Antisemitismus: Judenhass & Linke
Er kommt zunächst fast unbemerkt (und wohl unbewusst) daher, der Antisemitismus. Mit den gerne sogenannten „jüdischen Mitbürgern“. Wir, die nichtjüdischen Deutschen, sind die Bürger, die jüdischen Deutschen aber sind die „Mitbürger“. Keine vollwertigen Bürger, nein, das nun doch nicht. Sie bleiben die Anderen, die wir netterweise dulden. Es geht weiter damit, dass viele Deutsche sich schwertun, einfach von „Juden“ zu sprechen. Das Wort scheint ihnen immer noch peinlich zu sein. Stattdessen ist die Rede vom „jüdischen Leben“ (würde man jemals „christliches Leben“ sagen statt „Christen“?) oder Menschen „jüdischer Herkunft“ oder gar „jüdischer Religion“. Religion? Viele Juden sind, ganz wie die Christen oder Muslime, nicht gläubig bzw. bestenfalls Festtagsjuden in der Synagoge.
Mit Religion hat das Jüdischsein wenig zu tun. Es ist eher ein Schicksal, das von den Nichtjuden zugewiesen wird. Es ist die Folge des noch immer schwelenden und gerade wieder auflodernden Antisemitismus. Erst der Antisemitismus macht die Juden zu Juden. Das wusste schon Jean-Paul Sartre. „Viele der KZ-Häftlinge waren sich bis zur Deportation kaum bewusst, dass sie Juden sind“, sagte mir einmal ein Wiener Jude. „Ich auch nicht.“ Das heißt, unsere „Mitbürger“ hielten sich für Bürger, für integriert.
Nach 1945 und sechs Millionen ermordeter Juden hatten die meisten Deutschen ihre Lektion gelernt. Sicher, selbst der offene Judenhass war noch da, aber hierzulande weniger als in unseren westlichen Nachbarländern. Er schwankte in Deutschland lange um die fünf Prozent Antisemiten und war in der Regel Teil des Rechtsextremismus.
Die tätlichen Angriffe auf Jüdinnen und Juden haben sich seit 2023 verdoppelt
Die neuesten Zahlen aber vermelden einen ruckartigen Anstieg antisemitisch motivierter Verbrechen seit dem 7. Oktober 2023. Mit 6.236 Fällen im Jahr haben sich die tätlichen Angriffe gegen Juden und Jüdinnen seit 2023 verdoppelt – und sie steigen weiter. Dieser Antisemitismus ist heute allerdings eher bei muslimischen Islamisten verortet, Schulter an Schulter mit Teilen der deutschen Linken und Linksextremisten.
Vor einem Jahr hatte ich in Weimar zu tun. Beim Frühstück im Hotel machte ich die Bekanntschaft des Mannes am Nebentisch. Ein Journalist und Israeli. Warum er hier in Weimar sei, fragte ich ihn. Wegen der Nazi-Schmierereien im KZ Buchenwald? Da lachte mein Kollege trocken auf und sagte: „Nein, wegen der Rechten mache ich mir keine Sorgen. Es ist der linke Antisemitismus in Deutschland, der mich beunruhigt.“
Doch auch der ist nicht wirklich neu. Der erste Anschlag auf eine jüdische Institution nach 1945 in Deutschland, das jüdische Gemeindehaus in West-Berlin, kam von links. Er wurde von den „Tupamaros“ verübt, einer linken „Stadtguerilla“. Zum Glück zündete die Bombe am 9. November 1969 nicht. Sonst wären an diesem Gedenktag zum Pogrom 1938 noch einmal viele Juden gestorben.
Vor 50 Jahren kämpften Palästinenserinnen noch mit offenem Haar und Kalaschnikow
Schon damals wurde der Anschlag begründet durch die Solidarität mit der palästinensischen Widerstandsgruppe Fatah und dem Kampf gegen Israel und den Imperialismus, vorrangig verkörpert durch das „jüdische Großkapital“. Die Bombe war übrigens von Peter Urban, einem V-Mann des Verfassungsschutzes, geliefert worden. Und Dieter Kunzelmann, polizeibekannter Anführer der „Tupamaros“ und Mitglied der Kommune 1, wurde mysteriöserweise nie zur Rechenschaft gezogen. Der radikalen Linken war „das Proletariat“, das sie befreien wollten, verloren gegangen. „Die Muslime“ wurden ihr Ersatz.
Seither dient die – grundsätzlich selbstverständlich legitime – Kritik an der Politik des Staates Israel als Vorwand für die Ablehnung aller Juden. Israelis werden heute weltweit aus Kultur- und Sportveranstaltungen ausgeladen, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ihnen wird von Universitäten gekappt. Und das, obwohl laut Umfragen über 70 Prozent der Bevölkerung gegen Netanjahus Gaza-Politik sind und seine Abdankung wünscht. Mehr noch: Juden, die gar keine Israelis sind, werden weltweit wegen Gaza angepöbelt.
