Feindliche Übernahme bei Terre des Femmes?

Die Terre des Femmes-Gruppe Augsburg hisst die Fahnen gegen Gewalt gegen Frauen. © Cynthia Matuszewski
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Es sind im Namen des Feminismus die immerselben Fronten: hie Pro-Prostitution und Pro-Kopftuch – da Prostitutions- und Islamismus-kritisch. Im Sommer dieses Jahres ereilte dieser Frontenkrieg auch die seit 1981 engagiert arbeitende Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TdF). Die Gründungsintention der heute über 2.000 Mitglieder zählenden Organisation war und ist zwar der Kampf gegen die Entrechtung von Frauen im Namen einer anderen Kultur bzw. Religion. Dennoch musste ausgerechnet TdF sich nun in einem „Offenen Brief“ von 29 Mitgliedern vorhalten lassen, „rassistisch“ und, klar, „rechtspopulistisch“ zu sein.

Der Brief kam von einer Gruppe, die sich „Feminismen ohne Grenzen“ nennt. Die Frauen, selber Mitglieder bei TdF – wenn auch viele erst seit sehr kurzer Zeit – kritisierten öffentlich die Beschlüsse der diesjährigen Vollversammlung von TdF. Es ging dabei um „einige kritikwürdige Episoden“ in den Bereichen Prostitution, Kopftuch und gegenderte Sprache. Die 29 sind nicht allein. Sie haben Freundinnen. Zum Beispiel bei der taz. Die würden, so drohten sie in einer E-Mail, am nächsten Tag über den Skandal bei TdF berichten.

Gedroht, getan. „Streit bei Terre des Femmes“, vermeldete prompt taz-Redakteurin Simone Schmollack. „Unterwanderungsversuch bei Terre des Femmes“ wäre der präzisere Titel gewesen. Denn was sich da im Zuge der Mitgliederversammlung abgespielt hat, ist ein politisch nur allzu bekanntes Manöver: Eine Minderheit attackiert die Arbeit der Mehrheit via öffentliche Diskreditierung. Diesmal trifft es die 1981 gegründete Frauenrechtsorganisation.

TdF steht seit jeher für den Kampf für Frauenrechte – eben auch in den Kulturen, in denen die Entrechtung der Frauen „Tradition“ ist. Nun wird TdF also aus heiterem Himmel „Rassismus“ vorgeworfen.

„Wir befürchten, dass einige Positionen des Vereins (TdF) sowie Äußerungen und Stellungnahmen einiger Vorstandsfrauen zahlreiche Frauen* ausschließen, rassistische Ressentiments reproduzieren und rechtspopulistische Tendenzen in der Gesellschaft legitimieren“, rügen die 29 Unterzeichnerinnen des Offenen Briefes. Sie „distanzieren“ sich im Nachhinein nicht nur von dem fünfköpfigen TdF-Vorstand, sondern auch von Beschlüssen, die auf der Mitgliederversammlung mehrheitlich gefasst worden waren. Allen voran von der Forderung nach einem „Kopftuchverbot für Minderjährige“.

In neun Punkten hatten die TdF-Mitglieder den Kopftuch-Beschluss begründet. „Die Verschleierung von Mädchen“, heißt es da u. a., „markiert diese als Sexualwesen, als Verführerin, die ihre Reize vor Männern zu verbergen hat“. Und: „Das inzwischen weit verbreitete Mobbing gegen unverschleierte Mädchen etwa in Schulen, die als ‚Unreine‘ oder ‚Schlampen‘ beschimpft werden, muss strikt verurteilt und sanktioniert werden.“ Kritik der Grenzenlosen: Dieses Verbot schüre „antimuslimischen Rassismus“ und „stigmatisiere Eltern von Kopftuchträger*innen pauschal als Täter*innen“.

