Sie ist die Art von Frau, mit der man glaubt, es machen zu können. Die 29-Jährige ist blond, großbusig und meist halb entblößt; sie führt „ein Leben zwischen Botox und Nacktfotos“ (FAS). Doch vielleicht ist sie genau darum die Frau, die sich jetzt traut, was so bisher noch keine gewagt hat: Sie geht mit der Unterstützung ihrer Anwälte – sowie von „Menschen, die mich früher nie ernst genommen haben“ – in die Offensive. Das „It-girl“ Gina-Lisa Lohfink, von Beruf Arzthelferin, kündigte nicht nur an, um ihr eigenes Recht kämpfen zu wollen, sondern hat gerade auch den Verein „Women are strong“ gegründet. Der soll Opfer sexueller Gewalt „kostenlos, psychisch, moralisch und juristisch“ unterstützen. Als „ehrbare Frau“ gilt Gina-Lisa eh nicht. Sie hat also nichts zu verlieren, außer der Achtung vor sich selbst.
Sie hat nichts zu verlieren - außer die Achtung vor sich selbst
Hätte Gina-Lisa Lohfink ihre Anzeige wegen Vergewaltigung nicht in Berlin erstattet, sondern in einem anderen Bundesland, müsste sie vielleicht jetzt gar nicht um ihr Recht kämpfen. Denn die Statistiken zeigen: In keinem Bundesland ist die Kluft zwischen den Anzeigen und der Verurteilung wegen Vergewaltigung so groß. Nur etwa jede 25. Anzeige endet in der Hauptstadt mit einer Verurteilung – in manchen anderen Bundesländern wird jeder fünfte der Sexualgewalt Bezichtigte verurteilt. Schon daran ist zu sehen, wie relativ das mit der Rechtsprechung ist. Sie ist eben immer auch eine Frage der individuellen Einstellung der Richtenden – die wiederum vom Zeitgeist geprägt sind. Und der scheint in der Hauptstadt anders zu sein als in den meisten Bundesländern.
Überhaupt sind die Zahlen zu dem Problem Sexualgewalt verwirrend. Der Spiegel schrieb apropos des Falles Lohfink, nur eine von 135 Beschuldigungen sei eine Falschbeschuldigung. Das Land Bayern ortete höchstens jede 13. Beschuldigung als falsch. Und von ExpertInnen wird geschätzt, dass maximal jede 10. Vergewaltigung zur Anzeige kommt, wovon wiederum bundesweit nur 8 Prozent verurteilt werden. Will heißen: Noch nicht einmal jede 100. Vergewaltigung endet in Deutschland mit der Verurteilung des Täters.
Und noch etwas ist bemerkenswert. Nur einen Monat vor der Verhandlung gegen Lohfink war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bekannt geworden. Darin gaben die höchsten RichterInnen einem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer recht. Die Frau war nach dem Freispruch des Angeklagten „wegen Mangels an Beweisen“ von dem Freigesprochenen öffentlich als „rachsüchtige Lügnerin“ bezeichnet worden – woraufhin sie auf ihrer Version bestand, sie sei vergewaltigt worden. Daraufhin zerrte der Freigesprochene die Frau vor Gericht.
Das mutmaßliche Opfer ging bis zum Bundesverfassungsgericht, das folgende Entscheidung traf: In einem Strafverfahren mit einem Freispruch wegen „Mangels an Beweisen“ habe eben nicht geklärt werden können, ob die Angaben des Angeklagten oder die der Nebenklägerin der Wahrheit entsprechen. „Darum stellten sich auch nach dem Freispruch des Klägers die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertung eines nicht aufgeklärten Geschehens dar, die nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinung zu bewerten sind.“ Beide, der mutmaßliche Täter und das mutmaßliche Opfer, hätten also in diesem Fall das Recht, bei ihrer Version des Geschehens zu bleiben.
