Das Recht auf Abtreibung ist in höchster Gefahr!

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Für Anfang Mai sind im Bundestag die zweite und dritte – und damit letzte – Lesung von gleich fünf Anträgen zur Reform des § 218 geplant. Drei Anträge plädieren für eine weitere Einschränkung der schon jetzt repressiven Reform; zwei dagegen, sie kommen von Christel Humme (SPD) und von Kirsten Tackmann (Linke). Die drei Anträge für eine Einschränkung des Rechts auf Abtreibung sind von Kerstin Griese (SPD), Ina Lenke (FDP) und Johannes Singhammer (CSU). Der Singhammer-Entwurf ist der repressivste. Er wird von fast allen CDU/CSU-Abgeordneten unterstützt, aber auch von einigen SPD-Abgeordneten, darunter die Ex-Frauenministerin Renate Schmidt, und argumentiert mit dem irreführenden Argument der "Vermeidung von Spätabbrüchen". Dieser Entwurf schreibt eine verschärfte Zwangsberatung für die Frauen vor und setzt die Ärzte unter Druck. Denn er bürdet ihnen nicht nur umfangreiche Dokumentationspflichten auf, sondern sieht darüber hinaus die skandalöse Pflicht vor, diese Information den Behörden auf deren Verlangen vorzulegen.

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Was ist nun neu an dieser alten Debatte um die Abtreibung? Es steht, was selbst viele Politikerinnen diesmal nicht zu erkennen scheinen, die gesamte Indikationenlösung auf dem Prüfstand! Es ist geradezu absurd, dass einige Frauenpolitikerinnen der SPD, der FDP und der Grünen glauben, sie könnten ihr Anliegen – die Beratungen vor und nach einer Pränatal-Diagnose zu verbessern – ausgerechnet in einem derartig repressiven Lebensschutzentwurf festschreiben. Einige scheinen sich unter Zugzwang zu wähnen und bieten reflexartig Kompromisse an.

Aber wer die Schwangerschaftsberatung bei Spätabtreibungen verbessern will, muss erst einmal die Situation analysieren. Das ist aber bisher bei keinem der Änderungsentwürfe geschehen. Was wir wissen ist, dass § 219a StGB (verbotene Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) nicht nur die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch verbietet, sondern mittlerweile dank gezielter Aktionen von Lebensschützer dazu führt, dass kein Arzt es mehr wagt, auf der Arztwebseite darüber zu informieren, dass er oder sie Indikationen feststellt und Schwangerschaftsabbrüche durchführt (man lese nur einmal www.babycaust.de). Wenn ein Gesetz geändert werden sollte, dann dieser Straftatbestand, der noch aus dem Jahr 1933 stammt! Mit einer kleinen Änderung könnte deutlich werden, dass eine sachliche Information über die Bereitschaft zum Abbruch in Arztpraxen und Kliniken zulässig ist.

Und nicht einer der Sachverständigen – selbst die Standesvertreter der Ärzte nicht, die im Vorfeld der Anhörung im März via Presseerklärungen den Singhammer-Entwurf begrüßt hatten – unterstützte die Dokumentationspflicht, da allen klar ist, dass deren Folgen fatal sein werden. Daher hat auch die Gruppe um die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese, deren Namen der Entwurf Nummer 2 trägt und die dicht am Singhammer-Entwurf ist, inzwischen erklärt, sie würden zumindest von dieser Vorlagepflicht Abstand nehmen.

Dennoch ist bisher kein einheitlicher Antrag gegen den CSU-Angriff auf den § 218 in Sicht, der eine Chance auf eine klare Mehrheit hätte. Die Griese-Gruppe, in der auch zahlreiche Grüne und Liberale mitmachen, scheint, ganz wie Singhammer, an einer starren Bedenkzeit von drei Tagen festhalten zu wollen. Was bedeuten würde, dass eine Frau nach dem Befund, den ihr entweder der behandelnde Arzt mitteilt oder das PN-Diagnosezentrum, noch drei weitere Tage warten muss, bevor sie einen zweiten Arzt konsultieren kann, der erst dann die Indikation stellen darf. Verstößt der Arzt, der die Indikation stellt, gegen diese Auflagen, muss er mit einem Bußgeld rechnen. Vergleicht man die unterschiedlichen Ansätze, dann ist der SPD-Entwurf von Griese im Verbund mit einigen FDP-Abgeordneten und Grünen fatal nahe an der Logik des Singhammer-Entwurfs.

Gegen jedwede Veränderung des § 218 plädiert der dritte Antrag von der SPD-Abgeordneten Christel Humme und weiteren Abgeordneten aus SPD, FDP und von den Grünen. Humme warnt davor, den mühsam errungenen § 218–Kompromiss zu verwässern. Auch diese Gruppe will eine bessere, aber eine freiwillige Beratung bei allen gendiagnostischen Verfahren, allerdings nicht via § 218, sondern via Gendiagnostikgesetz. Und sie fordert eine insgesamt bessere Information über den Rechtsanspruch aller Menschen auf angemessene Beratung. Die Humme-Gruppe hält es für grundsätzlich falsch, Sonderregelungen für Maßnahmen der Pränataldiagnostik zu ersinnen; denn die Problematik stellt sich auch anderswo.

