Bettine von Arnim: Der Königinsohn
Es war einmal ein König, der konnte von seiner Burg aus viele Länder übersehen, und diese waren alle in seiner Gewalt. Hinter der Burg aber waren schöne Gärten zu seiner Lust, die waren mit herrlichen Flüssen um geben und mit Wäldern, darin der König jagen ging mit seinen Getreuen das edle Wild, es waren da Löwen und Tiger, wilde Katzen saßen auf den Bäumen.
Die Füchse und Wölfe sprangen im Dickicht umher. Die Bären mit goldnem Fell und auch weiße schwammen oft paarweis über die Flüsse und kamen in des Königs Garten, auf den Gipfeln der Bäume nisteten die Stoßadler, und es waren diese Wälder ein wahres Reich der Tiere, welches dasselbe des Königs begrenzte.
Der König aber nahm ein Weib um ihrer Schönheit willen, und da sie mit dem Segen ging, da freute sich das Volk, dass ihr König sollte einen Thronerben haben, und sie begegneten hierauf dem Weib sehr freundlich.
Die Zeit des Gebärens verstrich, ohne dass sie eines Kindes genesen wär, sondern ihr Leib wuchs nur immer, und sie nahm Speis und Trank zu sich wie ein gesundes Weib. Da wurde der König traurig, weil er glaubte, sein Gemahl sei krank und müsste bald sterben, aber sie ging sieben Jahr eines hohen Leibes, und der König ärgerte sich über ihre Missgestalt und glaubte, dass sie sich an Gott versündigt habe, weil er sie so hart strafe, er ließ ihr Bett von dem seinigen scheiden und gab ihr den hintern Teil der Burg.
Hier trug sie langsam und traurig ihre schwere Bürde durch die einsamen Gärten und sah die wilden Tiere aus dem Wald an das jenseitige Ufer des Flusses kommen, um sich zu tränken.
Wenn es dann um die Frühlingszeit war und es kamen die alten Leuen oder Tiger mit ihren Jungen und tränkten, da wünschte sie oft in schwerer Verzweiflung, auch ein reißendes Tier zu sein und im Walde ihre Nahrung mit wütigem Kampf dem Leben zu entreißen, wenn sie nur ihre Kindlein mögt ernähren, aber sie sprach:
"Muss ich mit schwerem Tritt und schwerem Jammer hier durch die Gärten wandeln, man reicht mir Nahrung, ich seh euch eurer Frucht genesen und wie ihr eure Jungen in eurer wilden Natur erzieht, aber ich die Königstochter, die Fürstin, soll keinen meines edlen Stammes erziehen, soll unglücklich sein und vor dem König, meinem Gemahl, verhasst."
Als sie einsmals auf einem einsamen Ort unter einer Palme saß, ermüdet und schwach, kamen ihr die Wehen, und sie gebar einen Sohn, der gleichsam die Kräfte eines siebenjährigen Kindes zu haben schien, denn während er zur Welt kam, hatte sich eine wilde Bärin über den Fluss gewagt, und als er kaum frei war, jagte er diesem nach, er kriegte es bei seinem Fell, das Tier schwamm zurück und trug ihn mit sich in den Wald. Da schrie die Königin mit gewaltiger Mutterstimme: "Mein Sohn, mein einzig geborener, ist in dem Wald und wird von den wilden Tieren gefressen."
Die Wachen des Königs kamen herbei und stürzten durch die Flüsse nach den Wäldern, mit Streitkolben, mit Pfeilbogen und Spießen, und wollten ihres Herrn Sohn wiederhaben. Aber da die Tiere merkten, dass man mit Gewalt in ihr Gebiet einfalle, kamen sie aus den Wäldern an das Ufer, um sich zu wehren.
Die Bären setzten sich aufrecht und streckten ihre Tatzen aus, die Leuen fletschten die Zähne und wedelten mit den Schweifen, die Tiger liefen auf und ab am Ufer mit feurigen Blicken, die Wölfe heulten, und die Elefanten wühlten die Erde auf und stürzten Felsen ins Wasser, also dass keiner der kühnen Reuter es wagte, ans Ufer zu steigen; sie schwammen also zurück zur verlassenen Königin, weil sie doch glaubten, der Königssohn sei verloren.
