Gefährlicher Männerwahn

Foto: Blink O’fanaye / Flickr
Artikel teilen

Im vergangenen Jahr haben sich die politischen Kommentare zu den Ursachen des Aufstands im Kapitol zu Recht auf Fragen der Rasse konzentriert. Der Mob war in großer Mehrheit weiß. Die Flagge der Konföderierten war in der Menge unübersehbar zu sehen. Der liberale Konsens in Wissenschaft und Journalismus besagt, dass der Hauptauslöser für den Aufstand (völlig unbewiesene) Behauptungen über eine "gestohlene Wahl" waren - in Wahrheit aber waren weiße rassistische Ängste und Unzufriedenheit die treibenden Kräfte.

Anzeige

Doch, obwohl es unbedingt notwendig ist, die Rassenpolitik des 6. Januar zu analysieren, führt diese Fokussierung allzu oft dazu, dass ein anderer wichtiger Aspekt dieses tragischen Ereignisses unsichtbar wird: die Rolle des Geschlechts. Die große Mehrheit der Aufständischen war nicht nur weiß – es waren weiße Männer.

Wer den Angriff auf unsere Demokratie erklärt, muss das Geschlecht mitdenken!

Wenn es sinnvoll ist, den Angriff auf unsere Demokratie unter dem Gesichtspunkt der rassischen Identität und der Ziele der Aufständischen zu diskutieren, dann ist es auch sinnvoll, zu untersuchen, warum die überwiegende Mehrheit von ihnen Männer waren. Jede umfassende Untersuchung der ideologischen und kulturellen Kräfte, die am 6. Januar am Werk waren, muss die entscheidende Überschneidung von Rasse und Geschlecht berücksichtigen.

Betrachten wir die Zahlen. Nach Daten, die einige Monate nach dem Aufstand von Forschern der Universität von Chicago zusammengestellt wurden, waren von denjenigen, die verhaftet und wegen der Straftaten im Kapitol angeklagt wurden, 93 Prozent weiß - und 86 Prozent Männer.

Zu den organisierten Gruppen, die am meisten an der Planung und Durchführung der Aktionen des Tages beteiligt waren, gehörten - schon fast einer Karikatur gleichend - hypermaskuline Gruppen wie die Proud Boys, Oath Keepers und die 1st Amendment Praetorians. Einer der mutmaßlichen Drahtzieher der gesamten Operation war der Trump-Berater und -Stratege Steve Bannon, ein rechtsextremer Ideologe, der seine Sprache mit gewalttätiger, militaristischer Rhetorik aufpeppt und Donald Trump schon früh als "Patriarch" bezeichnete, der die Pläne der Feministinnen, "zehntausend Jahre aufgezeichneter Geschichte ungeschehen zu machen", indem sie für die Gleichstellung der Geschlechter eintreten, blockieren könnte.

Für jeden, der die regressive Geschlechterpolitik, die den rechten Bewegungen zugrunde liegt, aufmerksam verfolgt hat, war der Aufstand eine offene und gewaltsame Bekräftigung der zentralen Stellung des weißen Mannes und seines Anspruchs.

In der gesamten Berichterstattung über den Sturm aufs Kapitol wurden und werden jedoch geschlechtsneutrale Begriffe wie "Menschen", "Individuen", "Extremisten" und "Leute" verwendet, um die Randalierer zu bezeichnen. Es fallen kaum Begriffe wie "weiße Männlichkeit", geschweige denn wird deren Bedeutung diskutiert. Es scheint, als ob der überwältigende männliche Anteil dieses gewalttätigen Mobs als belanglos angesehen wird, so als ob das keiner weiteren Erklärung bedürfe.

Der hohe Männer-Anteil des Mobs liefert wichtige Einblicke in den Trumpismus!

Aber das ist ein gewaltiger Irrtum! Der 86-prozentige Anteil von Männern beim Capitol-Aufstand liefert wichtige Einblicke: nicht nur in den Aufstand, sondern auch in die Politik des Trumpismus. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 erhielt Donald Trump weit mehr Stimmen von weißen Männern als von jeder anderen Bevölkerungsgruppe. Seine glühendsten Anhänger bezeichnen ihn routinemäßig als „Alphamann“, dessen „Härte“ und „Stärke“ die Hauptgründe sind, warum sie ihn verehren.

Mehr EMMA lesen? Die Januar/Februar-Ausgabe gibt's am Kiosk. Und im EMMA-Shop. Portofrei!
Mehr EMMA lesen? Die Januar/Februar-Ausgabe gibt's am Kiosk. Und im EMMA-Shop. Portofrei!

Während viele Liberale und Progressive einen Großteil dieser Beweihräucherung des bösartig narzisstischen Immobilienentwicklers, der zum Reality-TV-Star wurde, für absurd und jenseits von Satire halten, sind die Kundgebungen des ehemaligen Präsidenten und das Internet voll von Memes und heroischen Bildern von Trump als Rambo, Krieger, dessen Mission es ist, das Land vor den Kräften der liberalen Verweichlichung, der Entartung und des sozialen Chaos zu retten.

Es stimmt, dass auch eine Mehrheit weißer Frauen für Trump gestimmt hat, vor allem Evangelikale und jene mit einem Highschool-Abschluss. Die einzige Aufständische, die an diesem Tag getötet wurde, war eine Frau: die 35-jährige Air Force-Veteranin Ashli Babbitt. Männer sind bestimmt nicht die einzigen Menschen, die für die demagogischen Appelle aggressiver und charismatischer männlicher Politiker empfänglich sind, die ihnen versprechen, sie zu beschützen und zu verteidigen vor Feinden im In- und Ausland.

Doch gerade Männer - von denen viele von Kindheit an darauf konditioniert sind, sich in erster Linie als Beschützer und Verteidiger zu sehen - reagieren am eifrigsten auf die Aufforderung, ihr Land zu retten, notfalls mit Gewalt. Tatsächlich wurde die "friedliche" Versammlung, die dem Aufstand vorausging, als "Save America Rally" bezeichnet und unterstrich damit ein allgegenwärtiges Thema in den rechten Medien seit der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten, dass das Land in Gefahr sei, an die Kräfte des Sozialismus, des Multikulturalismus, des Feminismus, der LGBTQ-Rechte und der allgemeinen säkularen Sittenlosigkeit verloren zu gehen. Und sie sichern mit dem Erhalt des bestehenden Systems ihre liebgewordenen Privilegien.

Der Text erschien zuerst im MS. Magazine.

Artikel teilen
 
Zur Startseite