"Es kann nur besser werden!"

Foto: Silvio Wyszengrad
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Seit dem 1. Juli 2017 ist das „Prostituiertenschutzgesetz“ in Kraft. Hat es genützt?
Helmut Sporer Das Gesetz hat so gut wie nichts gebracht. Es wurden ja viele Dinge, die sinnvoll gewesen wären, einfach nicht in das Gesetz aufgenommen. Zum Beispiel die regelmäßige Gesundheitsuntersuchung oder die Altersgrenze von 21 Jahren. Hätte man die eingeführt, hätte man zumindest die ganz jungen Frauen geschützt, die etwa ein Drittel des Marktes ausmachen. Und die Anmeldepflicht verdient diesen Namen nicht wirklich, weil sie zwar einen riesigen bürokratischen Aufwand für die Behörden bedeutet, aber letztlich überhaupt keine Transparenz bringt. Meines Wissens sind die meisten Prostituierten heute zwar angemeldet, aber diese Zahlen sind wertlos, weil überhaupt nicht klar ist, ob oder wo die Frauen arbeiten. Die melden sich in Dortmund an und arbeiten dann in München oder in Dresden. Wir wissen also weder, wo sich die angemeldete Frau aufhält, noch können wir verfolgen, wie die Schleuser die Ströme lenken. Dabei bedeutet Transparenz Schutz für die Frauen. Es gibt auch keine Möglichkeit, einer Frau die Anmeldung zu verweigern, weil sie zum Beispiel Analphabetin oder behindert ist. Und Bordell­betreiber haben immer noch ein Weisungsrecht. Das heißt, sie können den Frauen vorschreiben, wann und wie lange sie zu arbeiten haben, sie können Preise festlegen oder anordnen, dass die Frauen im Bordell nackt zu sein haben. Das verletzt das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Ohne dieses Weisungsrecht würden die Groß­bordelle nicht in dieser Form funktionieren. 

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Hat das Gesetz auch positive Effekte?
Ja, die Erlaubnispflicht für Bordelle. Aber auch die darf man nicht überbewerten, weil da oft Strohmänner bzw. Strohfrauen die Konzession beantragen, aber eigentlich andere Personen dahinter stecken, nicht selten Leute, die der Schwerkriminalität zuzuordnen sind.

In Bremen hat gerade ein Bordell eröffnet, dessen Geschäftsführerin die Ehefrau eines Hells-Angels-­Präsidenten ist.
Das ist ein typisches Beispiel. Das erleben wir immer wieder. Auch gegen die horrenden Wuchermieten von bis zu 180 Euro am Tag ist das Gesetz nicht vorgegangen. Dabei wäre das ganz einfach gewesen. 

Wie kann das sein?
Es gibt ganz eindeutige Indikatoren, die zeigen, wer das Gesetz beeinflusst hat: nämlich die Pro-Prostitutions-Lobby. Ich war vor der Gesetzesreform als Sachverständiger mehrfach im Rechtsausschuss des Bundestags und in verschiedenen Ministerien und habe die Situation ganz konkret geschildert. Es herrschte eine große Betroffenheit und alle erklärten, dass da unbedingt etwas geschehen müsse. Das Ergebnis war dann schlicht enttäuschend. Und das lag nicht daran, dass die entscheidenden Leute die Fakten nicht kannten. Herausgekommen ist ein Gesetz, das weiterhin einen optimalen Ablauf in den Großbordellen gewährleistet. Der Betreiber eines solchen Bordells hat mir selbst gesagt, er sei mit diesem Gesetz sehr zufrieden, er hätte es selbst nicht besser machen können. Das sagt alles. 