Da sie aber zu ihr kamen, fanden sie, dass sie im Gebären war und noch sechs Kindlein zur Welt brachte, um welches eins immer jünger und schwächer schien als das andre, und trauerte man daher nicht viel um den verlorenen Sohn.
Sie wurde mit den sechs Säuglingen als eine glorreiche Mutter vor den König getragen, der sie mit Freuden aufnahm. Da wuchsen denn die Kindlein, und die Königin pflegte ihrer mit großer Geduld und gab ihnen Nahrung, aber wenn es Abend wurd, dass sie sie zur Ruhe gelegt hatte, da ging sie hinter die Burg, auf den Fleck, da sie gesessen und die Bärin ihr das Kind geholt, und sie lief am Wasser hin, ob sie ihren Sohn wohl möcht aus den Gebüschen locken.
Sie bekümmerte sich auch in ihrem Herzen, ganz weniger um die andren Kinder denn allein um diesen, und konnte nicht glauben, dass er sei umgekommen, also wie ein Schäfer sich mehr bekümmert um das eine Lamm, welches verloren, denn um die ganze Herde und glaubt, dass dieses Lamm das beste und einzige war.
Sie fürchtet sich auch nicht mehr vor den wilden Tieren, wenn sie die in der Nacht heulen hört und wenn sie in den Garten kommen, da läuft sie ihnen nach und fragt nach ihrem Kind, und wenn diese sie nicht verstehen wollen, da wird sie oft ungeduldig und verzweifelt, sie droht und bittet und kriegt die Bären beim Fell, sagt, "ihr habt mir meinen Sohn gestohlen".
Die wollen sich aber nichts drum kümmern und tun nach ihrer Art, sie kennen die Frau an ihrem Ansehen und tun ihr nichts zu leid. Wenn sie dann wieder in die Burg kommt, so wischt sie ihre Tränen ab und beugt ihr Gesicht auf die Kinder, die unruhig sein, und verbirgt so ihre Trauer und spricht:
"Meine armen Kinder sein unruhig und frieren, ich muss sie wärmen und muss sie nähren", also dass sie ihre Traurigkeit den ganzen Tag vor den Leuten verbirgt und ihr Gesicht nicht gegen das Tageslicht wendet, denn sie schämt sich, weil sie keine Lieb zu diesen übrigen Kindern verspürt.
Doch erzieht sie dieselben mit großer Geduld und Weisheit am Tag, aber am Abend, wenn die Kinder schlafen, forscht sie ihrem einzig geliebten Sohn nach. Da redet sie die großen Raubvögel an, die in den Lüften herüber und hinüber fliegen, die ihren Jungen Speis bringen und wieder holen gehen, und wenn die unverständlich schreien, so meinet sie, etwas zu verstehen, und streicht das Haupthaar zurück, um es zu vernehmen.
Sie gibt sich Müh, das Geschrei auszulegen, sie redet auch selbst die Bienlein und summenden Käfer an, die über dem Wasser schweben, die schwärmen um sie her, brummen und summen ein jedes nach seiner Art, fliegen dann wieder fort; oh arme Königin, es wird Dir kein wildes unverständiges Tier Rat geben, die wissen nicht, was Menschenklag ist.
Denn die Menschen verfolgen sie und haben ganz keine Gemeinschaft mit ihnen, sie trachten ihnen nach dem Leben, um ihr Fell, oder um ihr Fleisch zu essen, aber nie hat sich ein Mensch an sie gewandt, um Trost bei ihnen zu holen oder mit ihnen freundlich zu leben, es hat aber manch edel Wild geklagt um die Freiheit, die ihm der Mensch listig geraubt hat, dass es ihm hat müssen Sklavendienste tun, dass es doch nicht schuldig war zu tun, und muss trocken Heu für seine Dienste fressen, da es doch hat können im Wald frisch Laub fressen, und muss um sein Maul lassen ein Zaum binden und sich mit einer Peitsche regieren.
Darum trauen sie auch dem Menschen nicht und gehn ihm außer Weg, wenn sie sich aber nicht zu helfen wissen, dann packen sie oft den Menschen an und zerreißen ihn auf eine gräuliche Art, bloß um ihre Freiheit oder ihre Jungen zu erhalten.
Nun wurden aber die Kinder recht groß und auch zu aller Weisheit gut erzogen, sie hatten sehr einträchtige Gesinnungen und ließen sich in allem auf eine edle Weise an. Der König wusste also nicht, welchem er die Kron sollt lassen, denn man konnt nicht sagen, welcher früher geboren war oder dass einer weniger tauglich sei zum Herrschen.
