Endlich: Betreuungsgeld gekippt!

© Christian Thiel/imago
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Es ist nicht wirklich eine Überraschung, dass die VerfassungsrichterInnen heute das Betreuungsgeld gekippt haben. Ihre Begründung ist nicht inhaltlicher, sondern rein formaler Natur: Der Bund habe das Betreuungsgeld gar nicht einführen dürfen, argumentierten die RichterInnen in den roten Roben. Denn Betreuungsgeld ist Ländersache. Was heißt: In Bayern wird es weitergezahlt werden, solange Patriarch Seehofer das Sagen hat.

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Alle befürchteten Folgen traten prompt ein

Die 150 Euro Betreuungsgeld wurden seit 1. August 2013 im Anschluss an das Elterngeld vom 15. bis zum 36. Lebensmonat eines Kindes gezahlt. 150 Euro für jede Mutter, die zu Hause blieb. Die Familien wurden also auch noch dafür belohnt, wenn die das Kind in den ersten drei Lebensjahren, wo vielfältige Impulse besonders wichtig sind, zu Hause halten.

Was vorauszusehen war, passierte: Vor allem sogenannte „bildungsferne“ Familien und solche mit Migrationshintergrund nahmen das Betreuungsgeld in Anspruch. So wurde es für so manchen Ehemann ein Argument dafür, dass seine Frau nicht berufstätig ist.

Das Betreuungsgeld war bis zu seiner Verabschiedung im November 2011 heiß umkämpft gewesen. Denn bis auf Horst Seehofer hatte die Kita-Fernhalteprämie eigentlich niemand gewollt. Die Grünen und Linke sowieso nicht. Die SPD nicht (auch wenn sie in der Großen Koalition noch zugestimmt hatte) und auch die FDP nicht. Der liberale Koalitionspartner verschacherte seine Zustimmung zur „Herdprämie“ allerdings schließlich gegen die Zustimmung der CSU zur Abschaffung der Praxisgebühr.

Doch auch in der Union selbst hatte sich heftiger Widerstand geregt. So widersetzte sich die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter Führung ihrer Sprecherin Rita Pawelski dem Druck aus Bayern. „Ich gehöre einer christlichen Partei an – ich glaube noch an Wunder“ hatte Pawelski erklärt, nachdem das Betreuungsgeld vom Kabinett verabschiedet worden war. Das Wunder ereignete sich am 15. Juni 2012. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages scheiterte die Verabschiedung eines Gesetzes an der Abwesenheit zu vieler Abgeordneter. 190 Abgeordnete der Opposition fehlten bei der Abstimmung – aber auch 126 der schwarz-gelben Koalitionäre. Der Bundestag war nicht beschlussfähig. Horst Seehofer schäumte. Nach der Sommerpause wurde das Gesetz schließlich doch noch verabschiedet.

Aber solange Patriarch Seehofer das Sagen hat ...

Ein Jahr nach Inkrafttreten des Betreuungsgeldes bestätigten sich die Prophezeiungen. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts stellte fest: Jede dritte Familie, in der die Eltern ohne Schulabschluss waren, gab das Betreuungsgeld als Grund dafür an, das Kind nicht in die Kita zu schicken – aber nur jede zwölfte, in denen die Eltern einen Hochschulabschluss hatten. Von allen Kindern, deren Eltern (bzw. zu 95 Prozent: Mütter) Betreuungsgeld bezogen, haben 14 Prozent einen Migrationshintergrund – doppelt so viele, wie es dem MigrantInnenanteil an der Bevölkerung entspricht. Im Klartext: Genau die Kinder, die eine (Sprach)Förderung in der Kita besonders nötig hätten, wurden staatlich gefördert von ihr ferngehalten.   

Nun, nach dem Urteil aus Karlsruhe, schäumt Horst Seehofer mal wieder. Der bayerische Ministerpräsident hat bereits angekündigt, dass das Betreuungsgeld in Bayern weitergezahlt wird. Die andere Bundesländer werden die Milliarden aus dem Hause Schwesig hoffentlich für das einzig Sinnvolle nutzen: den Ausbau der Kinderbetreuung.

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Das Desaster Betreuungsgeld

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Die Rückschau: Seit November vergangenen Jahres ist das „Betreuungsgeld“ für die Koalitionäre beschlossene Sache. Ab 2013 soll demnach gelten: Bleibt Mama zu Hause, gibt es ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes 100 Euro. Ab 2014 sollen es dann 150 Euro sein. Nach Angaben des Familienministeriums ist das Betreuungsgeld im Jahr 2013 mit 400 Millionen Euro eingeplant, danach mit 1,2 Milliarden Euro im Jahr.