Auch die 2014 mehrheitlich von TdF beschlossene Forderung nach Freierbestrafung kritisierten die 29 Verfasserinnen drei Jahre danach. Ein solches Sexkaufverbot reduziere „Sexarbeiterinnen“ auf „frauenfeindliche Klischees“, heißt es. Und weiter: „Wir wünschen uns differenziertere Debatten, die den vielfältigen Lebensrealitäten in der Prostitution gerecht werden.“

Und zuguterletzt werfen die Grenzenlosen TdF auch noch eine „sprachliche und faktische Ausgrenzung von trans-, inter- und anderen Frauen*“ vor, die „sich nicht in das auf Mann und Frau beschränkte binäre Geschlechtersystem eingliedern können oder möchten“. Grund: Die Mehrheit der TdF-Mitfrauen hatte nach langer Diskussion dagegen plädiert, das Binnen-I gegen Unterstriche und Sternchen auszutauschen.

Kurzum: 29 (bzw. inzwischen 36) von über 2.000 Mitfrauen von Terre des Femmes stellen rückwirkend zentrale Positionen von Tdf infrage bzw. fordern das Gegenteil von dem, wofür die Organisation seit ihrer Gründung steht. Geht es hier also um eine Art feindliche Übernahme?

Terre des Femmes ist die letzte der großen Frauenorganisationen in Deutschland, die eine klare Haltung gegen ­Islamismus und Prostitution hat – im ­Gegensatz zum Deutschen Frauenrat, der seit 2013 eine offensive Pro-Prostitutions-Kampagne betreibt und sich zum Islamismus in Schweigen hüllt. Die TdF-Mitarbeiterinnen sind international vernetzt in Politik und Wirtschaft, sie werden als Beraterinnen in Gesetz­gebungsverfahren herangezogen und als Sprecherinnen auf Podien eingeladen. Über ihre Kampagnenarbeit wird auch in den Medien berichtet. Wer die Linie bei Terre des Femmes bestimmt, hat also eine starke Stimme in der Debatte um Frauenrechte in Deutschland.

Wer also sind diese 29 Frauen, die nun im Namen von Terre des Femmes reden und deren angestammte politische Positio­nen um 180 Grad drehen wollen? „Nicht mal die Hälfte dieser Frauen waren auf der Versammlung überhaupt anwesend“, sagt TdF-Geschäftsführerin Christa Stolle. Vor allem: Die meisten der 29 sind erst seit wenigen Jahren Mitglied in der 1981 gegründeten Organisation. Und nur zwei arbeiten für TdF, neun weitere sind ehemalige Mitarbeiterinnen. Plus acht Ex-Praktikantinnen. „Das sind junge Frauen, die gerade erst von der Uni kommen, einige Wochen bei uns sind und mir dann erklären, dass ich – eine Deutsch-Türkin aus der muslimischen Community – eine Rassistin bin“, empört sich Necla Kelek, die auf der besagten Mitgliederversammlung wieder in den TdF-Vorstand gewählt wurde. Zusammen mit den Frauenrechtlerinnen Inge Bell, Godula Kosack und Hania Luczak.

Geschäftsführerin Christa Stolle erinnert sich: „An dem Kopftuchantrag, dem zwei Drittel zugestimmt haben, hat eine Algerierin mitgearbeitet, die dabei zusehen musste, wie in ihrer Heimat ein zehnjähriges Nachbarsmädchen erschossen wurde, nur weil es kein Kopftuch trug.“ Stolle beobachtet seit einiger Zeit, dass Frauen in den Verein streben, deren politische Positionen in diametralem Widerspruch zu den Grundsätzen von Terre des Femmes stehen. Doch sie bleibt standfest: „Wir sind eine Menschenrechtsorganisation. Kulturrelativismus, der Frauenfeindlichkeit im Namen einer Religion oder einer Kultur legitimiert, hat bei uns keinen Platz.“

Umso durchsichtiger der Unterwanderungsversuch unmittelbar vor der diesjährigen Mitgliederversammlung. Nur wenige Tage vor der Vollversammlung im Juni trafen in Berlin plötzlich 30 Anträge auf Neumitgliedschaft ein – was die Mehrheitsverhältnisse der bei der Abstimmung Anwesenden auf einen Schlag hätte verändern können.

