Burka-Debatte: Freiheit oder Tod!

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Als die französische Revolution ausbrach, marschierten Frauen in der ersten Reihe mit. Bald merkten sie, dass sie ein eigenes Programm brauchten. Sie gründeten Clubs, formulierten Pamphlete und hielten Reden. Sie forderten gleiche Rechte und den Zugang zu politischen Ämtern. Was sie damit erstmals für sich eroberten, war die Öffentlichkeit.

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Als die Revolution in den Terror umkippte, war Schluss mit der Geschwisterlichkeit. Die Clubs der Frauen wurden geschlossen, ihre Versammlungen aufgelöst, ihre Schriften zensiert und die Wortführerinnen unter die Guillotine geschleppt. Die Präsenz der Frauen auf Straßen und Plätzen wurde als eine Art öffentliches Ärgernis verfolgt und unterbunden.

So ging das in Europa während des 19. Jahrhunderts weiter – wenn auch ohne Guillotine. Sowie die reaktionären Kräfte die Oberhand gewannen, schlossen sie die Clubs, verhängten Versammlungsverbote für Frauen und zensierten ihre Publikationen. Frauen, die trotzdem weitermachten, wurden ins Gefängnis gesteckt, ins Exil gezwungen, durch Rufmord vernichtet. Immer noch galten sie in der Öffentlichkeit als Ärgernis.

Frauen in der Öffentlichkeit? Ein Ärgernis!

Der Zugang von Frauen zur Öffentlichkeit, ihre Chancen, politische Ämter zu bekleiden, ist also das Ergebnis eines langen, harten Kampfes. Der wurde am Ende gewonnen. Die Durchsetzung des Frauenwahlrechts und der ersten weiblichen Abgeordneten – in den meisten europäischen Ländern nach dem Ersten Weltkrieg – ist die historische Markierung dieses großen Sieges.

Heute hat Frauenpolitik andere Inhalte: das Abtreibungsverbot, Gewalt, Missbrauch, Menschenhandel oder gleiche Rechte in der Arbeitswelt. Diese Kampagnen sind aber nur möglich auf Basis einer Öffentlichkeit, die Frauen freien Zugang gewährt. Wir bauen also auf den Kämpfen und Siegen unserer Ahninnen auf. Ohne die Beseitigung des patriarchalischen Dogmas, Frauen dürften in der Öffentlichkeit nicht präsent sein, wäre die derzeitige Gleichstellungspolitik unmöglich.

Dabei ist die Eroberung der Öffentlichkeit durch Frauen immer noch unvollständig.  Erst in den 1970er Jahren erschien die erste Nachrichtensprecherin im Fernsehen; man war bis dato der Überzeugung gewesen, dass eine weibliche Stimme der Relevanz von Nachrichten nicht angemessen sei. Dass heute in Talkrunden Frauen unterrepräsentiert sind und dass sie, wenn sie mitreden, häufiger unterbrochen werden, ist bekannt. Aber wir haben an der Spitze der Regierung, im wichtigsten politischen Amt, eine Frau. Das zeigt: im Großen und Ganzen ist der Sieg unser. Dennoch sollte frau wachsam bleiben.

Zum Beispiel was das Straßenbild betrifft.  Öffentlichkeit wird nicht nur durch Institutionen hergestellt, sondern auch durch Orte; nicht nur durch Medien, auch durch Parks, Plätze, Straßen. Zu dieser räumlichen Öffentlichkeit gehört ein bestimmtes Erscheinungsbild der Menschen, die sich in ihr aufhalten, und das war stets umkämpft. Vor hundert Jahren hätte eine Frau in Hosen auf der Straße einen Verkehrsstau ausgelöst und der Schupo hätte sie wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ – ein Delikt, das es immer noch gibt – verwarnt oder mit auf die Wache genommen.

Die Burka ist ein Statement: Ich bin nicht da!

Heute muss ein Mensch schon nackt auf einer Kreuzung tanzen, bis ein Polizist ihn wegen des erwähnten Deliktes anspricht. Unser Straßenbild ist aufgeklärt, es ist bunt und offen. Frauen bevölkern es in Hosen und kniefrei. Das heißt aber nicht, dass jede Art Outfit außerhalb des Karnevals in ihm Platz hat.

Wenn jemand auf der Straße erscheint, der durch seinen Aufzug ein eindeutiges Statement abgibt, welches besagt: ‚Ich, der Mensch in diesem Aufzug, bin eigentlich gar nicht da, denn ich bin eine Frau und darf als solche auf der Straße, die eine Szene der Öffentlichkeit ist, nicht in Erscheinung treten‘, dann wird den beglückenden Errungenschaften der Emanzipation, die unser zeitgenössisches Straßenbild spiegelt, ein sehr hässlicher Einspruch entgegengeschleudert. Diesen Einspruch formuliert die Burka, bzw. ihre Trägerin.

Die Burka ist nicht bloß ein Kleidungsstück und sie ist auch keine religiöse Tracht, sie ist eine Negation. Die Burka eliminiert die Frau, die sie trägt, aus dem Straßenbild. Sie stellt jene vormoderne Ordnung wieder her, die einst verlangt hat, dass eine Frau in der Öffentlichkeit nicht zu erscheinen hat. Und wenn sie dann doch mit ihrem Krug zum Brunnen gehen muss, hat sie sich halt zu verhüllen, damit alle verstehen: Eigentlich ist sie gar nicht da. Sie nimmt sich in ein schwarzes Nichts zurück. Das ist die Botschaft der Burka.

Für die Frauen des Westens ist so ein Statement aus der Steinzeit des Geschlechterkonflikts ein Schlag ins Gesicht. Eine Beleidigung, eine Verhöhnung. Das mindeste, was die Gesetzgebung mithin tun kann, ist ein Verbot der Burka auf der Straße: wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.  Einst waren die aufgeklärten Frauen selbst das Ärgernis. Jetzt müssen wir die Öffentlichkeit, die wir uns mühsam genug angeeignet haben, gegen die Negation weiblicher Präsenz verteidigen.
 

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