Eine Frau contra Allianz-Versicherung

Was sich Inge Bell so alles anhören musste ...
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Ein Herr in Anzug und Krawatte im Vordergrund. Acht Damen in High Heels und im kleinen Schwarzen, manche aus Leder oder Satin. Mit dieser Anzeige warb David Patrick Kundler seit Dezember 2016 für seine Agentur. Nein, keine Escort-Agentur – die Generalvertretung der Berliner Allianz-Versicherung.

Inge Bell war nicht die einzige, der sich bei dem Bild eine gewisse Assoziation aufdrängte. Die Journalistin, die viele TV-Reportagen über Frauenhandel in Osteuropa gemacht hat, postete Mitte Januar das Gruppenbild mit Herrn Kundler auf ihrer Facebook-Seite. Ihr Kommentar: „Nicht zu fassen! Allianz Berlin. Offenbar ernst gemeint.“

Innerhalb kürzester Zeit hatte der Post 1.500 Kommentare: „Hostessen-Agentur“, „Pseudosilberrücken mit Harem“, „Meine Bitches, meine Häuser, meine Autos“. Oder gleich: „eine Art Prostitution!“. Und auch Inge Bell fragte sich, „ob ich hier eine Werbung fürs ­Berliner Laufhaus Artemis sehe oder für die Berliner Allianz Generalvertretung.“

Aber genau das soll Bell künftig nicht mehr sagen dürfen. Jedenfalls so lange nicht, bis ein Gericht endgültig darüber entscheidet. Denn die acht Damen haben beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung gegen Bells „virale Beleidigungskampagne“ erwirkt. Seine Mandantinnen seien „als Prostituierte verunglimpft“ worden, beklagt der Anwalt der Klägerinnen. Dabei hätten diese sich „freiwillig und im Übrigen auch gerne in schwarzen Kleidern und High Heels gemeinsam mit ­ihrem Arbeitgeber“ ablichten lassen.

Freiwillig? Offenbar haben weder Herr Kundler noch die acht Klägerinnen verstanden, worum es Inge Bell und den Tausenden anderen KritikerInnen des Fotos eigentlich geht. Nämlich: „Die Art und Weise der Inszenierung der Mitarbeiterinnen spricht Bände: Sie werden hier zum Objekt degradiert“, analysiert Bell, und weiter: „Sie flankieren als hübsch anzusehendes, nettes, schmückendes Beiwerk ihren Chef an der Spitze. Er ist als einziger individuell anders gekleidet – absolut konform mit dem Dresscode der Allianz. Die attraktiven Frauen hingegen werden durch ihre uniformierten Kleidchen entindividualisiert.

Ihre ‚Uniformen‘ sind sexy, jedoch nicht businesskonform: High Heels, viel nackte Haut, schulterfrei, keine Strümpfe, ein schwarzes Minikleidchen mit tiefem Ausschnitt – all das widerspricht dem hauseigenen Dresscode der Allianz eklatant.“ Bell schließt: „Der Mann/Chef ist der dominante, die Frauen ordnen sich unter – wie eine attraktive Ware. Das ist kein Team, das ist keine Gleichberechtigung, das ist keine Augenhöhe zwischen Frau und Mann. Genau das ist Sexismus.“

Und Bell, die sich „dafür stark macht, dass die Mädchen von heute nicht zu Deko-Objekten von morgen werden“, beließ es nicht beim Facebook-Post, sondern nahm auch den Allianz-Vorstand in München direkt in die Pflicht. Sie schrieb den sieben Männern und zwei Frauen im Vorstand und stellte ihnen Fragen. „Inwiefern ist dieses Werbefoto Ihrer Meinung nach vereinbar mit dem fortschrittlichen, emanzipierten Frauenbild, das die Allianz auf ihrer Website (‚Frauen in Führungspositionen – mehr als Gleichberechtigung!‘) in Text und Bild betont?“

In der Tat: Auf den Fotos, die die Allianz selbst unter der Rubrik „Kultur & Werte“ präsentiert, sehen wir vollständig bekleidete Frauen in gemischten Teams. Und in den „Dos und Don’ts“ für angemessene Kleidung bei der Allianz lesen wir: „Ärmellose, tief ausgeschnittene Kleider sind im Business ein absolutes No go.“ Bell fragte also die Damen und Herren: „Falls Sie eine Tochter haben: Würden Sie sich und Ihrer Tochter wünschen, dass sie im beruflichen Kontext und im Namen der Allianz so in der Öffentlichkeit dargestellt wird?“ Antworten auf ihre Fragen bekam sie nicht.

