Abgeordnete für Freierbestrafung!
Die „Ritze“ ist seit Wochen geschlossen wie alle "Etablissements" auf der Reeperbahn. Im Kölner Pascha dürfen Freier gerade keine Frauen zur sexuellen Benutzung kaufen und das Stuttgarter Paradise hat schon Insolvenz angemeldet. Deutschlands Bordelle sind dicht. Und wenn es nach Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), Karl Lauterbach (SPD) und 14 weiteren Bundestagsabgeordneten der Großen Koalition geht, dann würde das so bleiben – auch nach Corona.
Am Montag flatterte allen 16 deutschen MinisterpräsidentInnen ein Brief ins Haus. Es ist ein Brief, den man durchaus historisch nennen kann, denn so etwas hat es in der Geschichte des Landes noch nicht gegeben. Die 16 Bundestagsabgeordneten fordern die LandeschefInnen darin nicht nur auf, die wegen Corona geschlossenen Bordelle, Terminwohnungen und Straßenstriche noch nicht wieder zu öffnen, denn „es dürfte auf der Hand liegen, dass Prostitution die epidemiologische Wirkung eines Super-Spreaders hätte“.
Schulen und Kindergärten mit erheblichen Einschränkungen - aber Bordelle öffnen?
Bei der letzten Abstimmung zwischen Kanzlerin und Bundesländern wurde es in die Hände der Länder gelegt, ob und wann sie Prostitution wieder erlauben. Dass das möglicherweise zeitnah passieren könnte, findet Elisabeth Winkelmeier-Becker, bis vor kurzem rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, unglaublich: „Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wir haben immer noch erhebliche Einschränkungen bei Schulen und Kindergärten und es wird darüber nachgedacht, die Bordelle wieder zu öffnen?“
Aber die Abgeordneten, acht Frauen und acht Männer, gehen mit ihrem Brief entschieden weiter: Sie plädieren dafür, die Bordelle in Deutschland ganz zu schließen. Denn: „Wir halten die Zustände in der Prostitution für die dort Tätigen in der großen Mehrzahl der Fälle für menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich“, schreiben sie. „Entgegen einem weit verbreiteten Klischee sind die meisten Prostituierten (vor allem osteuropäische und afrikanische Frauen) keinesfalls freiwillig in der Prostitution, sondern wurden und werden getäuscht, erpresst und bedroht.“ Womöglich sei den LandeschefInnen „das Ausmaß an sexuellen Übergriffen, an massiven physischen und psychischen Verletzungen durch täglich vielfache, erzwungene Penetration nicht bekannt“. Wie Freier ihr „vermeintlich erkauftes Recht auch gegen erkennbaren Widerwillen und Ekel durchsetzen“, sei in Freierforen nachzulesen. Fazit: „Diesen Frauen hilft nicht die Wiedereröffnung der Bordelle, sondern ein Verbot des Sexkaufs und eine Tätigkeit/Ausbildung in einem existenzsichernden Beruf.“
Die 16 UnterzeichnerInnen sind nicht irgendwelche Bundestagsabgeordneten. Mit dabei sind Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der CDU-Frauenunion und Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, sowie ihre Parteikollegin Yvonne Magwas, die Vorsitzende der Gruppe der Frauen im Bundestag. Unterzeichnet haben auch der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.
Die Wiedereröffnung der Bordelle hilft den Frauen in der Prostitution nicht
Mit Maria Flachsbarth und Mechthild Heil (beide CDU) plädieren auch die Vorsitzenden der beiden großen katholischen Frauenverbände für die Freierbestrafung. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) haben weit über eine halbe Million Mitglieder. Von der SPD dabei: Johannes Fechner, der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, und Leni Breymaier, Gewerkschafterin und Mitgründerin des Ausstiegshilfe-Projekts „Sisters“.
Sie alle plädieren nun dafür, das „Nordische Modell“ auch in Deutschland einzuführen: Strafen für Freier und Zuhälter, vollständige Entkriminalisierung und Ausstiegsangebote für Prostituierte. Denn Corona „hat doch das ganze Narrativ ad absurdum geführt, das dem Prostitutiertenschutzgesetz zugrunde liegt“, erklärt Elisabeth Winkelmeier-Becker im Gespräch mit EMMA. „Es hat sich bestätigt, dass viele Frauen in den Bordellen wohnen und keine private Existenz haben.“ Es wurde auch offensichtlich, dass viele Frauen keineswegs „selbstbestimmt“ arbeiten, sondern nach dem Lockdown von ihren Zuhältern in ihre Heimatländer verfrachtet wurden. Anderen fehlte nach Jahren in der Prostitution das Geld für ein Zugticket nach Hause. Die meisten sind nicht krankenversichert (EMMA berichtete).
Das "Nordische Modell" mit Strafen für Freier und Zuhälter auch für Deutschland
Für die UnterzeichnerInnen steht fest: Deutschland kann so nicht weitermachen. „Deutschland gilt international als Bordell Europas“, schreiben sie. „Das ist höchst peinlich“, findet nicht nur Juristin Elisabeth Winkelmeier-Becker. „Dabei ist das Nordische Modell doch inzwischen das moderne System. Andere Länder sind schon vorgegangen, Deutschland hinkt hinterher.“ Nachdem Schweden 1999 das Sexkaufverbot eingeführt hatte, folgten Norwegen, Island, Frankreich, Irland, Nordirland und Israel.
„Wir haben wegen Corona einen großen Baustein in diesem System lahmgelegt“, sagt Winkelmeier-Becker. „Es wäre absurd, wenn wir diese Chance nicht nutzen würden.“