Alice Schwarzer schreibt

Einer der Letzten, die abtreiben, wurde ermordet!

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Pfingstsonntag. George Tiller verteilt gerade das Kirchenblatt seiner Gemeinde vor der Kirchentür. Seine Frau ist schon in der Kirche, sie singt im Chor mit.

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Da fällt der tödliche Schuss. Der Ermordete ist einer von nur drei Ärzten in ganz Amerika, die überhaupt noch bereit sind, so genannte Spätabtreibungen vorzunehmen. Die Patientinnen des 67-jährigen Arztes: Opfer von Vergewaltigungen, Schwangere in Lebensgefahr, Frauen mit schwer missgebildeten Föten. Dr. Tiller hinterlässt vier Kinder zehn Enkelkinder.

Der Mörder heißt Scott Roeder. Er ist 51 Jahre alt, Arbeiter und militantes Mitglied der Christian Militia Group, einer christlichen Sekte, für die Tiller ein "Babykiller" war. Roeder nannte den Arzt im Internet den "Mengele unserer Zeit", verglich ihn also mit dem berüchtigten KZ-Arzt. Und er hatte dazu aufgefordert, in Tillers Kirche zu gehen und Rechenschaft von dem Pfarrer seiner lutherischen Gemeinde zu fordern.

George Tiller ist der achte Arzt, der in den USA von den Pro-Life-Anhängern ermordet wurde. Der erste war 1993 Dr. David Gunn, der letzte 1998 Dr. Barnett Slepian, den die Fanatiker durch dessen Küchenfenster abknallten wie einen räudigen Hund. Slepian sank neben seiner Frau und seinen Kindern tödlich getroffen zusammen. Außerdem auf dem Konto der Pro-Life-Bewegung: 17 Mordversuche und 216 Bomben- und Brandattentate auf Kliniken.

Auch gegen Tillers Klinik hatte es immer wieder Protest, Sitzblockaden und einen Sprengstoffanschlag gegeben. 1993 schoss eine Frau, Rachell Shannon, dem Arzt in beide Arme, "damit er keine Babys mehr killen kann". Seither hatte Tiller Leibwächter, ein gepanzertes Auto und kugelsichere Fenster in seiner Klinik, die von den Pro-Life-Fanatikern als "Todeslager" bezeichnet wurde.

Die Frauenbewegung hatte erreicht, dass die Abtreibung in den USA in den ersten drei Monaten seit 1974 legalisiert ist. Doch die Hatz und der Terror der christlichen Fundamentalisten hörten nie auf. Und die Fanatiker haben Erfolg:

Waren noch 1995 genau 55 Prozent aller Befragten AnhängerInnen der Pro-Choice-Bewegung, also für das Recht von Frauen auf Abtreibung, so sind es heute nur noch 42 Prozent. Erstmals ist in den USA die Mehrheit, also 51 Prozent, heute, nach acht Jahren Bush-Regime (der Präsident war ein bekennender Evangelikaler), auf der Seite der Pro-Life-Bewegung. Das ist das Klima, in dem solche Morde gedeihen, ja von den Fanatischsten sogar noch gefeiert werden.

Damit geht Amerika einen Weg, den auch Deutschland einzuschlagen scheint, doch für den es hierzulande bisher noch kaum ein Problembewusstsein gibt. So konnte die deutsche Kanzlerin im Mai unwidersprochen für eine Verschärfung des Abtreibungsrechts stimmen – zusammen mit einer überwältigenden Mehrheit der CDU/CSU, über einem Viertel der SPD, einem Drittel der Grünen und 80 Prozent der Liberalen (mehr). Präsident Obama hingegen distanzierte sich jüngst eindeutig von den Abtreibungs-GegnerInnen und erklärte sofort nach der Ermordung Tillers: "Ich bin schockiert und entsetzt!" Und der US-Justizminister kündigte Polizeischutz für alle Ärztinnen und Kliniken an, die Abtreibungen durchführen.

Viele sind es nicht mehr. Denn obwohl die Abtreibung in den ersten drei Monaten legal ist, lernen in den USA schon seit vielen Jahren die Medizin-StudentInnen diesen häufigsten Eingriff an Frauen nicht mehr in ihrer Ausbildung. Und selbst die dazu bereiten ÄrztInnen und Arzthelferinnen haben inzwischen Angst. Die wenigen Ärzte, die überhaupt noch für hilfesuchende Frauen da sind, sind fast ausschließlich die alten Ärzte, die noch das Elend der verblutenden Frauen aus der Zeit vor der Legalisierung kennen.

Der Mut von Dr. Tiller steht in dieser Tradition und ist auch darum besonders tragisch. Tiller übernahm, nach einem tödlichen Flugzeugunglück seiner Eltern, 1970 die Praxis seines Vaters und entdeckte, dass dieser bereit gewesen war, Frauen in Not zu helfen - trotz der drohenden schweren Strafen. Der Sohn setzte diese Tradition fort und war einer der letzten drei Ärzte in ganz Amerika, die noch Spätabtreibungen durchführen. Jetzt sind es nur noch zwei.

Apropos des Mordes an George Tiller erinnerte die feministische Organisation NOW daran, dass "die Körper von Frauen noch immer das Schlachtfeld sind und die Ärzte in der ersten Reihe stehen". Und die Feminist Majority Foundation erklärte: "Ein wahrer Held für Frauenrechte und Frauenleben ist ermordet worden."

Zum Weiterlesen:
Lebensrechtler & Spätabtreibungen (6/08)
"Army of God" ist auf dem Vormarsch (2/03)
"Wir pusten ihnen das Gehirn weg!" (2/03)

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