Männer im Verhandlungsaal beschimpften sie als "Hure"
Hier ist von dem Fall Kachelmann die Rede. Er hatte Claudia D. nach seinem Freispruch als „rachsüchtige Lügnerin“ und „Falschbeschuldigerin“ bezeichnet. Sie widersprach. Daraufhin verklagte er sie – und wurde jetzt von den höchsten RichterInnen in die Schranken gewiesen.
Kennt das Berliner Amtsgericht diese Entscheidung nicht? Oder stellt es sich im Fall Lohfink auf den Standpunkt, es sei eindeutig bewiesen, dass es sich um „einvernehmlichen Sex“ (so der Verteidiger) gehandelt habe, denn die Klägerin habe „orientiert und aktiv“ gewirkt, und es gäbe „keinen Hinweis auf Gewalteinwirkung“ (so die Staatsanwältin).
Wie auch immer: Diesmal geht es nicht glatt durch. Der Fall Gina-Lisa Lohfink macht seit Wochen Schlagzeilen. Solidaritäts-Hashtags von Feministinnen überschlagen sich. Sogar die Frauenministerin und der Justizminister haben sich eingemischt, pro Lohfink. Denn die Klage von Lohfink gegen die beiden Männer wurde nicht nur eingestellt – die Frau soll nun auch noch 24.000 Euro Strafe zahlen wegen „Falschbeschuldigung“. Doch die will Lohfink nicht zahlen. „Eher gehe ich ins Gefängnis!“ erklärte sie.
Die Verhandlung Anfang Juni vor dem Berliner Amtsgericht musste unterbrochen werden, weil drei junge Männer in der Pause Lohfink als „Lügnerin“ und „Hure“ beschimpft hatten, woraufhin die zusammenbrach. Lohfink wurde als „verhandlungsunfähig“ erklärt. Die drei jungen Männer, die Lohfink vor dem Gerichtssaal beleidigten, hatten zuvor den Journalisten im Gerichtsflur illegale Videos aus der Verhandlung angeboten. Aber niemand schritt ein im Berliner Amtsgericht. Die Männer wurden nicht zur Rede gestellt.
Doch erzählen wir den Fall noch einmal ganz von vorne. Was war geschehen? Im Juni 2012 war im Internet ein Video aufgetaucht, das Lohfink zusammen mit zwei jungen Männern beim Sex zeigte. Die beiden Männer, Pardis F. und der mehrfach vorbestrafte Sebastian C., hatten das Video zuvor zahlreichen Medien gegen Geld angeboten, von 100 000 Euro war die Rede.
Das zusammengeschnittene Video hatte eine Länge von 29 Minuten, die Realzeit des Geschehens zog sich anscheinend über zwölf Stunden. Die Frau wird in dem Film genital und oral penetriert und die beiden Männer machen dabei Sprüche wie „Jetzt geht es los!“ und „Komm, die braucht’s härter!“ Oder „Laber nicht!“. Das „Labern“ bezog sich wohl auf Lohfinks mehrfach geäußerte Worte „Hört auf!“ und „Nein, nein, nein!“.
Die Gutachter in den Verfahren sind keineswegs immer neutral
In ungewöhnlicher Einmütigkeit berichteten nach der ersten Verhandlung mehrere „Leitmedien“, die meisten Menschen, die dieses Video gesehen hätten, gingen davon aus, dass es sich hier um eine Vergewaltigung handele. Lohfink habe eigenartig abwesend gewirkt. Sie selbst hatte erst zwei Wochen nach dieser Nacht Anzeige erstattet. Ihr sei, wie sie versichert, erst nach Kenntnis des Videos allmählich klargeworden, was da passiert sein muss. Sie könne es sich nur so erklären, dass ihr jemand KO-Tropfen verabreicht habe. Das hätte sie schon zweimal erlebt, und das hätte sich genauso angefühlt.
