Die Liebe und das liebe Geld

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Liebe Renate,

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ach ja, die Liebe und das liebe Geld! Mir klingt immer noch dein Satz im Ohr: „Mein lieber Jürgen zieht sich innerlich zunehmend zurück und gibt mir durch die Blume zu verstehen, dass er es mit mir zur Zeit ja nicht ‚aufnehmen‘ könne.“ Seit dein Mann vorübergehend und wohlüberlegt in Teilzeit gegangen ist, um sich mehr um eure Kinder kümmern zu können und also weniger verdient als du, sei er nicht mehr der Alte. 

Da bist du in bester, aber leidgeprüfter Gesellschaft. Du gehörst, nachdem du endlich Laborleiterin geworden bist, nach wie vor zu einer kleinen, aber stetig wachsenden Minderheit von Frauen, die mehr verdienen als ihr Mann. Wenn wir den Erfahrungen aus dem Leben oder von Psychologen glauben dürfen, folgen Beziehungen, in denen sie ihn beruflich überflügelt, oft demselben Muster: Je erfolgreicher die Frau wird, umso kleiner fühlt sich der Mann. 

Fehlt der Erfolg, fehlt die Lust

Und das wirkt sich oft nicht eben vorteilhaft aus, schon gar nicht auf das Sexualleben. Denn ich weiß schon, was du, liebe Renate, mit der Beschwerde „er zieht sich immer mehr zurück“ sagen ­wolltest. Fehlt der „Erfolg“, fehlt die Lust.

Warum? Darüber könnte die in Deutschland notorische Einkommenslücke – Stichwort: Gender pay gap – Auskunft geben. Sie ­gehört offenbar zur gesellschaftlichen, männerkulturellen Übereinkunft. Frauen verdienen im Schnitt fast 20 Prozent weniger als Männer, selbst bei Vollzeittätigkeit und in vergleichbaren Berufs­tätigkeiten.

Dieser nun überhaupt nicht kleine Unterschied ist mit rational-ökonomischen Argumenten („Frauenberufe“ versus ­„Männerberufe“) nicht vollständig zu erklären. Sondern nur mit tiefwurzelnden, tradierten, ungeschriebenen und unausgespro­chenen Überzeugungen vom Mann als Beschützer, Brotverdiener und also Familienernährer, denen auch gehälterzahlende ­Arbeitgeber unverdrossen zu huldigen scheinen. 

Und wenn der „Ernährer“ dann, aus welchen Gründen auch immer, weniger zu eben dieser Ernährung beitragen kann, gerät er in Identitätskonflikte. Nicht zuletzt, weil frau ihn, oftmals genauso rollenfixiert, auch noch in diesem archaischen Verständnis unterstützt. In Sachen Geld spuken unverdrossen Vorstellungen in unseren Köpfen herum wie zu Zeiten Doris Days. Der Mann, der beim ersten Date nicht die Rechnung übernimmt, braucht auch 2014 auf ein zweites nicht zu hoffen. Eigentlich vollkommen bekloppt, aber weithin Realität.

Die von mir sehr geschätzte Jutta Allmendinger, Soziologin und Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, hat da eine einleuchtende Erklärung parat: „Geld ist für Männer ein Zeichen von Macht. Und eine besser verdienende Frau untergräbt diese Macht. Liebe allein scheint vielen Männern als Sicherheit für eine stabile Beziehung nicht zu genügen.“ 

Geld als Messlatte für Erfolg als Familienvater

Da gibt es Studien, Umfragen, wissenschaftliche Untersuchungen noch und noch, und aus allen lernen wir vor allem dieses: Männer neigen dazu, Geld als Messlatte für ihren Erfolg als Familienvater und Partner zu sehen. Frauen dagegen leben nach wie vor das ­Klischee: „Die Beziehung geht über alles. Ökonomie hat da nichts zu suchen.“ Ein Viertel aller Frauen überlässt deshalb sämtliche Geldgeschäfte ihrem Mann, und drei Viertel der Frauen halten ­häufiges Reden über Finanzen für den Beziehungskiller schlechthin. 

Beziehungskiller! Aber nicht Geld ist schuld, sondern überkommene Geschlechterrollenvorstellungen sind die Liebestöter. Wenn ­Männer Männlichkeit noch immer an der Höhe der monatlichen Gehaltsüberweisung messen, muss frau sich nicht wundern, wenn sein „kleiner Mann“ vor verletztem Männerstolz schamhaft einknickt, wenn sie ihn rein „geldwert“ überflügelt. 

„Überlisten Sie Ihr Beuteschema“, so hat der Münchner Paartherapeut Stefan Woinoff sein Buch überschrieben, in dem er Paaren Mut macht, sich von den alten Rollenbildern zu verabschieden und Neues auszuprobieren. Und was bedeutet Emanzipation anderes, als sich aus alten, tradierten Scheingewissheiten mutig zu lösen? 

Überlisten Sie Ihr Beuteschema

Lade also Jürgen zu eurem Lieblings-Griechen ein und sprich mit ihm einen langen Abend lang darüber, ob die geldwerten Erfolgsnormen unserer heutigen Arbeitswelt tatsächlich die sind, die wir im Innersten als „erfolgreich“ akzeptieren wollen. Ist zum Beispiel ein getriebener Börsenhändler, der den ganzen Tag auf seinen Computer- bildschirm glotzt und dafür Millionenboni einsackt, so viel mehr wert als dein Jürgen, ein liebevoller Familienvater, der nicht nur ein Leichtathletik-As ist, sondern auch noch hervorragend kocht? Eben! Und nach der Aussprache beim Griechen … na ja, das kriegt ihr sicher hin.

Ganz liebe Grüße
von deiner

Dagmar

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