Afghaninnen eine Stimme geben

Foto: Bettina Flitner
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Als die Konferenz „Eine Stimme für Afghaninnen“ im Frühjahr 2022 für den 26. September geplant wurde, konnte niemand ahnen, dass in diesen Tagen Zehntausende in Iran und der ganzen Welt gegen das Gewaltregime in Iran protestieren würden. Nach 43 Jahren Unterdrückung der Menschen und brutaler Entrechtung der Frauen hatte der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini diese Proteste ausgelöst. Dass die Polizei offensichtlich die junge Frau ins Koma geschlagen hatte, weil ihr Schleier angeblich verrutscht war – das war der eine Tropfen zu viel.

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Was kann der Westen, der so überstürzt das Land verlassen hat, nun trotz alledem tun?

In einer noch dramatischeren Lage allerdings sind die Menschen – und allen voran die Frauen – im Nachbarstaat Afghanistan. Mit der Machtergreifung der Taliban am 15. August 2021 wurde die schon vorher nicht gerade locker sitzende Schraube vor allem gegen die Frauen Tag für Tag stärker angezogen. Die anfänglichen Behauptungen der Taliban, sie würden selbstverständlich die Mädchen weiter zur Schule gehen lassen etc., erwiesen sich sehr schnell als Täuschungsmanöver für den Westen, damit die Milliarden Dollar Unterstützung weiter fließen.

Längst haben Frauen wieder Berufsverbot, dürfen nur in der Burka das Haus verlassen, werden Frauenrechtlerinnen wie Tamana verschleppt, gefoltert, ermordet. Die Milliarden fließen trotzdem. Allein von Deutschland 400 Millionen als „humanitäre Hilfe“ für das hungernde Volk. Es wird wie bisher laufen: 90 Prozent der Gelder kommen nie an, sondern versinken in der Korruption. Männerkorruption.

Was können wir, der Westen, der nach vielen großen Sprüchen so überstürzt das Land verlassen hat, nun trotz alledem tun? Das versuchte die von der „Alice Schwarzer Stiftung“ in Kooperation mit der Französischen Botschaft initiierte Konferenz herauszubekommen, die am 26. September in der Französischen Botschaft stattfand, einen Steinwurf entfernt vom Reichstag. Dazu saßen allen voran Afghaninnen auf dem Podium, aber auch ein deutscher Diplomat, zuständig im Außenministerium für Afghanistan und Pakistan. Sowie eine deutsche Veteranin, die über acht Jahre immer wieder in Afghanistan im Einsatz war. Und eine deutsche Aktivistin, die Frauen in Lebensgefahr auf eigene Faust gerettet hat.

Die Konferenz wurde eröffnet von Alice Schwarzer und dem französischen Botschafter François Delattre. Der positionierte sich ermutigend deutlich. Der erfahrene Diplomat erklärt unumwunden, für Frankreich stehe „die feministische Diplomatie im Mittelpunkt unserer Außenpolitik“, und er fügte ganz undiplomatisch hinzu: „Das Gebot zum Tragen des Kopftuchs und die drakonischen Maßnahmen der Machthaber nehmen in bestimmten Ländern leider Formen an, die wir Europäer auf das Schärfste verurteilen. Wir müssen solche Taten unerbittlich anprangern, denn unsere Stimme zählt. Umso wichtiger ist es, dass wir uns heute mit den Problemen befassen, mit denen Frauen in Afghanistan konfrontiert sind.“

Die Frauen stehen zwar auf der Ausreise-Liste, aber sie hören überhaupt nichts

Wie groß diese Probleme sind, aber auch der Widerstand afghanischer Frauen gegen ihre Unterdrückung, darum ging es auf dem von Chantal Louis moderierten ersten Panel „Afghanische Frauenstimmen“. Drei Afghaninnen berichteten. „Absolut verzweifelt“ seien die Frauen, mit denen sie in Kontakt stehe, klagte Shikiba Babori. „Sie stehen auf der Ausreise-Liste, hören aber überhaupt nichts.“ Die Ethnologin und Autorin des Buches „Die Afghaninnen – Spielball der Politik“ prangerte das seit fast hundert Jahren von Afghanen wie ausländischen Besatzern praktizierte zynische Spiel an, die Rechte der Frauen immer wieder als Vorwand zur Machtergreifung zu nehmen.

Auch die Journalistin Nahid Shahalimi, die mit 13 das Land verlassen hatte und heute in Deutschland lebt, ist in ständigem Kontakt mit Frauen in Afghanistan. „Viele sind getötet worden oder sitzen noch in ihren Kellern. Es tut sehr weh,“ erklärte sie. Doch auch die, denen die Flucht nach Pakistan oder Iran gelungen sei, hätten es „sehr schwer, Asyl zu beantragen und nach Europa zu kommen“. Es gebe allerdings auch Widerstand gegen das „Apartheid-Regime“ mitten in Afghanistan. Frauen organisierten Untergrund-Schulen und, via soziale Medien, immer noch todesmutig auch Demonstrationen.