Stattdessen mobilisierten die Frauenhasser im Netz und beschimpften Inge Bell mit ihren gewohnten Textbausteinen wahlweise als „unrasierte linksgrün versiffte Öko-Tante“, „vertrocknete alte Schabracke“ oder „frustrierte hässliche Birkenstockmami“. Einschüchtern ließ sich Inge Bell von diesen Attacken nicht.

Im Gegenteil, sie ging in die Offensive: Sie schrieb die widerlichen Sprüche auf Schilder, fotografierte sich strahlend damit und postete das Ganze auf Facebook.   

Irgendwann meldete sich schließlich dann doch die Allianz zu Wort. Ein Sprecher der Unternehmenskommunikation schrieb: Man könne „gut nachvollziehen“, dass die Agentur-Mitarbeiterinnen sich gegen die Äußerungen von Bell zur Wehr setzten. Zur Kritik von Bell & Co.: kein Wort.

Ganz so spurlos ist die Netz-Debatte um das sexistische Foto aber offenbar doch nicht an der Allianz vorbeigegangen. Denn der Pressesprecher teilte außerdem mit: „Das Teamfoto der Agentur Kundler wurde aufgrund des Eintritts neuer Mitarbeiterinnen vor einigen Tagen aktualisiert. Wir gehen davon aus, dass hiermit im Interesse aller Beteiligten die Grundlage für eine Beruhigung und Versachlichung der Diskussion gelegt ist.“

Auf dem neuen Foto stehen der Berliner Agentur-Chef Kundler und seine Mitarbeiterinnen nun in einer Reihe, die Frauen tragen Anzüge und Blazer. Keine nackten Beine, keine bloßen Schultern. Geht doch.

Nun dürfen wir gespannt sein, wie das endgültige Urteil des Gerichts ausfällt. Denn Inge Bell hatte zwar schon im Januar erklärt: „Wenn sich die MitarbeiterInnen der Allianz Vertretung Berlin von mir persönlich beleidigt fühlen, dann tut mir das wirklich sehr leid. Denn es war niemals meine Absicht.“ Dennoch weigert sie sich, die geforderte Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Warum? „Ich soll einfach auf dem Klageweg zum Schweigen gebracht werden“, sagt Bell. Das will die engagierte Kämpferin für die Würde der Frauen nicht zulassen. Notfalls will sie für ihr Recht auf ihre Meinung notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

In EMMA zum Thema: Ein Gesetz gegen sexistische Werbung (4/16), Warum wir den Stern verklagen (8/78)

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Kein Gesetz gegen sexistische Werbung?

