Dossier Prostitution: Die Holländer

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"Im berühmtesten Rotlichtviertel der Welt sind die meisten Frauen ihr eigener Chef", so jubelte das Reisemagazin Merian in seiner Ausgabe über Amsterdam. Dabei haben die Niederländer ihr romantisches Bild von Prostitution schon lange verloren. Und verschärfen das Prostitutionsgesetz.

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Die Begeisterung war groß. „Im ­berühmtesten Rotlichtviertel der Welt sind die meisten Frauen ihr eigener Chef. Wer sich anbieten will, mietet ein Fenster – ganz legal“, schwärmte Merian Amsterdam. Denn: „Der Staat der Niederlande bestimmt die Regeln im Berufsverkehr der Prostitution.“ Und auch der Sprecher des holländischen Justizministeriums jubelte: „Endlich können wir Menschenhandel und Kinderprostitution besser bekämpfen.“ Kritik an der Lega­lisierung der Prostitution, wusste der ­Spiegel spöttisch zu berichten, komme nur von den „besonders frommen und erzkonservativen Kommunen“, die die „Ausbreitung der Sünde bekämpfen“ wollten.
All das ist lange her. Zwölf Jahre nachdem die Niederlande am 1. Oktober 2000 als erstes europäisches Land Prostitution zum legalen Beruf erklärten, jubelt niemand mehr. Schon gar nicht derjenige, der in Amsterdam für das „Projekt 1012“ zuständig ist. So nennt die Stadt ihren Versuch, das Stadtviertel De Wallen, das die Postleitzahl 1012 hat und in dem sich Frauen in fast 500 rotbeleuchteten Schau­fenstern als Ware anpreisen, wieder unter Kontrolle zu bekom­men. Denn im „berühmtesten Rotlichtviertel der Welt“ grassieren ­Zuhälterei und Frauenhandel.
„Wir dachten, wenn wir Prostitution ­legalisieren, entziehen wir den Kriminellen den Boden und schützen so die Prostituierten“, sagt Lodewijk Asscher im Gespräch mit EMMA. „Heute denke ich: Wir waren total naiv. Und wir haben nicht berücksichtigt, wie sich die Öffnung der europäischen Grenzen auswirken würde.“ Bereits vor einem Jahr hatte der Jurist, ­Sozialdemokrat und Amsterdamer Dezernent für Finanzen, Jugend und eben das Projekt 1012, erklärt: Die holländische Strategie sei ein „nationaler Irrtum“.
Es waren Asschers Parteigenossen gewesen, die damals gemeinsam mit ihren liberalen Koalitionspartnern das Bordellverbot aufhoben, das seit 1911 gegolten hatte. Das schien konsequent, denn Polizei und Justiz hatten das Rotlichtgewerbe ohnehin jahrzehntelang stillschweigend geduldet. Nun wollte man „den Buchstaben des Gesetzes der Wirklichkeit anpassen, um die Missstände in der Prostitu­tion beheben zu können“.
Kernstück der Reform: die Konzessionierung von Bordellen. Die Lizenzvergabe legte man in die Hände der Kommunen. Bordellbesitzer mussten ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, die Prostituierten bekamen eine Steuernummer. Die Polizei sollte kontrollieren, ob sich Minderjährige, Zwangsprostituierte oder Frauen ohne Aufenthaltstitel in den Häusern aufhielten. So weit die Theorie.
Die Praxis sieht so aus: In Holland mit ­seinen 17 Millionen EinwohnerInnen arbeiten heute geschätzte 30000 Prostituierte, zehnmal so viele wie in Schweden, das halb so viele Einwohner hat. Als das skandinavische Land 1999 den Sexkauf unter Strafe stellte, wurde es zunehmend unattraktiv für Frauenhändler, während Holland mit der Legalisierung all jene anzog, die am lukrativen Geschäft mit der Ware Frau verdienen wollten. Die Folge: Vier von fünf Prostituierten in Holland kommen aus dem Ausland, viele sind illegal im Land. 50 bis 90 Prozent der Frauen, schätzen Polizeiexperten, arbeiten nicht „freiwillig“ in der Prostitution. Das gilt auch für die „lizensierten“ Betriebe. Und für das Rotlichtviertel De Wallen, wo jährlich rund 200000 Freier aus aller Welt „sexuelle Dienstleistungen“ von Mädchen und Frauen kaufen.