Ließ er sie spielend um den Preis werben, so kam es oft, dass alle den gleichen Preis gewannen oder dass ein jeder in einer andern Art vorzüglich war, der König konnt auch keinen mehr lieben, denn es war ein jeder schön, und ihr Wesen war zu vergleichen mit dem Hals eines schönen Federspiels, wenn es in der Sonne steht; dreht es sich so, so spiegelt die gelbe oder rote Farbe am herrlichsten, dreht es sich wieder anders, so kommt eine andre, oder geht es auf und ab und bewegt die Flügel, so wechseln die Farben wie der Blitz, eine so schön wie die andre, und man weiß nicht, welche am schönsten, oder wie der Regenbogen, wo alle Farben schön vereint stehen und sich über den weiten Himmel spannen, die eine immer aus der andern hervorgeht.
Der König aber hatte nicht das Recht, sein Land zu teilen oder ihm mehr als einen Herrn zu geben, er ließ daher aus lauterem Gold eine Krone machen, die die sechs Häupter seiner Kinder umschloss, und er sagte ihnen: "Solang eure Gemüter und Sinne so rein bleiben wie dies Gold und dass ihr so einig seid, dass ihr eure Häupter mögt all in diesen Ring fassen und euch liebend küssen, so mag ich wohl sagen, mein Land hat nur einen Herrn, und obwohl viele Leiber, hat es doch nur einen Geist."
Und es wurde ein großes Fest bereitet, das dem Volke sollt die neuen Könige zeigen. Es versammelten sich alle Edlen am Hof, da war unter freiem Himmel ein großer Thron von Gold, darauf saßen die Königssöhne und legte ihnen der König die Kron auf die Häupter. Die stille, einsame Mutter aber war in vollem Schmuck und Pracht mit goldnen Schleiern und Mänteln angetan, und es war ein Jauchzen zu ihr, man nennt sie die glorreiche Mutter und spielt ihr vor auf allen Instrumenten, eine herrliche Musik zu ihrem Lob, sie aber verbirgt ihr Angesicht hinter den Schleier und weint bittere Tränen um ihr verlorenes Kind.
Da steigen die Söhne herab von ihren Sitzen, fallen auf ihre Knie und begehren der Mutter Segen, da steht sie auf und teilt mit ihrer rechten Hand den Segen ihren Kindern, die linke Hand hält sie aber aufs Herz und gedenkt ihres Sohnes.
Aber die wilden Tiere hatten das Frohlocken gehört durch das ganze Land und waren unruhig geworden, sie schwammen über den Fluss zu großen Scharen. Da brachten die Wachen die gräuliche Botschaft an Hof, da floh alles in seine Wohnung, aber die Mutter blieb, denn sie hatte keine Furcht, die Söhne wollten ihre Mutter nicht verlassen, da sie auf ihr Flehen nicht weichen wollte.
Da kam die Schar heran und mitten unter ihnen ein schönes Antlitz, das zum Himmel blickte, und schien ein Mensch zu sein, nur dass er schöner und edler war, er reitet auf der Leuen und Tiger Rücken und springt anmutig vom einen zum andern. Da das die Mutter sieht, so spricht sie:
"Es ist mein Sohn", und geht mit mutigem Wesen ihm entgegen, sie legt sich an sein Herz, dass sie spürt einen Felsstein sich vom Herzen wälzen, die Tiere kennen die Frau an ihrem Ansehen und tun ihr nichts zu leid.
Der Jüngling hat aber keine Sprach, er kann nur seinen Willen durch Zeichen kund tun, daher nimmt er die Kron und wickelt sie siebenfach um sein Haupt, auch riss er mit seiner starken Hand einen großen Ölbaum aus dem Erdboden und gab den sechs Brüdern einem jeden einen Zweig, sich selbst behielt er den Stamm, als welches heißen soll, ich bin der Herr, aber ihr sollt in Frieden mit mir leben, und er ward ein Herrscher über Tiere und Menschen im Geist, sonder Sprache.
Aus der Märchensammlung "Im Reich der Wünsche - die schönsten Märchen deutscher Dichterinnen", herausgegeben von Shawn C. Jarvis (C. H. Beck, 19.95 €)