Eva Herman: Ich bete für Alice Schwarzer

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In Halle 14 der alten Leipziger Messe, dem "Pavillon der Hoffnung", warten rund 300 Gläubige aus verschiedenen Gemeinden auf den Auftritt von Eva Herman. Der Verein Frauenarbeit hat zum großen "Gebetsfrühstück" eingeladen. Ein riesiges Holzkreuz steht auf der Bühne bei Kerzenschein, eine Jugendband singt von Gott. "Man kann es kaum glauben" prangt auf einer großen Dia-Leinwand und liefert gleichsam die Quintessenz des Vormittages.

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Doch bevor die Ex-Moderatorin und Skandalautorin ans Rednerpult darf, betritt eine junge Frau etwas unbeholfen die Bühne. Anne heißt sie und will von ihrem Weg zu Gott berichten. Und so erzählt sie detailgetreu von der komplizierten Geburt ihres dritten Kindes, bei der sie Gott "erfahren" habe, von Irrungen und Wirrungen bei den Zeugen Jehovas – und endlich von Stimmen, die ihr sagen, sie solle ihren Mann anbeten und von den Wundern, die ihr seither täglich widerfahren. Anne erntet großen Applaus. Fehlt nur, dass Gelähmte gehen und Blinde sehen können.

Endlich ist es soweit, die Frau aus dem Fernsehen ist dran. Diesmal geht es nicht um deutsche Autobahnen, sondern um Eva Herman in der Rolle ihres Lebens: der Mutterrolle. Als erstes erzählt sie von ihrer frommen Baptisten-Großmutter und ihrer Suche zu Gott, um sodann zügig zur Sache zu kommen: "Wir treten unsere Muttermilch mit Füßen", raunt die 50-Jährige ins Mikro. "Die Industrialisierung und Globalisierung will uns glauben machen, wir wüssten es besser als Gott. Wir vergessen, wie wichtig Muttermilch und Urvertrauen für Kinder sind!"

Inbrünstig suggeriert sie das Schreckensszenario der modernen Gesellschaft, in der Mütter a: ihr Kind kurz nach Kappung der Nabelschnur in die nächstbeste Verwahranstalt geben oder b: in einem stillfeindlichen Umfeld leben, in dem sie als Mütter nichts wert sind und wider Willen Karriere machen müssen. Das Szenario c, in dem Frauen Kind und Beruf wollen, aber an einem unwilligen Partner bzw. familienfeindlichen Verhältnissen scheitern, taucht nicht auf. Auch die Rolle des Vaters wird nicht angesprochen.

Dass es Frauen gibt, die gerne berufstätig sind, scheint Herman fremd. Für die viermal Geschiedene bzw. Getrennte, die jahrzehntelang beim Fernsehen Karriere gemacht hat, existieren Frauen heute einzig und allein als Mutter. Damit marschiert sie stramm auf Vatikanlinie bzw. hätte Karriere als Reichsfrauenministerin machen können.

Um den abstrusen Thesen Leben einzuhauchen, erzählt Herman private Anekdötchen. Beispielsweise von ihrem Sohn, dem im zarten Alter von neun Monaten auf einem Kindergeburtstag ein Stück Gurke geklaut wurde: "Er hat so geweint. Da habe ich ihn kurz angelegt, er hat ein paar Mal gesaugt und sich beruhigt. Dann ist er losgekrabbelt, hat dem Dieb die Gurke weggerissen und ihm eine Ohrfeige verpasst", so die stolze Mutter. Muttermilch macht Männer stark.

Zwischendurch ledert Herman kräftig ab: über reißerische Medien, egoistische Karrierefrauen und ostdeutsche Kinderkrippen. Zu guter Letzt holt sie aus zum Schlag gegen die konservativ-fortschrittliche Familienministerin Ursula von der Leyen ("Tante Uschi"), die "das Land mit Krippenplätzen überziehen will". Sie seufzt tief und warnt die LeipzigerInnen: "Mit der Krippentradition wird nun der Westen überflutet, wie im schönsten Kommunismus."

An diesen Stellen trifft die Rednerin vereinzelt auf verschränkte Arme, die Mehrheit scheint jedoch einverstanden zu sein. Also plaudert sie weiter aus dem Nähkästchen: wie sie Tagesschau-Dienste verschlief, weil sie ihren schwangeren Bauch gestreichelt hat; wie der Heilige Geist ihr im Traum den Weg der Wahrheit empfahl und wie ihr Schwiegervater vom Land neugierige Journalisten mit dem Gehstock vertrieb. "Da war ich froh, dass mein Sohn gleich gelernt hat, wie man solche Situationen löst."

Stück für Stück wird aus abstruser Pseudowissenschaft und kruden Weiblichkeitsbildern das Eva-Weltbild zusammengezimmert. Sodann zitiert die Späterweckte aus den Timotheus-Briefen, in denen sich die Frau vom Teufel verführen lässt und nur gerettet werden kann, wenn sie Mutter wird. Sie spricht vom "Dunklen, das uns verführt, zum Beispiel die Selbstverwirklichung" und "der schlimmsten Erscheinung unserer Zeit, dem Gender-Mainstreaming". Und sie raunt: "Lassen Sie den ersten und letzten Buchstaben von Gender weg, und Sie wissen, worum es geht." Aber das ist noch lange nicht das Ende.

Nun wettert sie gegen die Frauenquote. "Denken Sie mal an die armen Jungs und Männer, für die gibt es solche Regelungen auch nicht. Dieser gnadenlose Feminismus hat kein Erbarmen mit ihnen! Wir entfernen uns von Gottes Schöpfung. Man will uns weismachen, dass Männer und Frauen gleich sind, und das, wo Hirnforscher Unterschiede wissenschaftlich belegen können!", echauffiert sie sich. Sie weiß sich auf dem rechten Weg. Schließlich hat sie sich Rückendeckung besorgt: christliche Werte, frustrierte Mütter, Gender-Politik-bedrohte Männer.

In Sachen Feminismus hat Evchen noch eine Rechnung offen. Im letzten Viertel der rund einstündigen Predigt ist endlich Platz für die gekränkte Eitelkeit. Der Rauswurf beim NDR sei nur zustande gekommen, weil "Alice Schwarzer eine Kampagne gegen mich machen wollte!". Auch die "braune Keule" habe sie nur Schwarzer zu verdanken. Denn nach der Buchvorstellung vom "Prinzip Arche-Noah" sei es eine enge Vertraute Schwarzers vom Hamburger Abendblatt gewesen, die erstmals schrieb: "Herman lobt NS-Familienpolitik" und die damit die Dritte-Reich-Lawine ausgelöst hätte. Das "Eva-Braun-Prinzip", wie die taz titelte, sei überhaupt erst durch "diese Feministinnen" zustande gekommen.

Nur der Glaube helfe ihr in dieser schweren Zeit. Auch den legendären Kerner-Rauswurf habe sie nur dank Beten überstanden. Und überhaupt sei sie jetzt ohne die ganze Medien-Meute viel glücklicher.
Endlich schließt Eva Herman mit den Worten: "Glaube hat viel mit Mama zu tun" und greift noch einmal tief in die Kitsch-Kiste: "Ein Kind möchte bei Mama sein, den Herzschlag, die Melodie der Stimme hören, und wissen 'Du bist auf dieser Welt willkommen'." Zum Schluss wird kollektiv "für und mit Eva" gebetet, gesenkten Hauptes. Amen.
 

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