Nach der Machtübernahme der Taliban sei ein „riesiges Netzwerk von Frauen entstanden, bestätigte die junge, in Hamburg geborene Winuss Azizi, deren Familie 2004 von Deutschland zurück nach Afghanistan gegangen war. Dort gründete sie mit dem Verein „Visions4children“ Mädchenschulen. Sie hat das bis 2021 getan, aber musste dann im August 2021 flüchten, wie so viele. „Was man noch tun kann“, erklärte Winuss, „ist, mit dieser Frauen-Community in Kontakt bleiben. Das sollte auch die Regierung tun.“ Was trotz alledem möglich und nötig ist, fragte Prof. Jürgen Wilhelm, erfahrener Nahost-Experte und Mitglied des Stiftungsvorstandes, in der Schlussrunde.

"Wir wollen die Menschen nicht alleinlassen, aber die Taliban-Herrschaft nicht legitimieren"

„Die Gefahr ist groß, dass jetzt gesagt wird: Dieses Land ist hoffnungslos verloren. Meine Hoffnung ist, dass wir uns nicht von diesem Land abwenden“, erklärte der Journalist Wolfgang Bauer („Am Ende der Straße. Afghanistan zwischen Hoffnung und Scheitern“). Bauer kritisierte, dass der Westen auch mit seiner verfehlten Entwicklungshilfe versagt habe und forderte: „Wir müssen unsere Entwicklungshilfe umbauen.“ Dazu brauche es kundige Entwicklungshelfer und nicht solche, die „nur für zwei Monate im Land sind, ohne die Sprache zu sprechen.“ Außerdem müssten Frauen, die aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet sind, „besser bei der Integration unterstützt werden. Sie werden zu oft alleingelassen.“

Dazu müssen die mit dem Tode Bedrohten es allerdings erst einmal aus dem Land geschafft haben. Ob die Bundesregierung hier mehr tun könnte und müsste, darüber gingen die Meinungen auseinander. „Die Bundesregierung tut, was sie kann, um die ehemaligen Ortskräfte, aber auch gefährdete Personen rauszuholen“, versicherte Georg Klußmann, Referatsleiter für Afghanistan und Pakistan im Auswärtigen Amt. Es gebe seit Sommer 2021 rund 38.000 Aufnahmezusagen, 26.000 dieser Menschen seien inzwischen in Deutschland.

Das ließ Theresa Breuer so nicht gelten. Die Gründerin der Initiative „Kabul Luftbrücke“, die bisher rund 3.000 Menschen evakuiert hat, forderte: „Wir brauchen ein Bundesaufnahmeprogramm, das der Situation der Frauen in Afghanistan gerecht wird. Bisher sehe ich nicht, dass das geschieht."

Und wie steht es mit der finanziellen Unterstützung für Afghanistan? An diesem Punkt waren sich die DiskutantInnen einig: ein Dilemma. „Wir wollen die Menschen in Afghanistan nicht alleinlassen, aber gleichzeitig unbedingt vermeiden, die Taliban-Herrschaft zu legitimieren“, sagte Diplomat Klußmann. „Wir müssen den Taliban die Legitimität verweigern“, bestätigte sein französisches Pendant, Thomas Guibert. Der französische Botschaftsrat war in Kabul eingesetzt und verließ als einer der letzten Diplomaten im August 2021 das Land. Man müsse „die Entwicklungshilfe an Bedingungen knüpfen“, forderte er, und „echten Druck“ auf die Taliban ausüben. Denn: „Sie werden uns brauchen.“

Wird Deutschland Lehren aus seinen desaströden Fehlern in Afghanistan ziehen?

Bleibt die Frage: Wird Deutschland aus seinen desaströsen Fehlern lernen? Am 19. September wurde die Enquetekommission eingesetzt, die das „deutsche außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Engagement in Afghanistan zwischen 2001 und 2021 umfassend aufarbeiten soll“. Sie soll Lehren für das künftige militärische und zivile internationale Engagement Deutschlands ziehen. Die Kommission, die vom ehemaligen Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) geleitet wird, besteht aus 24 Mitgliedern: Zwölf Bundestagsabgeordneten und zwölf Sachverständigen. Die Hälfte der Sachverständigen kommt aus dem militärischen Bereich, die andere Hälfte aus der Wissenschaft. Eine Expertin für Frauenrechte ist nicht dabei. Bisher nicht.

Shikiba Babori hatte zuguterletzt einen sarkastischen Vorschlag: „Wäre es nicht viel einfacher, wenn alle Länder, die die Taliban groß gemacht haben, sie jetzt rausholen und unter sich verteilen würden?“ Bitteres Gelächter im Publikum. Und sodann machte Babori noch einen sehr realistischen Vorschlag: „Wir sollten die Fußballweltmeisterschaft in Katar, das die Taliban unterstützt, boykottieren!“ Dazu könnten alle beitragen: Fans, Medien, Politik.

Die komplette Aufzeichnung der Konferenz steht auf www.alice-schwarzer-stiftung.de

 

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