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Dabei hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon 2008 in ihrer Studie „Babies and Bosses“ das Betreuungsgeld für „desaströs“ erklärt. Unter anderem, weil finanzielle Anreize für den Ausstieg von Müttern aus dem Beruf die Ursache für die relativ hohe Kinderarmut in Deutschland  seien.

Darüber hinaus zeigt das Beispiel Thüringen seit nunmehr sechs Jahren anschaulich, wohin die Herdprämie führt: Seit das Bundesland das Betreuungsgeld eingeführt hat, ging die Zahl der Zweijährigen in Kitas von 80 auf 73 Prozent zurück. Abgemeldet wurden vor allem Kinder von Eltern, die auf Hartz IV angewiesen sind. Also genau die Eltern und Kinder, die von der Kita-Betreuung besonders profitieren.
Der kürzlich veröffentlichte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung bringt die Problematik auf den Punkt: Das Betreuungsgeld ist eines der zahlreichen widersprüchlichen Signale in der deutschen Gesetzgebung. Während zum Beispiel das neue Unterhaltsrecht Mütter zur Berufstätigkeit  motivieren soll, tut das Betreuungsgeld das Gegenteil. So stellt die 226-Seiten-Expertise fest: „Für sozial schwache Familien werden attraktive Anreize gesetzt, ihre Kinder nicht an vorschulischer Erziehung teilnehmen zu lassen“. Stattdessen betreuen die Mütter ihre Kinder zu Hause. Allein.

Jüngst meldete die FTD mit Berufung auf das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) außerdem, dass die Rechnung des Familienministeriums ohnehin nicht aufgehe. Die Kosten werden deutlich höher ausfallen, als angenommen: etwa zwei Milliarden Euro jährlich. Unter anderem, weil Kita-Plätze fehlen, und deshalb schon jetzt absehbar ist, dass mehr Familien die Prämie für sich beanspruchen werden als ursprünglich gedacht.

Von der Merkel’schen „Wahlfreiheit“ kann vor dem Hintergrund des schleppenden Kita-Ausbaus ohnehin nicht die Rede sein. Ab 2013 soll jedes Kind unter drei Jahren Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben. Nur fehlen bundesweit immer noch über 250.000 Plätze.

Kein Wunder also, dass sich der Streit innerhalb der schwarz-gelben Koalition zugespitzt hat. Am Wochenende haben nun 23 CDU-ParlamentarierInnen in einem offenen Brief an Fraktionschef Volker Kauder erklärt, dass sie dem von der bayerischen Frauenministerin Christine Haderthauer protegierten Gesetzentwurf nicht zustimmen werden. Was das Aus für das Betreuungsgeld bedeuten würde.
Zu den Unterzeichnerinnen gehören unter anderem die stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Fraktion, Ingrid Fischbach und Michael Kretschmer. Auch die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer steht „dem Betreuungsgeld skeptisch gegenüber“. Volker Beck von den Grünen nennt das CSU-Vorhaben „frauen- integrations- und haushaltspolitisch verfehlt“. FDP-Generalsekretär Patrick Döring bezeichnet das Betreuungsgeld als unzeitgemäß.

Der Widerstand gegen das unliebsame Gesetz ist also groß, sowohl in der Opposition als auch in den eigenen Reihen. Und langsam stellt sich die Frage, warum die CSU überhaupt noch so vehement am Betreuungsgeld festhält. "Union und FDP haben das Betreuungsgeld im Koalitionsvertrag verankert und innerhalb der Koalition beschlossen. Daran gibt es nichts zu rütteln“, sagte jüngst die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt der Süddeutschen Zeitung. Sie erwarte von Kristina Schröder einen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause. Klar, versprochen ist versprochen...
Diese ganze Debatte schwelt übrigens ungeachtet der Tatsache, dass die Herd-Prämie schon immer als schwarz-gelber „Kuhhandel“ gilt: Die CSU hatte ihrerzeit das Betreuungsgeld der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen als eine Art Wiedergutmachung für ihre Vätermonate abgetrotzt. Und im November wollte Gelb dem Betreuungsgeld zustimmen, wenn Schwarz dafür Steuersenkungen beschließt. Vorabendserienreif. Wo ist die Fernbedienung?

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Koalition beschließt Betreuungsgeld, EMMAonline 7.11.2011
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