So versuchen sie, „sich in die Terre des Femmes-DNA einzuschreiben“, sagt ­Ingrid Staehle. Die Journalistin hat Terre des Femmes 1981 in Hamburg initiiert. Auslöser: ein Artikel über Ehrenmorde und Genitalverstümmelung. Ihr Impuls war also von Anfang an der Kampf gegen die Entrechtung der Frauen in patriarchalen Kulturen. Über den „absurden“ Rassismus-Vorwurf kann Staehle deswegen „nur müde den Kopf schütteln“.

Was ist die Terre-des-Femmes-DNA? Von Beginn an kämpft die Organisation gegen Genitalverstümmelung und gegen Gewalt „im Namen der Ehre“. 1988 erstellte TdF eine Dokumentation über „Frauenhandel in der BRD“, ein Jahr später folgte ein erstes Seminar zum Thema „Pornographie – Prostitution – Prostitutions­tourismus“. Seit 2003 thematisiert Terre des Femmes ein Kopftuchverbot in Schulen und Ämtern, seit 2010 ein allgemeines Burka-Verbot.

Die 29 von „Feminismen ohne Grenzen“ sehen das anders. „Wir denken, dass Kleidervorschriften auch in Zwangssituationen nicht helfen“, befinden sie. Inzwischen haben sich den UnterzeichnerInnen des Offenen Briefes 48 „Unterstützer*innen“ zur Seite gestellt, darunter Einschlägige: Anne Wizorek (Der Burkini ist eine „Superidee und ein Emanzipationswerkzeug“) und Mithu Sanyal (Vergewaltigungsopfer könnten sich auch „Erlebende“ nennen), oder die Berliner Beratungsstelle „Hydra“ (Pro-Prostitutions-Lobby).

Also haben 76 Terre-des-Femmes-­Frauen nun ihrerseits öffentlich Stellung bezogen. Titel ihres Offenen Briefes: „Feminismus bleibt unbequem!“ Hinter der Attacke der Grenzenlosen stehe „für uns die klar erkennbare Intention einer kleinen Gruppe, TdF medial unter Druck zu setzen“, schreiben sie. Und zu dem Rassismus-Vorwurf erklären die 76: „Wir halten derartiges Buzzword-Bingo, das überall ‚Rassismus‘ schreit, wo es um die Aufklärung über den politischen Islam (Islamismus) geht, für eine politisch korrekt verbrämte Form, den eigenen paternalistisch verbrämten Rassismus zu kaschieren.“ Und sie fragen: „Wo bleibt eigentlich die im Offenen Brief von ‚Feminismen ohne Grenzen‘ geäußerte scharfe Kritik, wenn es um den Einfluss des politischen Islam auf Mädchen- und Frauenrechte geht?“

Und zur Prostitution und dem Beschluss für das Binnen-I merken die Kri­tisierten an: „Wo nur noch von ‚Sexarbeite­r*innen‘ und insbesondere: ‚Kund*innen‘ in der Prostitution die Rede ist, verschwinden die real existierenden gesellschaftlichen Geschlechter- und Machtverhältnisse vollends aus dem Blick.“

Für TdF-Geschäftsführerin Christa Stolle ist der Unterwanderungsversuch und die Diskussionen darüber nicht weniger als eine „historische Debatte“. Denn: „Entscheidet sich doch jetzt wieder einmal die Richtung des Feminismus.“ So ist es. Es geht um neoliberal versus radikal, um Kulturrelativismus versus Universalismus. Stolle: „Frauenrechte sind Menschenrechte. Unsere Position dazu ist nicht neu – und nicht verhandelbar!“

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