Alice Schwarzer schreibt

Blanchett in Tár: Macht & Missbrauch

Cate Blanchett spielt beunruhigend überzeugend die Stardirigentin Tár. - Foto: Florian Hoffmeister/© 2022 Focus Features, LLC.
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Cate Blanchett („Carol“) verkörpert als „Tàr“ mit kühler Androgynität die Hochattraktive, Hochbegabte, Hochberühmte, sich in Privatjets, Luxuswohnungen und Konzertsälen bewegende Stardirigentin bis in die letzte Nuance. Wir bewundern ihre kraftvolle, leidenschaftliche Kunst. Und es ist gut, dass eine Frau und nicht ein Mann in der Rolle auftritt, wie es normal wäre. Dadurch kann dieser Film die ganze Spanne von Macht, Verführung und Abhängigkeit bis in den letzten Winkel ausleuchten – und auch die Unterschiede, die trotz alledem zwischen den Geschlechtern und ihrer Rezeption bestehen bleiben.

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Die Story: Die international agierende amerikanische Stardirigentin Tár leitet u.a. die Philharmoniker in Berlin, wo auch ihre deutsche Lebensgefährtin und „erste Geige“ im Orchester lebt. Die Lebensgefährtin wird dargestellt von der allwissenden, melancholischen Nina Hoss, in deren Gesicht sich alles abzeichnet: Stolz, Verzweiflung, Zorn. Sie wird sich am Ende mit den Waffen einer Frau wehren: indem sie der gefallenen Tár den Zugang zur gemeinsam erzogenen Tochter verwehrt.

Társ Weg aus der kleinbürgerlichen Kindheit, in der sie für Bernstein schwärmte, an die Spitze der internationalen Musikwelt hat sie geprägt. Sie hat Privilegien und nimmt sie sich. Doch ihr gesteht man die mangelnde Empathie und Rücksichtslosigkeit weniger zu, als es wohl bei einem Mann der Fall wäre. Auch sexuelle Affären nicht. Sie wird verurteilt, obwohl sie keineswegs eine MeToo-Täterin ist, denn sie wird nie aktiv sexuell übergriffig, nutzt Abhängigkeiten nicht wirklich aus. Aber sie spielt zu unbedacht mit der Erotik der Macht, nimmt sexuelle Angebote von Bewunderinnen zu leichtfertig an.

MeToo & Wokeness bringen sie zu Fall .
Zu Recht oder Unrecht?

Und dann ist da noch die Künstlerin als Lehrende. In der Konfrontation mit einem Studenten, der sich als Coloured Man „einen Scheißdreck“ für Bach interessiert, weil der, seiner Meinung nach, ein alter weißer Mann ist und als Vater von 20 Kindern sexistisch noch dazu. Tár verteidigt das „geschlechtslose Genie“ von Bach und versucht, dem woken Studenten ihre Auffassung von Kunst nahezubringen: kontextlose Kunst gegen Identitätsideologie. Wo liegt die Wahrheit? In der Mitte?

Cate Blanchett mit Regisseur Todd Fields beim Filmfestival in Venedig. - Foto: Giulia Parmigiani
Cate Blanchett mit Regisseur Todd Field beim Filmfestival in Venedig. - Foto: Giulia Parmigiani

Es ist der Offenheit und Empathie von Regisseur (und Drehbuchautor!) Todd Field zu verdanken, dass alle DarstellerInnen ihre Figuren tief ausloten konnten, mit allen Ambivalenzen, mit Licht und Schatten. Übrigens: Auf die Frage, warum er, der mit seinen ersten Filmen so erfolgreich war, seit 16 Jahren keinen Film mehr gemacht hätte, antwortet der Regisseur: „Weil ich meine Kinder aufwachsen sehen wollte.“

Die faszinierende Tár hat eine Männerkarriere gemacht und mehr als das – ist aber dennoch eine Frau geblieben. Auch in den Augen der anderen. Sie wird über eine Intrige stürzen, und halb in den Wahnsinn getrieben werden, die in einem solchen Ausmaß für keinen Mann zur Falle geworden wäre.

Die Lebensgefährtin, gespielt von Nina Hoss,
rächt sich mit den Mitteln einer Frau

Später, nach dem Fall, schickt ein Hotelportier in einem asiatischen Land Tár, die nach einem Massagesalon fragt, in ein Luxusbordell, wo der Gast sich eine der nummerierten Frauen im Bademantel aussuchen kann. Schnitt. Wir sehen Tár auf die Straße rennen und sich in den Rinnstein übergeben.

Tár ist ein großer Film über Menschen, Frauen wie Männer, über Macht und Missbrauch. Er bewegt einen weit über den Kinoabend hinaus.

ALICE SCHWARZER

 

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