Immer wieder wird behauptet, unsere Gesetze gegen Zuhälterei und Menschenhandel seien ausreichend.
Ausreichend? Wir treffen in den Bordellen heute die gleichen Frauen an wie vor der Gesetzes­reform: 95 Prozent ausländische Frauen, die meisten aus Südost-Europa. 18-jährige Mädchen aus Rumänien, die kein Deutsch sprechen. Die werden von Männern dorthin gebracht und ausge­beutet. Wir sehen das, aber das Problem ist die Beweisbarkeit. Wir brauchen nach wie vor die Aussage der Frauen, um Verurteilungen zu erreichen. Und die erhalten wir viel zu selten. Es ist ein Irrglaube zu denken, wenn die Polizei ins Bordell kommt, schreien die Frauen alle „Ich bin ein Opfer, holt mich hier raus!“ Die haben Angst, die sind gebrieft von ihren Zuhältern oder den Bordellbetreibern, die erzählen eine Geschichte. Dass sich eine Frau bei einer Kontrolle meldet, erleben wir so gut wie nie. Erfolgreiche Aktionen sind immer mit aufwändigen Ermittlungen verbunden.

Die offiziellen Zahlen des BKA zum Menschenhandel sind also nicht aussagekräftig?
Gehen wir nur mal von rund 250.000 Frauen in der Prostitution aus. Diese Zahlen beruhen auf Hochrechnungen aus Städten, in denen recht zuverlässige Zahlen vorliegen. Davon sind 95 Prozent Ausländerinnen, das wären ca. 240.000. Wenn man jetzt nur von 50 Prozent Frauen mit typischem Opferprofil ausgeht, dann ist das eine sechsstellige Zahl. Wenn ich jetzt aber ins „Lagebild Menschenhandel“ des BKA schaue, wie viele Fälle von Menschenhandel finden sich da? 400 bis 500. Zwischen diesen Zahlen klaffen Welten. Das heißt: Nur ein winziger Bruchteil der Opfer wird erkannt. Der Gesetzgeber nimmt also momentan hin, dass der größte Teil der Opfer unerkannt bleibt und die Verbrechen, die an ihnen begangen werden, nicht verfolgt werden. Der Staat wird seiner Verantwortung nicht ausreichend gerecht. Er stellt keine wirksamen Instrumentarien gegen Menschenhändler zur Verfügung. Das heißt: Das jetzige System funktioniert so nicht. 

Im Fall des Stuttgarter Bordells Paradise ist es gelungen, nachzuweisen, dass sich Bordellbe­treiber Jürgen Rudloff von Menschenhändlern Frauen ins Bordell liefern ließ. Dort wurden sie von Mitgliedern mehrerer Rockergruppen kon­trolliert. Sie waren einer der Ermittler. Warum hat es in diesem Fall funktioniert, Rudloff, seinen Geschäftsführer und seinen „Pressesprecher“ zu überführen?
Dass der Bordellbetreiber 2018 wegen aktiver Beteiligung am Menschenhandel in 18 Fällen verurteilt werden konnte, ist ein Meilenstein. Wir haben hier beweisbar gesehen, wie das System funktioniert. Und Stuttgart ist überall. Bordell­betreiber sind darauf angewiesen, immer wieder neue Frauen, neues „Frischfleisch“ ins Bordell geliefert zu bekommen. Und diese Frauen müssen beherrschbar und willfährig sein. Aber um die Zusammenarbeit zwischen Menschenhändlern und Bordellbetreibern nachzuweisen, braucht es einen Einstieg in die Ermittlungen. Wir in Augsburg hatten durch verdeckte Ermittlungen diesen Einstieg gefunden, im Fokus war zunächst ein Augsburger Bordell. Als sich herausstellte, dass der Schwerpunkt des Menschenhandels in Stuttgart liegt, haben wir das Verfahren an die Stuttgarter Kollegen abgegeben. Die Kollegen haben insgesamt über fünf Jahre lang mit einem unglaublichen Aufwand und bewundernswertem  Engagement weiterermittelt. Dazu hat die Staatsanwaltschaft sehr intelligent und überzeugend argumentiert. Und so erfreulich und wichtig dieses Urteil ist: Für die Zukunft befürchte ich, dass  sich ein weiterer ähnlicher Erfolgsfall nicht wiederholen lässt, obwohl die Gegebenheiten in anderen Bordellen dieses Zuschnitts durchaus vergleichbar sein dürften. Aber auch bei diesem Verfahren zeigte sich die besondere Problematik der Beweisführung. Nur ein Bruchteil der Frauen hat ausgesagt. Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist die Strafverfolgung im Rotlichtmilieu oft ein Kampf gegen Windmühlen. Es läuft ja im gleichen Stil tagtäglich weiter in den Bordellen. Darum muss sich etwas grundsätzlich ändern. Wir brauchen andere Gesetze.