Erst fünf Monate nach der Anzeige vernimmt die Polizei Gina-Lisa Lohfink. Die geht ohne Anwalt zur Vernehmung. Sie räumt ein, dass sie mit dem einen der beiden, mit Pardis F., die Nacht davor verbracht hatte, einvernehmlich. Sie wird gefragt, ob sie in der Nacht darauf von den zwei Männern vergewaltigt wurde. „Vergewaltigung, das ist so ein großes Wort“, antwortet Gina-Lisa laut Protokoll. „Wie nennt man das, wenn man Sex nicht will?“ Erst sechs Monate danach kommt das Gutachten, in dem der Toxikologe erklärte, er habe keine Spuren von KO-Tropfen entdeckt – sein Urteil basiert auf der Ansicht des Videos.
Polizei und Staatsanwältin folgen diesem Gutachter. Was gerade bei Prozessen wegen Sexualgewalt meist so ist, denn da steht Aussage gegen Aussage und ziehen die verunsicherten JuristInnen sich gerne hinter die „Experten“ zurück. Nur, die Gutachter sind sich keineswegs immer einig und auch nicht immer neutral. Oft sagen zwei Gutachter zum selben Sachverhalt exakt das Gegenteil. Und in der Regel sind die von den Anwälten der zahlungskräftigeren Angeklagten beauftragten Gutachter stärker – und ist es fast immer die Strategie der Verteidiger, zu versuchen, das mutmaßliche Opfer unglaubwürdig zu machen. Entsprechend fallen manche Gutachten aus.
Doch zurück zum Fall Lohfink. Die Berliner Staatsanwältin Corinna Gögge schenkte der Verteidigung der beiden Angeklagten und dem Gutachter Glauben und stellte das Verfahren gegen Pardis F. und Sebastian C. ein. So weit, so wenig überraschend. Aber dann tat die Staatsanwältin etwas Ungewöhnliches: Sie drehte den Spieß um und stellte Strafantrag gegen die Klagende (die übrigens mit ihrem Geld aus Werbung und Shows ihre Mutter und ihre Halbgeschwister ernährt). Lohfink sollte nun 24.000 Euro Strafe wegen „Falschbeschuldigung“ zahlen (Wir erinnern uns an die Kachelmann-Wortschöpfung „die Falschbeschuldigerin“ für Claudia D.).
Es geht um viel mehr als eine Änderung des Vergewaltigungs-Paragrafen
Am 27. Juni soll das Urteil gesprochen werden. Und übrigens: Am 14. Juli steht beim Frankfurter Oberlandesgericht das Urteil gegen Claudia D. an: Sie soll zu einem „Schadensersatz“ über 13.000 Euro verurteilt werden. Das ist die Summe des Honorars für einen – 2011 von Kachelmanns Verteidigung beauftragten – Gutachter. Der hatte - im Gegensatz zu einem anderen Gutachter - die Auffassung vertreten, dass Claudia D. sich die Hämatome an den inneren Oberschenkeln selbst zugefügt habe, Kachelmann also darum nicht der Vergewaltiger sein könne.
Gina-Lisa hat Glück im Unglück. Ihr Fall fällt mitten in die erhitzte Debatte über die überfällige Verschärfung des Vergewaltigungs-Paragrafen, in dem endlich festgeschrieben werden soll: Nein heißt Nein! Jedoch: Selbst das hätte ihr bei diesem Prozess wohl nichts genutzt. Denn Polizei wie Staatsanwältin befanden, Lohfinks Nein hätte sich augenscheinlich nicht auf den gesamten Vorgang bezogen, sondern vielleicht nur auf einzelne Sexualpraktiken (wie die orale Penetration) – oder überhaupt nur auf den Umstand, dass die Männer das Ganze mit dem Handy filmten. Tja. Es geht eben um mehr als nur eine Gesetzesänderung. Um viel mehr. Es geht um unser Verständnis von Sexualität – und um die Würde des (weiblichen) Menschen. Und das ist noch ein weiter Weg.
Alice Schwarzer
Prozess-Termine & Demos
Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink: 27. Juni, 9 Uhr, Amtsgericht Tiergarten Berlin. Prozess gegen Claudia D.: 14. Juli, 10 Uhr, Oberlandesgericht Frankfurt.
Für beide Termine ruft die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“ zur Solidaritäts-Demo mit allen Opfern sexueller Gewalt auf. Mehr Infos auf www.ifgbsg.org