Film: Hilary Swank: Rollenbruch

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Ihre erste Rolle war der Mogli aus dem Dschungelbuch. Als sie ihn spielte, war Hilary Swank 15 Jahre alt und das Stück wurde in einem kleinen Theater ihres Heimatstädtchens Bellingham nördlich von Seattle aufgeführt. Bis dahin war das Mädchen zwischen Schultheater und Schwimmwettbewerben hin und her gependelt, wo sie es bis zur Teilnahme an der Jugend-Olympiade gebracht hatte. Mit dem Mogli, dessen junge Darstellerin Talent-Scouts auffiel, kam nun die endgültige Entscheidung für die Schauspielerei. Der Dschungel-Junge scheint in vielerlei Hinsicht eine wegweisende Rolle gewesen zu sein, denn Hilary spielte: 1. kein Mädchen, 2. eine kräftig-sportliche Person und 3. ein Wesen in einer fremden Welt. Wenn man sich die Figuren anschaut, die die 35-Jährige sich seither aus dem Hollywood-Repertoire herausgefischt hat, drängt sich der Eindruck auf, dass sich an diesem Konzept bis heute nicht viel geändert hat.

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Hilary Swank war Brandon Teena, das Mädchen, das als Junge lebte, und dessen Rollenwechsel im Mittleren Westen mit Vergewaltigung und Tod bestraft wurde. Sie war Maggie Fitzgerald, die Boxerin, die sich aus ihrem ärmlichen Wohnwagen-Park zum „Million Dollar Baby“ durchschlug. Sie war Alice Paul, die Suffragette, die in den 20ern in den USA das Frauen-Wahlrecht erkämpfte. Und jetzt ist sie Amelia Earhart, die legendäre Pilotin, die 1932 als erste Frau den Atlantik überquerte und 1937 bei ihrem Versuch, die Welt zu umrunden, spurlos verschwand. Die, so Swank, „in einer Männerwelt ein Leben nach ihren eigenen Regeln lebte“.
 
Von Anfang an galt Hilary Swank als absolute Favoritin für diese Rolle. „Hilary ist eine geborene Draufgängerin“, sagt Regisseurin Mira Nair. Selbstredend nahm die Schauspielerin Flugunterricht, weil sie es für „grundfalsch“ gehalten hätte, die berühmte Pilotin darzustellen, ohne selbst fliegen zu können. Zwar stoppte die Versicherung das Projekt Pilotinnenschein nach 19 Flugstunden, aber Swank hatte begriffen, dass „Amelia das Fliegen liebte, weil sie in der Luft frei war von den Zwängen, die sie auf der Erde einschränkten“. Diese Zwänge waren gewaltig.

Als die Presse 1929 das Cleveland Women’s Air Derby als „Puderquastenrennen“ und seine Teilnehmerinnen als „Flying Pancakes“ verspottete, gründete sie mit 99 Kolleginnen die Pilotinnenvereinigung „Club der 99“. Das dürfte Hilary Swank gefallen haben. Auf die Frage, was sie an Frauen attraktiv finde, hatte sie einmal geantwortet: „Frauen, die Frauen unterstützen, sind unschlagbar sexy.“

Als „Amelia“ im Herbst 2009 in den USA Premiere hatte, feierten Schauspielerin Swank und Regisseurin Nair den Filmstart mit einer Flugshow der Ninetynines, die noch heute existieren. „Amelia wäre begeistert von der Tatsache, dass Frauen heute große Jets über den Atlantik steuern“, schwärmt Amelia-Darstellerin Hilary. „Sie war eine echte Pionierin, und ihr gebührt großer Dank dafür, dass die Mädchen heutzutage es einfach okay finden können, ihren Träumen zu folgen.“

Auch Hilary träumte, als sie ein Mädchen war. Es blieb ihr nicht viel anderes übrig, wenn sie der Tristesse ihrer Welt entfliehen wollte. Wie Boxerin Maggie, wuchs Hilary Swank in einer Wohnwagen-Siedlung auf. „Eine warme Mahlzeit am Tag war Luxus“, erzählt sie. „Bücher und Filme waren für mich immer Zufluchtsorte.“ Der Vater glänzte durch Abwesenheit und verließ die Familie, als Hilary 16 war. Die Mutter aber, „meine beste Freundin und Vertraute“, glaubt an ihre Tochter und deren Talent. „Sie hat mir immer gesagt, dass man ein Ziel haben muss und dass nichts von allein kommt.“ Mit 75 Dollar setzen sich Mutter und Tochter ins Auto und fahren gen Süden. Ihr Ziel: Hollywood.

Sechs Wochen lang schlafen die beiden im Auto, dann tauschen sie die Sitze gegen Luftmatratzen in einem leerstehenden Haus, das Freunde verkaufen wollen. Noch im selben Jahr hat Hilary ihre erste Nebenrolle in einer TV-Serie. 1992 ist sie als beste Freundin von „Buffy, der Vampirjägerin“ zum ersten Mal auf einer Kinoleinwand zu sehen. Zwei Jahre später schlägt sie in „Karate Kid IV“ als erstes Mädchen die gegnerische Schulgang zu Brei. Aus der Teenie-Soap „Beverly Hills 90210“ wird sie, vermutlich wegen fehlender Geschmeidigkeit, gefeuert. Was sie kurzfristig in Verzweiflung stürzt, erweist sich im Nachhinein als Glücksfall: Sie bekommt das Angebot für die Hauptrolle in „Boys don’t cry“. Zur Vorbereitung lebt die 25-Jährige, die inzwischen mit ihrem Schauspiel-Kollegen Chad Lowe verheiratet ist, einen Monat lang als Junge, ganz wie Brandon Teena mit abgebundenen Brüsten und Socken im Schritt. Für ihre berührende Darstellung des Wesens zwischen Mann und Frau bekommt sie im Jahr 2000 den Oscar, 2005 folgt der zweite für „Million Dollar Baby“. Zehn Kilo Muskelmasse hat sich die Schauspielerin für diese Rolle antrainiert.

Da ist die Prämierte schon nach New York geflüchtet, „um nicht vom Hollywood-Business aufgefressen zu werden“. Dort lebt das Mädchen aus der Wohnwagen-Siedlung mit Ehemann Chad (von dem sie inzwischen geschieden ist), Hunden und Katzen, hält nach Sonderangeboten Ausschau und fährt bevorzugt U-Bahn. Erstens, weil das billig ist und zweitens, weil „es für meine Arbeit nichts Spannenderes gibt als Menschen zu beobachten“.

Sie spielt Polizistinnen, Wissenschaftlerinnen, Astronautinnen. „Die nervigste Frage, die ich immer wieder gestellt bekomme, ist: ‚Hilary, wann spielst du mal ein hübsches Mädchen?‘ Ihre Antwort: „Als kicherndes Mädchen wäre ich doch völlig fehl am Platz.“ Stimmt. Ihre nächste Rolle nach Pilotin Amelia ist übrigens eine traumatisierte Soldatin.

 

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