Bemerkenswert ist, dass alle Vorschläge Gruppenanträge sind. Daher muss der Bundestag im Mai über alle fünf Vorlagen entscheiden. Aber wie kann es sein, dass im Jahre 2009 ein solches Vorhaben überhaupt Mehrheiten hat? Noch 1995 wäre das undenkbar gewesen. Schließlich wurde 30 Jahre lang um jedes Detail der Regelungen des § 218 gestritten. Und waren sich alle einig, dass sie mit dem erzielten Status Quo leben können. Dennoch wird nun schon wieder weiter gefeilscht und gekämpft. Und dies trotz der Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung das geltende Recht akzeptiert; ja, viele weiterhin für eine Fristenlösung sind, die die Frauen nicht bevormundet.

Doch viele Politikerinnen und Politiker glauben heutzutage offenbar, auf jede Kritik einer ideologisch argumentierenden Gruppe reagieren zu müssen. Denn deutsche LebensschützerInnen beginnen immer wieder neu mit diesen öden Debatten, und es finden sich immer wieder konservative Abgeordnete, die vorgeben, mit Gesetzen tragischen Grenzfällen beikommen zu wollen. Und nun ziehen auch noch SozialdemokratInnen und Liberale mit diesen ChristdemokratInnen an einem Strick! Wir haben jetzt also fünf Anträge und der Weltanschauungsstreit geht quer durch fast alle Parteien. Nur noch Die Linke ist weiterhin geschlossen für das Recht von Frauen auf Abtreibung.
Der Berufsverband der Frauenärzte lehnt jegliche Änderungen des § 218 ab. Viele Ärztefunktionäre jedoch folgen den Forderungen der Lebensschützer. Dabei wissen selbst die Initiatoren nur zu gut, dass es in ihrem CDU/CSU-Entwurf gar nicht um die "Vermeidung von Spätabbrüchen" geht, sondern um eine Einschränkung der Anforderungen an die medizinische Indikation.

Legitim sei eine zeitlich unbefristete medizinische Indikation nur bei Lebensgefahr der Schwangeren, argumentiert die CSU-Initiative. Doch für den Fall, dass das Leben der Mutter in Gefahr ist, liegt seit 1927 (Rechtsprechung des Reichsgerichts) ohnehin ein Notstand vor, der es erlaubt, das Kind zu opfern. Strittig ist die gezielte Tötung eines Fetus (Fetozid) nur für den Fall, dass die Schwangere sich künftigen Belastungen nicht gewachsen sieht. Lebensschützer wollen nun das Recht zum Fetozid in außergewöhnlicher Lage beseitigt sehen oder zumindest schmälern.

Den Rechtsanspruch auf Beratung, um den es einigen Teilen von SPD, FDP und Grünen angeblich geht, gibt es seit 1995. Er gilt für alle Menschen und betrifft Hilfsmöglichkeiten bei Behinderungen, Reproduktion, Sexualität und Familienplanung. Die Länder haben die Pflicht, diese Beratungseinrichtungen zu finanzieren und müssen dafür sorgen, dass es eine wohnortnahe Beratung gibt (Sicherstellungsauftrag). Diese Pflicht wurde 2004 durch ein spektakuläres Urteil des Bundesverwaltungsgericht sogar noch einmal betont.

Wieso also stellen ausgerechnet Frauenpolitikerinnen die so mühsam errungene Reform des § 218 jetzt wieder infrage? Wieso wird nicht über ein Gendiagnostikgesetz geredet, das für alle gendiagnostischen Untersuchungen gilt? Das Netz der Beratungsstellen ist vorhanden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert und koordiniert und sie bezieht auch sozialethische Fragen mit ein. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind repräsentiert. Wieso also eine Remoralisierung der Abtreibung?

Steter Tropfen höhlt den Stein. Weder sind die angedrohten Sanktionen für Ärzte harmlos, noch bleiben solche Gesetze für die betroffenen Frauen folgenlos. Der Druck richtet sich nicht direkt gegen hoch belastete Schwangere, sondern vor allem gegen die wenigen Ärzte, die noch dazu bereit sind, Indikationen zu stellen. Die wissen nun, dass die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gegen sie sind. Und Kliniken, die noch Abbrüche durchführen, haben Ethik-Kommissionen; auch dort wird die Haltung zunehmend restriktiver. Schon heute weichen viele Frauen wieder nach Holland oder Österreich aus.

Die Autorin ist Direktorin des "Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie" an der Universität Kiel. Das Gutachten von Prof. Dr. Monika Frommel "zu der geplanten Änderung der medizinischen Indikation – vorgelegt unter dem irreführenden Titel 'Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder'"(Gutachen Frommel).

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