„Dann gehen wir ins Gefängnis!“

Agniezka und Mitstreiterinnen beim Protest für das Recht auf Abtreibung.
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Das polnische Verfassungsgericht hat im Herbst 2020 das ohnehin schon strenge Abtreibungsrecht nochmals verschärft. Jetzt ist Abtreibung auch bei schwerster Behinderung des Fötus verboten. Ihr versucht weiterhin, das Gesetz zu kippen.
Wir haben im letzten halben Jahr über 200.000 Unterschriften für den Gesetzentwurf „Legaler Schwangerschaftsabbruch“ gesammelt, der eine Fristenlösung bis zur zwölften Woche vorsieht. Diese Unterschriften haben wir im Juni im Sejm, neben dem Senat eine der beiden Kammern des polnischen Parlaments, übergeben. In der Diskussion darüber haben sich die Abgeordneten der regierenden Partei PIS immer nur auf Gott berufen. Sie hatten überhaupt keine Argumente – im Gegensatz zu uns. Am Ende der Sitzung hat die Aktivistin Natalia Broniarczyk von der Organisation „Aborcyjny Dream Team“, die Frauen zum Thema Abtreibung informiert und dabei unterstützt, eine erschütternde Rede gehalten, die uns allen unter die Haut ging. Natalia hat unter anderem öffentlich gesagt, dass sie den Frauen in jedem Fall weiterhin bei der Abtreibung helfen wird.

Gerade steht Justyna Wydrzinska von der Organisation „Aborcyjny Dream Team“ vor Gericht. Ihr drohen drei Jahre Haft, weil sie einer Frau Abtreibungspillen zugeschickt hatte.
In vielen Städten gab es Solidaritätsdemos für Justyna, auch vor dem Gerichtsgebäude in Warschau. Der Ehemann der Frau, der sie die Tabletten gegeben hat, war gewalttätig und wollte sie zwingen, die Schwangerschaft auszutragen. Er war dann auch derjenige, der die Polizei alarmiert und Justyna angezeigt hat. Er wird von der rechtskatholischen Organisation „Ordo Iuris“ unterstützt. Zur Verhandlung ist er allerdings nicht erschienen, obwohl er der Hauptbelastungszeuge ist. Justyna hat es aber sowieso zugegeben. Sie hat erklärt, dass sie nichts bedauert und bereit ist, ins Gefängnis zu gehen.

Ihr habt auch protestiert, nachdem Izabela S. aus Pszczyna im September 2021 an einer Sepsis gestorben war. Der Fötus hatte eine seltene Krankheit und war nicht überlebensfähig, aber die Ärzte verweigerten trotzdem eine Abtreibung.
Die Staatsanwaltschaft behauptet zwar, dass die Ärzte verpflichtet gewesen wären, Izabela zu helfen. Aber Fakt ist: Die hatten Angst, für die Tötung des Embryos bestraft zu werden. Und ich bin sicher, dass solche Fälle jeden Tag passieren. Sie kommen nur nicht ans Licht.

Wie kommt es, dass die Regierungspartei PIS trotzdem so populär ist, offenbar auch bei Frauen?
Die Wählerinnen der PIS sind meist Frauen über 50, die auf dem Land und in Kleinstädten leben. Sie sind stark in der katholischen Kirche verankert und die ist in Polen immer noch sehr mächtig. In der kommunistischen Zeit hat die katholische Kirche die Opposition unterstützt. Papst Johannes Paul II. spielte sowohl beim Sturz der Kommunisten als auch bei der Einführung des Abtreibungsverbots eine entscheidende Rolle. Als der Eiserne Vorhang fiel, waren Kirchenvertreter an den Verhandlungen beteiligt. Sie forderten von der neuen Regierung, dass sie für ihre Unterstützung das Recht auf Abtreibung streicht, das bis dahin seit 1956 selbstverständlich gewesen war. Auf den Straßen kam es zu Protesten. Es wurde gefordert, ein Referendum abzuhalten, zu dem es jedoch nie gekommen ist. Und so wurde 1993 das Recht auf Abtreibung auf drei Fälle beschränkt: nach Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben der Frau und bei schwerer Missbildung des Fötus. Der Versuch, auch eine soziale Indikation einzuführen, scheiterte am damaligen Präsidenten Lech Wałęsa, Vater von sieben Kindern und sehr gläubig. 1996 wurde die soziale Indikation schließlich eingeführt, aber vom Verfassungsgericht sofort wieder kassiert. 

2016 gab es dann den ersten Versuch, das Abtreibungsverbot weiter zu verschärfen.
Genau. Da gab es die „Schwarzen Proteste“, bei denen ich natürlich in der ersten Reihe stand. Daraufhin hat die PIS ihre Zustimmung zur Verschärfung zurückgezogen. 2020 haben sie es dann sicherheitshalber das sogenannte Verfassungsgericht erledigen lassen, dessen Richter rechtswidrig berufen wurden. Inzwischen haben viele Frauen Angst, auf die Straße zu gehen. Sie fühlen sich unsicher und bedroht. Es ist auch wirklich nicht ungefährlich. Immer wieder muss die Polizei einschreiten. Wir konzentrieren uns jetzt vor allem darauf, bei Abbrüchen zu helfen. Seit Februar kommen auch noch die kriegsvergewaltigten Ukrainerinnen dazu.

Wie helft ihr denen?
Initiativen wie das Abortion Dream Team, Abortion Without Borders oder Women Help Women haben rund 10.000 Sets mit Abtreibungspillen in die Ukraine verschickt und in Polen selbst rund 500 Ukrainerinnen geholfen. Entweder mit Pillen oder indem sie ihnen eine Abtreibung im Ausland vermittelt haben. Auf den Websites diese Organisationen sind entsprechende Informationen auch auf Ukrainisch zu finden.

Siehst du gar keine Chance auf eine Lockerung oder gar Streichung des Abtreibungsverbots?
Doch. Immer mehr junge Menschen wenden sich von der katholischen Kirche ab. Ich hoffe auf einen Regierungswechsel bei den Wahlen im nächsten Jahr. Bis dahin klären wir auf der Straße mit Broschüren und Gesprächen auf.

Was ist aus deinem Plan geworden, in Polen die Aktion „Wir haben abgetrieben“ zu organisieren?
Das hat leider nicht funktioniert. Ich hatte zwar eine Zeitschrift gefunden, die vielleicht mitgemacht hätte. Doch die Frauen haben zu viel Angst bekommen. Aber: Die einzige polnische Theatergruppe mit reiner Frauenbesetzung, „Teraz Poliż“ aus Warschau, hat ein multimediales Theaterstück entwickelt, zu dem ich eingeladen wurde. Ich bin eine der Hauptfiguren, gemeinsam mit meiner 30-jährigen Tochter. Wir sprechen auf der Bühne über Abtreibung. Währenddessen wird das berühmte Stern-Cover von 1971 an die Wand geworfen und teilweise animiert. Und es wird ein neues Cover mit den Gesichtern bekannter und unbekannter polnischer Frauen projiziert. So hat es mit der Aktion doch noch irgendwie geklappt.

 

 

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