Immer wieder berichten minderjährige Opfer sogenannter „Loverboys“ (s. Seite 134), dass sie ihre „Dienstleistungen“ unter Gewaltandrohung in De Wallen ­erbringen mussten – während Tausende von Touristen, fasziniert vom toleranten Amsterdam, an ihnen vorbeiflanierten.
Über all das gab es, so Lodewijk ­Asscher, jahrelang ein „kollektives Schweigegebot“. Das hat nun der Sozialdemokrat gebrochen, aber er ist nicht der einzige. Im ­Oktober 2011 brachten die Journalisten Martijn Roessingh und Perdiep Ramesar ihr Buch „Slaven in de polder“ (Sklaven im Polder) heraus und erklärten: „Prostitution mag in Holland legal sein, der Menschenhandel ist damit ganz bestimmt nicht verschwunden.“
Auch liberale Politiker wie der Parlamentsabgeordnete Ard van de Steur melden sich zu Wort und erklären, warum die holländische Regierung jetzt „drakonische Maßnahmen“ ergreifen müsse – „auch wenn die nicht sehr liberal sind“. Van de Steur war mit einem Team des Kommissariats Menschenhandel im ­Milieu unterwegs und „weiß, welche ­Probleme wir haben“.
Jetzt will Holland diese Probleme lösen – mit schärferen Gesetzen. Gerade hat die Zweite Kammer des Parlaments ein ­Gesetz verabschiedet, das den Zugriff der Menschenhändler eindämmem soll. So soll das Schutzalter für Prostitution von 18 auf 21 Jahre angehoben werden. „Das macht es den Loverboys schwerer“, erklärt Lodewijk Asscher. Es wird eine Pflicht für Prostituierte geben, sich registrieren zu lassen. „Dank dieser Registrierungspflicht werden wir hoffentlich wissen, wer in ­unserer Stadt arbeitet“, sagt Asscher.
Freier, die eine Prostituierte kaufen, die ­illegal im Land ist und also keine Registrierung vorweisen kann, werden bestraft. Die Frauen hingegen, die gegen die Schlepper und Zuhälter aussagen, sollen ein Aufenthaltsrecht bekommen. Um all das in den Griff zu bekommen, sollen die Polizeikontrollen verschärft werden.
Im Quartier De Wallen versucht die Stadt, die Prostitution einzudämmen, indem sie Immobilien aufkauft, in denen das Geschäft mit dem Frauenkauf abgewickelt wird. Bis Ende 2013 will Amsterdam sein Rotlichtviertel auf die Hälfte schrumpfen. Wenn es nach Dezernent Asscher geht, verschwindet es eines Tages womöglich ganz.
„Ich würde dem neuen Gesetz gern ein paar Jahre geben. Ich bin aber nicht hundertprozentig sicher, dass wir damit Erfolg haben werden.“ Der Jurist weiß, dass ein zentrales Problem bleibt: Keine Anklage eines Zuhälters oder Frauenhändlers ohne die Aussage der Frau. Und die bekommt die Polizei in den seltensten Fällen. „Das ist einer der Gründe, warum die Polizei Schwierigkeiten mit der Strafverfolgung der Täter hat. Erst kürzlich hatten wir wieder mehrere Fälle, bei denen Frauen ihre Aussage zurückgezogen haben – aus Angst vor dem Zuhälter oder weil sie eine Beziehung mit ihm haben. Das ist ein großes Problem und es wird ein großes Problem bleiben.“
Deshalb will Lodewijk Asscher nach der Probezeit für die neuen, schärferen Gesetze noch einmal genau hinsehen. Und dann gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. „Wenn unser Gesetz scheitert, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, das Schwedische Modell zu übernehmen.“
Für seine Haltung bekommt der Sozial­demokrat nicht nur Zustimmung, sondern auch heftigen Gegenwind – aus dem eigenen politischen Lager, aber auch von Frauen, die er „Komfortfeministinnen“ nennt. „Diese Frauen bagatellisieren die Probleme im Milieu.“ Doch die Stimmung kippt. „Die Debatte in den Niederlanden verändert sich. Unsere jahrelange Haltung, dass wir in Sachen Prostitution alles besser ­gemacht haben als alle anderen Länder, ­erodiert langsam“, sagt Asscher. „Die Menschen verlieren ihr romantisches Bild von der Prostitution.“
Womöglich wird in einigen Jahren das einst für seine Toleranz und Liberalität in Sachen Prostitution so bewunderte Holland, ganz wie Schweden, den Kauf von Frauen verbieten.

EMMA Herbst 2012

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