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Das Wort Frau kommt nicht darin vor, und das, was so entscheidend für alle Frauen wäre, ist schon längst wieder gestrichen. Dennoch wird die Gesetzesreform, die im September in die 1. Lesung geht, von großer Bedeutung für Frauen sein. Denn es geht um die Reform des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Reform hat es eilig, nicht wegen der Unlauterkeit, sondern weil eine Europäisierung des Wettbewerbsrechts kurz bevor steht, das deutsche Recht aber wieder mal ganz hinten an ist.
Ende Juli verlor die Verbraucherzentrale (VZBV) einen Prozess gegen die Firma K-fee, die mit einer zwischen den Brüsten des Ex-Pornostars Gina Wild zerdrückten Kaffeedose auf Plakaten geworben hatte. Die Verbraucherschützer hatten in der Darstellung die Absicht gesehen, auf pornografische Assoziationen (Tittenfick) abzuzielen, was nicht nur durch das phallische Symbol der mit den Brüsten zerdrückten Kaffeedose verstärkt wird. Die Anzeige sei frauenfeindlich und sittenwidrig. Der K-fee-Anwalt hielt dagegen, die Verbraucherschützer sähen das, was sie sehen wollen. Das Gericht gab ihm recht.
Für Verbraucherschützer von Braunmühl zeigt nicht zuletzt dieses Urteil, wie dringend wir eine gesetzliche Regelung brauchen. Nämlich ein Gesetz, das definiert, was frauenfeindlich und sittenwidrig ist und das nicht nur, aber auch im Bereich der Werbung.
Für die anstehende Gesetzesreform hatte Wettbewerbsexperte Prof. Karl-Heinz Fezer im Auftrag der Bundesregierung ein Gutachten verfasst. Darin führt e rim Kapitel Diskriminierende Werbung die fünf Fallgruppen auf: rassen-, ausländer-, religionen-, behinderten- und geschlechterdiskriminierende Werbung. Die letztgenannte ist die am häufigsten vorkommende, was ja auch jeder Mensch jeden Tag sehen kann.
Prof. Fezer definiert in dem Gutachten, was er unter diskriminierender Werbung versteht, nämlich: Die Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen leugnende Werbung, eine die Integrität des Menschen verletzende Werbung, eine die soziale Stigmatisierung von Menschen intendierende Werbung, eine die Verächtlichmachung des Menschen in seinen angeborenen oder sozial erworbenen Eigenschaften fördernde Werbung, eine die geschlechtsspezifische oder geschlechtsbezogene Verobjektivierung des Menschen instrumentalisierende Werbung. Fezer präzisiert: Ein Verbot geschlechterdiskriminierender Werbung redet nicht der Prüderie in der Werbung das Wort. Die Darstellung von Nacktheit und Sexualität ist in der Werbung zulässig. Diskriminierungskriterien sind etwa die Degradierung eines Menschen zum Sexualobjekt. etc.
Soweit, so einleuchtend. Nicht aber für die Arbeitsgemeinschaft unlauterer Wettbewerb, die das Justizministerium berät, das Fezers Passage über geschlechterdiskriminierende Werbung einfach ersatzlos strich, sodass sie im aktuellen Reformentwurf gar nicht mehr erst vorkommt. Zu viel Wirtschaft in der Arbeitsgemeinschaft, kommentierte Verbraucherschützer von Braunmühl schulterzuckend. Er hält die Chance für gering, dass der so zentrale Punkt der geschlechterdiskriminierenden Werbung wieder aufgenommen wird in die Gesetzesreform.
Ganz so pessimistisch ist Prof. Fezer noch nicht, nicht zuletzt, weil die Missachtung des Schutzes vor diskriminierender Werbung auf die Dauer gegen europäisches Recht verstoßen würde. Und weil fast alle Frauen und zunehmend viele Männer die degradierende und sexualisierende Darstellung von Frauen wirklich leid sind.
Nicht nur in den Mails, Faxen und Briefen an EMMA ist die Frauenfeindlichkeit in Werbung und Medien seit Jahren Thema Nr. 1. Zu recht. Denn sie prägt das Bild der Frau mehr als alles andere. Und darum war es auch nicht zufällig EMMA, die schon 1978 mit der so genannten Stern-Klage die erste große Attacke gegen die diskriminierende Darstellung von Frauen führte.
Zehn Frauen verklagten damals auf Initiative von EMMA den Stern wegen seiner frauendiskriminierenden Titel, weil die, so EMMA-Anwältin Gisela Wild, in eklatanter Weise gegen das Recht von Frauen auf Menschenwürde und Gleichbehandlung verstoßen, was zugleich das Recht auf Freiheit vor Diskriminierung beinhaltet.
1998 erinnerte Prof. Fezer an diesen Pionierprozess in der Juristenzeitung: Ein markantes Datum innerhalb dieser gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um die Stellung der Frau in der Gesellschaft war der erste so genannte Sexismusprozess, den Alice Schwarzer, Herausgeberin der Frauenzeitschrift EMMA, gegen die Illustrierte Stern wegen mehrerer Titelbilder, die nach ihrer Auffassung die Frau entwürdigten, im Jahre 1978 initiierte. Zwar ging der Prozess vor dem LG Hamburg verloren, doch brachte er verdienstvoll die Problematik in das allgemeine Bewusstsein der Bevölkerung. Die Prozessvertreterin der Klägerinnen, Gisela Wild, führte in einer späteren Schrift treffend aus, nicht Nacktheit sei der Angriffspunkt gewesen, sondern die Art und Weise der Darstellung der Frau, hinter der die Vorstellung stehe, die Frau sei dem Mann immer bereit und verfügbar, sie könne jederzeit genommen werden, sie gehorche und diene.
Wie oft muss das noch gesagt werden? Immerhin sind die Argumente des Plädoyers der EMMA-Anwältin von 1978 im Jahre 2003, schon 25 Jahre später, in einem Regierungsgutachten angekommen. Wollen wir nochmal 25 Jahre warten oder lieber den Verantwortlichen endlich Beine machen?!
EMMA September/Oktober 2003
EMMA über die Sternklage 7/78, 1/79 und PorNO (KiWi, 1994, vergriffen).
Beim Rechtsausschuss des Bundestages liegt das Gesetz zur Beratung. Fordern Sie, dass diskriminierende Werbung in das Wettbewerbsrecht aufgenommen wird: rechtsausschuss@bundestag.de

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