Alice Schwarzer schreibt

Prostitution ist in

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Es ist schon einige Jahre her. Sie stand plötzlich vor meiner Tür. Sie müsse mit mir reden, unbedingt. Sie könne so nicht länger leben. Auf mich war sie durch ein Vorwort gekommen, das ich 1981 für Kate Milletts Buch "Das verkaufte Geschlecht" geschrieben hatte. Sie war Mitte Zwanzig und ab 16 auf den Strich gegangen, auf den Drogenstrich am Kölner Hauptbahnhof. Seit einigen Jahren war sie runter, mit Hilfe von Freunden. Aber es ließ sie nicht los.

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Sie klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende: "Nachts liege ich wach oder habe Alpträume, tags Migräne. Anfassen darf mich keiner, sonst dreh ich durch. Mal spür ich meinen Körper überhaupt nicht, mal brennt er wie Feuer. Alles ist angefaßt, mein Innerstes. Das Schlimmste waren die Demütigungen. Ich komme einfach nicht drüber weg..."

Es ist wahr, für mich ist Prostitution kein schickes Thema. Ich weiß zuviel. Das erste Mal saß ich Prostituierten 1967 gegenüber, in der Bordellküche von Mönchengladbach. Damals war ich noch Volontärin, und es ging mir um die Frage nach der Steuerpflicht für "die Damen des ältesten Gewerbes der Welt" (wie es gerne neckisch hieß). Es war ein Kommen und Gehen in der Küche, die Frauen arbeiteten zwischendurch, gingen für zehn, zwanzig Minuten raus. Nach zwei, drei Stunden waren wir uns einig: Prostituierte haben nicht die gleichen Rechte, also haben sie auch nicht die gleichen Pflichten.

So schrieb ich es. Gleich nach Erscheinen riefen die Frauen mich an und fragten, ob ich nicht mit ihnen zusammen ein Blatt machen wolle, "in dem wir für unsere Rechte kämpfen". Das war immerhin vier Jahre vor der Frauenbewegung in Deutschland. Ich volontierte erstmal brav zu Ende und ging dann nach Paris.

Auch da war ich bald wieder mit Prostituierten zusammen. Diesmal nicht als Berichterstatterin, sondern als Feministin. Aus Protest gegen Doppelmoral und Polizeiwillkür besetzten wir zusammen eine Kirche in Lyon, später eine zweite in Paris. Wir formulierten Forderungen, verteilten Flugblätter und schockierten Spießer. Ja: Wir gehören zusammen, wir "anständigen" und wir "unanständigen Frauen". Wir lassen uns nicht länger spalten, wir sind ein und dieselben Frauen.

Was Prostitution ist, das weiß im Grunde ihres Herzens jede Frau, (fast) jede hat es schon aus "Gefälligkeit" getan. Vielleicht nicht gegen Geld, aber gegen Vorteile oder ihre Ruhe. Auch die abhängige Hausfrau, die nur dableibt, weil sie nicht gehen kann, prostituiert sich. - Daß aus dieser feministischen Erkenntnis einige Jahre später die postfeministisch pervertierte Aufforderung an alle Frauen zur easy Prostitution ("Ne schnelle Mark machen") werden würde, das ahnten wir damals noch nicht.

Heute wissen wir, daß die Sexualität zwischen Männern und Frauen noch nie in der Geschichte (so weit wir sie verläßlich zurückverfolgen können) etwas mit Lust zu tun hatte. Im Patriarchat war Heterosexualität schon im alten Mesopotamien ein zentrales Instrument zur Demütigung von Frauen und Machtausübung von Männern. Alle Frauen hatten Männern zur Verfügung zu stehen: die ärmsten, die Sklavinnen, allen Männern; die etwas besseren, die Konkubinen oder Priesterinnen, einigen; die privilegierten, die Ehefrauen, einem. Entjungferung, Penetration oder Schwängerung waren lustlos und gewaltvoll. Das ist die Jahrtausende alte, schwere Hypothek der Sexualität, an die wir - zumindest wir Frauen - heute andere Ansprüche haben.

Romantik, Aufklärung und Feminismus haben den Menschen Flausen in den Kopf gesetzt. Auch Frauen seien mehr als ein Stück Vieh, wispern die drei Grazien, auch sie hätten ein Recht auf ihr Gefühl und ihren Körper. Die Botschaft ist angekommen. Seit anderthalb Jahrhunderten wehren sich nicht nur Feministinnen gegen die männliche Kolonialisierung des weiblichen Körpers.

Nein, Prostitution ist kein "Beruf wie jeder andere". Sie ist die Endstation auf dem langen Weg zur Fremdbestimmung, Selbstentfremdung und Ausbeutung des weiblichen Menschen. Was eigentlich wollen sie noch alles kaufen, konsumieren und zerstören, die Jungs? Glauben sie wirklich, daß es das Recht eines Menschen ist, für ein paar Mark Körper und Seele der anderen zu benutzen?

Hat sich in den letzten 25 Jahren also nichts verändert? Doch, die Prostituierten, zumindest ihr oberes Drittel, sind selbstbewußter geworden. Aber dieses neue Selbstbewußtsein wird nun gleich mit gekauft und mit vermarktet von Talkmastern, Drei-Tage-Bärten und Freiern. Prostitution ist in. Was den old boys noch peinlich war, finden die young boys schick. Darum muß das Ziel jeder nach Selbstbestimmung strebenden Frau - egal ob Prostituierte oder Politikerin - der Einstieg in eine wirkliche Gleichheit sein, in der Menschen nicht länger mit Menschen machen können, was sie wollen. Auch nicht für Geld.

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