei von vierBefragten fanden, die Regierung habe zu wenig dagegen getan. Die zahlreichen gesetzlichen Vorgaben werden bislang einfach zu lasch umgesetzt.

Das „Labor für Gleichstellung“ ist ein Think Tank, der 2010 gegründet wurde und dem rund 600 ForscherInnen, GewerkschafterInnen, JournalistInnen und (Frauen)Vereine angehören. Ja, sogar der Arbeitgeberverband ist mit von der Partie, denn dem steht zurzeit die in Sachen Frauen sehr engagierte Laurence Parisot vor. Nach dem Eklat der „Affäre DSK“ brach die engagierte Präsidentin des ­Arbeitgeberverbandes ein Tabu. Sie redete öffentlich über die andauernden sexuellen Belästigungen von Frauen in der franzö­si­schen Arbeitswelt, inklusive eigener nega­tiver Erfahrungen.

Das Gleichheits-Labor fordert eine „gemeinsame Kultur der Gleichstellung von Frauen und Männern“ und im Wahlkampf vier zentrale Maßnahmen:

•    Jeder Partei, die nicht 50 Prozent Kandidatinnen für Wahlen aufstellt, sollen die öffentlichen Wahlkampf-Zuschüsse gestrichen werden. Bereits 2000 wurde ein Gesetz für die politische Geschlechter-Parität erlassen; viele Parteien jedoch kaufen sich lieber mit Bußgeldern frei, statt weiblichen Politikern eine reale Chance zu geben.
•    Frauen sollen in der Arbeitswelt gleich­gestellt werden, sowohl beim Lohn als auch bei der Verteilung der Teilzeitarbeit. Der Think Tank schlägt vor, die Umsetzung der bestehenden Gesetze mittels ­finanzieller Sanktionen zu garantieren.
•    Väter sollen verstärkt an die Familienfront: mithilfe der Ausdehnung des Vaterschaftsurlaubs und der Schaffung von 500.000 zusätzlichen Betreuungsplätzen für Kleinkinder.
•    Für mehr „Gleichberechtigungs-Kultur“ soll u.a. eine Kampagne gegen sexuelle Stereotype in Medien und Werbung sorgen.

Am Tag nach der Befragung am Pigalle unterzeichnete der sozialistische Präsident­schaftskandidat Hollande diesen „Pakt für die Gleichstellung“.

Doch das „Labor für die Gleichstellung“ ist bei weitem nicht die einzige ­Organisation, die sich in den laufenden Wahlkampf eingeschaltet hat. „2012: Gleichstellung – jetzt!“ fordert auch der Verein „Osez le féminisme“ (Feminismus wagen!). Am letzten Tag des Winterschlussverkaufs verteilten Aktivistinnen in 15 Städten Flugblätter, bedruckt mit einem Preisschild: „-27%“ (der geschlechts­be­ding­te Einkommensunterschied).

Unter dem Slogan „Schlussverkauf das ganze Jahr über – bei den Frauenlöhnen“ forderten zahllose Frauenvereine, angeführt vom CNDF, dem nationalen Dachverband der Frauenbewegung, im Verbund mit Gewerkschaften und linken Parteien bereits im letzten Herbst: „Gleicher Lohn für Frauen und Männer – sofort!“

Hinzu kommen sexualpolitische Forderungen: Die staatlichen Krankenkassen sollen die Kosten für alle Verhütungsmittel übernehmen und neue Einrichtungen für den Schwangerschaftsabbruch eröffnen; die Zahl der Plätze für geschlagene Frauen sollen um das Vierfache aufgestockt werden und der Kampf gegen „Schwulen- und Lesben-Feindlichkeit“ im Schulprogramm verankert; Vereine, die sich um Gewaltopfer kümmern, sollen langfristig finanziell abgesichert arbeiten können. Und: Die Kunden von Prostituierten sollen in Zukunft bestraft werden (nach dem skandinavischen Modell).

Und die Feministinnen kündigen an: „Wir lassen nicht locker! Auch nach der Wahl werden wir weiterhin beobachten, was Sie für die Frauen tun!“

Das „feministische Wahlmeeting“ im La Cigale ist nur einer der Höhepunkte der Frauen-Kampagne rund um die Präsidentschaftswahl. Rund um den 8. März wurden zwei Millionen Flugblätter in die Briefkästen in den großen Städten gesteckt. Gleichzeitig zieren feministische Poster die öffentlichen Anzeigentafeln, bis in die Pariser Métro-Stationen. Zu sehen ist da beispielsweise ein Mann um Ende 40, der sich im Bürosessel bequem zurückgelehnt hat, die Füße liegen überkreuz auf dem Schreibtisch, er starrt konzentriert auf das Smartphone in seiner Hand. Das Besondere: Der Kerl sitzt auf dem Schoß einer jungen Frau, die über seine Schulter stumm und wütend die BetrachterInnen anblickt. Darüber prangt fettgedruckt: „Welchen Platz wollen wir den Frauen überlassen?“. Ein zweites Plakat zeigt einen Herrn im besten Alter, der hemdsärmelig auf einem Staubsauger sitzt – das Kinn in die Hand gestützt wie der berühmte „Denker“ von Rodin. Daneben steht: „80 Prozent der Hausarbeit ruht auf den Schultern der Frauen. Nur Mut, meine Herren!“

Mit Spots im Kino, Fernsehen und Internet wirbt das tatkräftige „Labor für die Gleichstellung“ schon seit Ende Januar für die neue „Gleichstellungskultur“. Seit Monaten bereits sind die AktivistInnen auf einer Tour de France und veranstalten in allen größeren Städten Podiumsdiskussionen, um ihren „Pakt für die Gleichstellung“ unters Volk zu bringen – vor allem aber an die Kandidaten für das höchste Amt im Staat, das nach dem zweiten Wahlgang im Mai neu besetzt werden wird.

