Ask Alice: Welche Filme noch sehen?
30. Mai 2014
Liebe Lina,
das ist eine echt kniffelige Frage, mit der ich selber auch kämpfe. Nicht wg. X-Men, die Filme kenne ich nicht. Aber wegen Woody Allen und Roman Polanski. Die Filme der beiden habe ich früher sehr geschätzt. Doch ich glaube nicht, dass man KünstlerIn und Werk strikt trennen kann. Das Werk ist ja ein Teil des Künstlers, man kann also von der Person nicht total abstrahieren.
Es kommt wohl auf die Schwere des Fehlers oder Vergehens an. Wenn einer einfach mal eine Dummheit macht oder einen fragwürdigen Charakter hat - dann kann frau auch drei gerade sein lassen und trotzdem ein Bild, einen Film, einen Song, einen Roman schätzen. Aber der systematische Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen... Da wird es schon ernst.
Ich persönlich habe bisher auch nur halb konsequent reagiert. Also: Woody Allen ist mir für immer vergangen, ich kann auch gar nicht mehr über ihn lachen. Von Roman Polanski jedoch berührt mich immer noch dieser oder jener ältere Film, "Der Pianist" zum Beispiel.
Nun werden wir in der nächsten EMMA einen Artikel haben, der es dir, deinen Freundinnen und mir noch schwerer macht. Da berichtet unsere Hollywood-Korrespondentin, dass auch in der Traumfabrik der sexuelle Missbrauch von Kindern kein Ausrutscher war, sondern System. Das scheint also nicht nur heute bei Singer & Kameraden so zu sein, das war auch früher schon so.
Der Frauenheld Errol Flynn zum Beispiel hat eine Minderjährige vergewaltigt. Und der geniale Charly Chaplin hatte nicht nur die bereits hinlänglich bekannte Schwäche für sehr junge Frauen, sondern hat sich auch an der zwölfjährigen Lita Grey vergriffen - und ihr ein Kind gemacht, als sie 16 war. Jetzt dürfen wir also eigentlich auch keine Chaplin-Filme mehr sehen, wo doch "Der große Diktator" einer meiner Lieblingsfilme ist. Es ist wirklich zum Kotzen!
Und vor allem: Wir müssen uns die Frage stellen, wie weit diese strukturelle sexuelle Gewalt auch in Hollywood die Filme geprägt hat - der Stoff, aus dem unsere (Alp)Träume sind.
Mit herzlichen Grüßen, auch an deine Freundinnen,
Alice Schwarzer