Sie sind inzwischen Verfechter des so genannten Nordischen Modells, also der Bestrafung der Freier.
Wenn man sich die letzten 20 Jahre anschaut, sind immer wieder Gesetze geändert worden. Und was hat das gebracht? Der Opferschutz hat sich nicht verbessert, im Gegenteil, und die Möglichkeiten zur Überführung von Tätern sind nach wie vor unzureichend. Ich nenne nur die Beispiele „Weisungsrecht“, Wegfall des Straftat­bestands „Förderung der Prostitution“ oder der immer noch fehlenden Möglichkeit zur Telefonüberwachung bei Zuhälterei, einem wichtigen Einstiegsdelikt. Ich habe wirklich die Befürchtung, dass nach der nächsten Evaluation in einigen Jahren wieder nur Nebensächlichkeiten geändert werden. Am Dilemma für die betroffenen Frauen ändert sich bis dahin und auch danach aber nichts. Der Gesetzgeber hat die Wahl: Will er eine liberale Gesetzgebung? Dann nimmt er zwangsläufig in Kauf, dass Tausende Frauen in der Prostitution missbraucht und ausgebeutet werden. Oder er nimmt jetzt eine Richtungsänderung vor. Und wenn man sich fragt: Wie kann man diesen Frauen am besten helfen, dann landet man zwangsläufig beim Nordischen Modell. 

Also dem Modell, das Schweden schon 1999 eingeführt hat: Die Sexkäufer, die den Markt erst schaffen, werden bestraft. Die Frauen werden entkriminalisiert und beim Ausstieg unterstützt. Ein oft gehörtes Argument dagegen ist: Dann rutscht die Prostitution in die Illegalität und die Frauen sind völlig ungeschützt. Was entgegnen Sie dem?
Das ist ein bekanntes Scheinargument, das sich sehr leicht widerlegen lässt. Mit dem Nordischen Modell würde die Zahl der Prostituierten in Deutschland innerhalb kurzer Zeit um geschätzt 80, vielleicht 90 Prozent zurückgehen, weil Deutschland dann für die Zuhälter und Menschenhändler kein attraktives Land mehr wäre. Damit hätten wir die Zahl der potenziellen Opfer um 80 oder 90 Prozent reduziert. Die restlichen Frauen sind aber nicht verschwunden. 

Wo sind die?
Prostitution funktioniert nur, wenn die Frauen für den Freier auffindbar sind. Und wenn der Freier die Frauen findet, findet sie die Polizei auch. Ich habe mich viel mit dem schwedischen Kollegen Simon Häggström aus Stockholm ausgetauscht. Die Polizei hat dort große Erfolge, Prostitution in Wohnungen oder Hotels zu entdecken. Es braucht dazu natürlich eine gewisse personelle Ausstattung. Aber die ist auf keinen Fall größer als die, die wir derzeit in Deutschland haben, dafür viel effektiver. Denn in Deutschland passieren Zuhälterei und Menschenhandel vor den Augen der Behörden, das heißt, fast immer in offiziellen Bordellen, und die Behörden haben leider kaum Möglichkeiten einzugreifen. Und hier sprechen wir von massiven Menschenrechtsverletzungen. Das heißt: Es kann nur besser werden.

 

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