Diese Art von medienwirksamen ­Appellen für die Gleichberechtigung der Französinnen ist neu im Wahlkampf. Das hat es bislang noch nie gegeben. Jetzt aber haben die VerfechterInnen der Frauenrechte von der alltäglichen Benachteiligungen der weiblichen Bevölkerung die Nase voll. Die Zeit scheint reif für ein Umdenken.

„Das einzige Mittel, ihr die Klappe zu stopfen, ist, sie zu vergewaltigen“, postete ein gewisser Maxime Valette im Internet, als Tristane Banon im vergangenen Jahr Dominique Strauss-Kahn der versuchten Vergewaltigung anklagte. Für diesen Satz wurde sein Autor am 8. März von der ­feministischen Gruppe Chiennes de Garde (Wachhündinnen) “als „Macho des Jahres“ geehrt. Die Feministinnen listen seit 2009 alljährlich die übelsten Macho-Sprüche auf und „ehren“ die Verfasser medienwirksam.

„Keine Gerechtigkeit, kein Frieden!“, unter diesem Motto hatte wenige Tage vor dem „Festakt“ der Chiennes de Garde die französische Sektion der europäischen Frauenlobby (CLEF) eine aufsehenerregende Kampagne gestartet. „Jährlich werden 75.000 Frauen in Frankreich vergewaltigt.

70.000 Opfer erstatten keine Anzeige: Wir erstatten nun Anzeige in ihrem Namen!“, erklären die Verantwortlichen.

Am 1. März 2012 haben die Feministinnen 70.000 Anzeigen vor dem Pariser Justizpalast deponiert – ein symbolischer Akt. Im Internet abrufbar ist ein Petitionstext, der als Vorlage für die „Anzeige wegen Vergewaltigung“ dient. Alle Französinnen werden um ihre Unterschrift gebeten. Und darum, diesen Text an PolitikerInnen sowie an das Justiz- und an das Innenministerium zu schicken. „Diese Kampagne ist nur der Auftakt, wir machen weiter“, kündigt CLEF an, „Wir hören erst auf, wenn allen Vergewaltigungsopfern in unse­rem Land Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erwiesen wurden!“

Seit Monaten mobilisieren sich die ­Feministinnen in Frankreich in bislang ­selten erlebter Eintracht, Slogan: „Feminismus ist politisch!“ Denn in den Wahlkampf-Programmen waren Frauenthemen bisher nur mit der Lupe zu finden. Die Wirtschaftskrise überschattete alles.

Bereits seit Juli 2011 ist das Gesetz gegen Gewalt an Frauen in Kraft, dafür haben Feministinnen lange Jahre gekämpft. Laut Statistik wird in Frankreich alle zweieinhalb Tage eine Frau von ihrem Mann bzw. Ex-Lebensgefährten ermordet. Eine erste Bilanz der Umsetzung ­allerdings fällt laut „Komitee zur Überwachung und Begleitung des Gesetzes gegen Gewalt an Frauen“ ernüchternd aus: „Trotz allem Einsatz der Frauenvereine, dieses Gesetz publik zu machen, wird es von denen, die es umsetzen sollen, noch viel zu wenig ausgeschöpft und ist dem breiten Publikum weiterhin unbekannt“.

Gelder für die Weiterbildung der ­Magistraten, Polizisten und anderer beruflich mit Gewaltopfern Befassten sowie Mittel für Sensibilisierungskampagnen fehlen. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz“, klagen die Feministinnen enttäuscht. Ihre Presseerklärung endet mit einer rhetorischen Frage: „Überdauert das Interesse, das für das Problem der Gewalt gegen Frauen zurzeit aufgebracht wird, ­gerade mal das Frühjahr und den Sommer, in denen der Skandal ausbrach?“ Eine ­Anspielung auf die Affäre DSK – die Frankreich erschüttert und aufgeweckt hat.

 

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La France in Trance

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Einmal tupfen bitte. Es geht in die heiße Phase, auch für die First Ladies (Foto: Bruni mit Sarkozy). In der aktuellen EMMA gibt es eine tour d’horizon zu Frankreich: Von der spektakulären feministischen Kampagne, die alle KandidatInnen in die Pflicht nimmt; über Marine Le Pen, der Rechtsaußen-Kandidatin und Favoritin der JungwählerInnen; bis zur Ikone Jeanne d’Arc. Im Mittelpunkt des Wahlkampfes steht nicht nur die Finanzkrise – und damit die Frage: Wer hat recht? Der französische Kandidat oder La Merkääääl?! –, sondern stehen auch die Rechte der Frauen und der Kampf gegen sexuelle Gewalt. Dank Strauss-Kahn, der wohl nicht nur der Kandidat der Linken geworden wäre – wenn nicht...–, sondern sogar Präsident. Darum kämpft jetzt Ersatz-Kandidat Hollande. Er liegt mit Sarkozy Kopf an Kopf, hat aber Konkurrenz von links bekommen. Ach ja, um die Ohlàlà-Pariserin geht es auch in EMMAs Frankreich-Schwerpunkt. Erste Wahl am 22. April, Stichwahl am 6. Mai. Mehr zum Thema

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