Die Hilferufe werden lauter

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"Mit seiner Angst umgehen, das kann man lernen", antwortete sie Ende Januar auf die Frage einer Journalistin im französischen Poitier, wo sie einen Vortrag hielt. Nach Schließung ihres Menschenrechtszentrums und der Durchsuchung ihrer Anwaltskanzlei hat das Ayatollah-Regime seine bekannteste Gegnerin, die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Anfang des Jahre ausreisen lassen – vielleicht in der Hoffnung, sie nie wieder zu sehen.

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Aber die so mutige Anwältin und Menschenrechtlerin ist schon wieder zurückgekehrt in ihre Heimat. Denn: "Ich gehöre zu diesem Land!" Ebadi ist der Auffassung, dass nicht sie und ihre Mitstreiterinnen gehen sollten, sondern die anderen: Präsident Ahmadinedjad und seine "Revolutionsgarden", die jegliches Begehren nach Menschenrechten niederknüppeln, einsperren, hinrichten.

Da vor allem der Widerstand der Frauen steigt, verstärkt das Regime den Druck: Am 21. Dezember 2008 wurde das von Ebadi 2003 mit ihrem Nobelpreisgeld gegründete Menschenrechtszentrum geschlossen. Über 5.000 Hilfesuchende waren in den vergangenen Jahren in diesem Zentrum gratis beraten worden. Angeblich sei das Büro illegal gewesen. Der wahre Grund jedoch scheinen Ebadis Informationen über Menschenrechtsverletzungen an die UN zu sein. Für UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Anlass, Präsident Ahmadinedjad erneut aufzufordern, die Hinrichtungen Minderjähriger sowie die "Amputationen und körperlichen Züchtigungen" zu stoppen.

Am 29. Dezember stürmten Sicherheitsbeamte Ebadis Rechtsanwaltsbüro und beschlagnahmten Unterlagen, Kundenkarteien und Computer. Wenig später kam "spontan" der Mob nachgerückt, riss das Anwaltsschild von Ebadi am Eingang von der Wand und beschmierte das Gebäude mit Slogans wie "Verräterin", "Shirin = Amerika", "Tod Amerika – hässliche amerikanische Hexe". Die Polizei schaute zu.

Solche Drohungen sind nicht neu. Die einstige Richterin stand schon bei der Machtergreifung Khomeinis 1979 auf der Todesliste – und auch heute ist ihr Leben ernst in Gefahr. Die Unterstützung aus dem Ausland ist keine Garantie, aber doch ein Schutz für Ebadi. Denn so ganz will das Regime die Maske nicht fallen lassen, noch nicht.

Ebadis Töchter sind zurzeit im Ausland. Die eine studiert Fernmeldetechnik in den USA, die andere macht ein Praktikum im Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die Hoffnung ist gering, dass sie – und wir alle – eines Tages die Genugtuung haben werden, Präsident Ahmadinedjad vor den Schranken dieses Gerichts stehen zu sehen.

Paris, 19. Januar 2009. Im berühmten Café "Les Deux Magots" überreicht Jury-Präsidentin Julia Kristeva den "Prix Simone de Beauvoir pour la liberté des femmes 2009" an einen Gast, von dem "wir bis zur letzten Minute nicht wussten, ob sie tatsächlich bei uns sein kann": Dieser Gast ist die iranische Schriftstellerin Simin Behabahani. Sie nimmt den Preis stellvertretend entgegen für die vielen iranischen Frauen (und Männer), die in der Mullah-Diktatur mit Löwinnenmut etwas Ungeheuerliches angezettelt haben: die Kampagne "1 Million Unterschriften für Gerechtigkeit". Ihr Ziel: Die Abschaffung frauendiskriminierender Gesetze im Iran. Seit dem Start der Kampagne im August 2006 ist die Unterschriftenaktion zu einer Massenbewegung geworden. Und die Frauen, die sich ihr anschließen, leben gefährlich. Simin Bahabahani durfte ausreisen. Andere Aktivistinnen hatten weniger Glück.

New York, 15. Oktober 2008. Alarm. Esha Momenie kehrt von einer Reise in den Iran nicht in die USA zurück. Die Journalistin war in ihr Heimatland gereist, um einen Dokumentarfilm über die "1 Million Unterschriften"-Kampagne zu drehen. Sie wird verhaftet und nach dreieinhalb Wochen Haft am 10. November gegen Kaution unter Hausarrest gestellt.

