Alice Schwarzer schreibt

Emma Watson: Pornografie oder Erotik?

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Wir sehen eine junge Frau mit leicht verschattetem, melancho­lischem Blick. Der Mund ist ­schmal und fast streng geschminkt, die Lippen sind minimal geöffnet. Die Frisur ist irgendetwas kurz Wirkendes, Hochgetürmtes, zwischen der vorletzten Jahrhundertwende und den 20er Jahren. Auf ihrer bloßen Haut trägt die Frau einen weißen, durchbrochenen Bolero, der den kleinen linken Busen fast ganz, den rechten bis zur Brustspitze bedeckt. Das Ganze hat was von einer Suffragette auf dem Weg zu einem romantischen Rendez­vous. – Das Foto wurde am Rande der Dreharbeiten für „Die Schöne und das Biest“ für Vanity Fair gemacht.

Emma Watson, 26, ist durch die Harry-Potter-Filme berühmt geworden als die kluge Hermine. Die bekam zu meinem Bedauern beim Happyend nicht den interessanten Harry, sondern den lustigen Ron. Es heißt, auch Autorin Rowling hätte Hermine lieber mit Harry verkuppelt. Wer es ihr wohl ausgeredet hat? Eine Marketing-Strategie, die findet, zu kluge Frauen dürfen nicht auch noch den begehrtesten Mann kriegen?

Über das Foto von Emma raste ein Shitstorm durch die sozialen Medien. Losgetreten hat ihn Julia Hartley-Brewer. Sie hat das Foto getwittert und geschrieben: „Feminismus, Feminismus … Frauen werden schlecht bezahlt … Ich werde nicht ernst genommen … Ach, und hier sind meine Titten.“

Der gehässige Tweet der Londoner Journalistin wurde tausendfach geteilt. Angespielt wird darin darauf, dass Emma Watson eine engagierte, offensive Feministin ist. Als UN-Botschafterin lancierte sie zum Beispiel die Kampagne HeForShe.

Na und? Wo ist das Problem? Soll Emma deswegen ihre Haut nicht zeigen dürfen?

Früher gab es noch den Begriff „erotisch“. Inzwischen wird alles nur noch „pornografisch“ genannt und ist es das auch meistens. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen erotisch und pornografisch? Das! Emmas Foto hat nichts mit einer (selbst)erniedrigenden Entblößung zu tun, aber alles mit einer selbstbewussten Inszenierung! Es sagt uns: Ich bin klug, ich bin emanzipiert – und ich bin sinnlich. Es ist das Gegenteil von Pornografie.

Denn was ist Pornografie? Es ist die Verknüpfung von sexueller Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt. Worauf gucken Pornokonsumenten zuerst? Auf den Hintern? Auf die Brüste? Nein – in die Augen: Ob der Blick auch unterworfen und ängstlich genug ist bzw. anbiedernd geil. Das fanden sexualwissenschaftliche Studien schon vor Jahren heraus.

Die ganz Schlauen werfen nun Watson vor, sie habe eine Doppelmoral. Schließlich habe sie Beyoncé angegriffen mit den Worten: „Als ich ihr Video gesehen habe, fand ich das sehr widersprüchlich. Einerseits bezeichnet sie sich als Feministin, andererseits ist die Kameraperspektive doch sehr männlich und voyeuristisch.“

Recht hat Emma. Genau so ist es bei Beyoncé. Bei Emma aber hat der Fotograf Tim Walker eine ganz andere Perspektive: frontal, von gleich zu gleich. Bei diesem Foto kommt kein Pornokonsument auf seine Kosten.

Emma Watson selber ist über die Kritik an dem Foto traurig und schockiert. „Es gibt so viele Missverständnisse, was Emanzipation eigentlich ist“, sagt sie. „Feminismus ist kein Stock, mit dem man nach anderen Frauen schlägt. Es geht um Freiheit und Befreiung!“

Die diplomierte Literaturwissenschaftlerin Watson hat als Schauspielerin noch nie alles gespielt. Die Rolle als Aschenputtel zum Beispiel lehnte sie ab. Und die Rolle der „Schönen“ mit dem Biest ließ sie feministisch aktualisieren: Bereits ursprünglich war Belle die klügste und rebellischste aller Disney-Prinzessinnen. Jetzt ließ Emma ihr auch noch einen Beruf verpassen: Sie ist Erfinderin. Und es heißt, sie habe die Waschmaschine erfunden, um mehr Zeit zum Lesen zu haben.

Ihrer Reaktion auf die Kritik an dem Foto hatte Emma Watson noch fast trotzig hinzugefügt: „Was haben meine Brüste damit zu tun?!“ Nichts. Gar nichts, liebe Emma. Du bist Hermine treu geblieben. Mehr noch: Du bist über sie hinausgegangen. Denn du zeigst uns, dass eine Frau Feministin sein kann, klug – und erotisch.

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