Die franco-jüdische Soziologin Eva Illouz erklärte jüngst im Spiegel: Es bestehe „überhaupt kein Zweifel daran, dass Israel von Extremisten regiert wird. Aber sollte Israel deshalb als Pariastaat behandelt werden?“ Und sie klagt: „Es gibt in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte die Tendenz, Israel als einzigartig und menschlich böse zu beschreiben. Aber die Israelis sind wie alle anderen, nicht schlechter“. Allerdings hätten 70 Jahre „Kriegszustand“ in Israel zu einer „Verhärtung der Herzen“ geführt.
Ein palästinensischer Staat wäre heute dank der Muslimbrüder der Gottesstaat Nr. 1
Zu der „Verhärtung der Herzen“ hat in Deutschland die Agitation der Islamisten und ihrer linken Sympathisanten geführt, die sich den Judenhass auf die Fahne geschrieben haben. Wir Frauen dürfen uns gleich mitgemeint fühlen. Vor 50 Jahren kämpften Palästinenserinnen noch mit wehendem Haar und der Kalaschnikow am Anschlag für die Freiheit ihres Volkes. Heute sind sie unsichtbar unter dem Schleier.
Warum hat man diese Extremisten auch mitten in Deutschland so lange gewähren lassen? Warum ist diese fatale Entwicklung erst heute Thema?
Schon 2017 interviewte die FAZ-Korrespondentin in Paris Elisabeth Badinter und mich zu dem aktuellen Antisemitismus in Frankreich und Deutschland. Die Philosophin Badinter steht in der Tradition der Aufklärung, ihr Vater war ein orthodoxer Jude und die Mutter eine gläubige Christin. Ich komme aus einer Familie, die die Nazis und den Antisemitismus gehasst hat. Überraschend war bei dem Doppelinterview für uns alle weniger der steigende Judenhass in beiden Ländern, sondern vor allem, wie sehr sich die Phänomene gleichen, trotz der so unterschiedlichen Geschichte beider Länder: das eine einst Kolonialmacht, das andere mit dem dunklen Erbe des Holocaust.
Doch in beiden Ländern war deutlich, dass die von Islamisten radikalisierte dritte Generation der Muslime und ein Teil der neuzugezogenen Migranten eine entscheidende Rolle spielen, entscheidend sind für den Anstieg des Antisemitismus. Er kommt nicht von innen, sondern von außen. Er ist importiert und ungefiltert von Teilen der Linken und den Linksextremen übernommen worden. Ihr internationaler Slogan „From the river to the sea“ propagiert die Auslöschung Israels.
Mitten in Deutschland sind Frauen, Homosexuelle und Juden nicht mehr sicher
Leben die Töchter und Söhne ihrer Nazi-Vorfahren jetzt also den traditionellen Antisemitismus unter neuen Etiketten aus? Offensichtlich. Regelrecht tragisch-komisch ist dabei die Rolle der queeren Community und der sogenannten „Queerfeministinnen“. Sie wären nämlich die Ersten, die in einem islamistischen Staat Palästina ins Meer geworfen würden. Denn ein Staat Palästina wäre nach Jahrzehnten der Agitation der Muslimbrüder in den Lagern heute der Gottesstaat Nr. 1 auf der Welt, noch vor dem Iran.
Doch auch mitten in Deutschland sind Frauen, Homosexuelle und Juden in muslimisch dominierten Stadtvierteln nicht mehr sicher. Jüdischen Cafés werden die Fenster eingeworfen, und jüdische Deutsche werden wegen der in der Tat mörderischen Gaza-Politik Israels beschimpft. So klagt der Publizist Rafael Seligmann: „Wir werden in Geiselhaft genommen wegen Gaza.“ Und der Rapper Salomon erhält Mails des Stils: „Früher haben wir aus dir Lampenschirme hergestellt.“
Juden sind in Deutschland nicht mehr sicher. Sie müssen Angst haben, weil sie Juden sind. Das ist zutiefst beschämend!
Der Staat Israel ist die Folge des weltweiten Antisemitismus und des deutschen Holocaust. Er ist der einzige Flecken Erde, wo Juden nicht die Anderen, die Fremden sind, sondern zuhause. Darum ist das Existenzrecht Israels unverhandelbar.
Hinzu kommt das palästinensische Drama. Die umherirrenden Palästinenser werden seit Jahrzehnten funktionalisiert und herumgestoßen, von allen. Israel sind die lästig. Den arabischen Staaten sind sie ebenfalls nicht willkommen, aber praktisch: ein Spielball im Konflikt mit Israel.
Wir Deutschen können als Land nur wenig zur Lösung dieses Konfliktes beitragen. Dazu sind wir viel zu schwach. Das wird – wie wir gerade an der Rolle von Trump bei der Befreiung der Geiseln sehen – in einer anderen Liga entschieden. Aber wir könnten endlich erschrecken über den aufflammenden Judenhass mitten unter uns. Und wir sind in der besonderen Pflicht, gegenzuhalten. Gerade in Deutschland müssen jüdische Bürger sicher und selbstverständlich leben können.
ALICE SCHWARZER