Teheran, 6. März 2008. Das Flugzeug, das Parvin Ardalan nach Stockholm bringen soll, steht startbereit auf dem Rollfeld. Da wird es in letzter Minute gestoppt. "Sicherheitskräfte" holen die Mitinitiatorin der Kampagne wieder heraus, nehmen ihr den Pass ab und verhängen einen 72-stündigen Hausarrest. So kann sie den Olof-Palme-Preis nicht entgegennehmen, den die gleichnamige Stiftung der Kampagne verliehen hatte.

"Ich hatte die Hoffnung, bei euch zu sein an diesem Internationalen Frauentag", erklärt Ardalan per Videobotschaft. "Dass ich im letzten Moment daran gehindert wurde, ist nicht erstaunlich: Wenn man in meinem Land eine Frau ist und für seine Rechte eintritt, bedeutet das, in einen unendlichen Kampf einzutreten."

https://www.youtube.com/watch?v=hH-MXyv2Y_I

27. August 2006. 53 verzweifelte Frauen gehen in die Offensive. Sie sind nicht länger gewillt, sich zu ducken. Zweieinhalb Monate zuvor, am 12. Juni 2006, hatte die Polizei ihre friedliche Demonstration für Frauenrechte mit Tränengas und Elektroschocks auseinandergetrieben. Dennoch hatten einige von ihnen es zuvor noch geschafft, eine kleine Broschüre zu verteilen, in der sie Punkt für Punkt ihre Rechtlosigkeit im iranischen Gesetz anprangern.  
• Warum haben Männer das Recht, vier Frauen zu heiraten?
• Warum hat eine Frau nicht das Recht, die Scheidung einzureichen, selbst dann nicht, wenn sie (und ihre Kinder) vom Ehemann misshandelt wird?
• Warum fällt das Sorgerecht bei einer – vom Mann eingereichten – Scheidung automatisch an den Ehemann?
• Warum sind Jungen mit 15 Jahren strafmündig, Mädchen aber bereits mit neun?
• Warum ist die Aussage einer Frau vor Gericht nur halb so viel wert wie die eines Mannes und müssen also zwei Frauen gegen einen Mann aussagen, um ein Verbrechen wie häusliche Gewalt oder Vergewaltigung zu bezeugen?
• Warum erlaubt das Gesetz Männern so genannte Ehrenmorde? 
In den Wochen nach der ersten Kundgebung melden sich immer mehr Frauen, die die Broschüre gelesen haben, bekunden lautstark ihre Zustimmung und berichten in Briefen von ihren eigenen Erlebnissen. Jetzt reift die Idee zur Kampagne. Die erfahrene Juristin Shirin Ebadi formuliert die rechtlichen Forderungen, die zum Kern der Kampagne werden. Ihr Symbol: Eine Waage, in deren beiden Schalen ein Frauen- bzw. Männerzeichen gewogen wird – die Schalen befinden sich im Gleichgewicht. Ihr Ziel: Zwei Jahre später sollen der Regierung eine Million Unterschriften übergeben werden, zusammen mit entsprechenden Gesetzentwürfen.

Die 53 Gründungsmitglieder ziehen nun mit ihren Unterschriftenlisten von Haustür zu Haustür, sprechen Menschen auf der Straße, in Parks und U-Bahnen an. Viele unterschreiben, darunter auch Männer, vor allem junge, die mit der Aktion sympathisieren und sich solidarisieren. Schon bald hat die Kampagne rund 5.000 mutige UnterstützerInnen.

Teheran, 8. März 2007. Ein halbes Jahr nach Kampagnenstart setzen die Machthaber ein brutales Zeichen. Wieder soll eine Kundgebung auf dem Haft-e-Tir-Platz abgehalten werden, aber schon im Vorfeld werden bekannte Aktivistinnen verhaftet. Man will den Protest im Keim ersticken. Dennoch versammeln sich viele Frauen an dem Ort, der schon zum Symbol für die "1 Million-Kampagne" geworden ist. Sie werden mit Gewalt auseinandergetrieben. "Die Aktivistinnen haben friedlich auf dem Rasen gesessen und feministische Lieder gesungen", berichtet die BBC-Reporterin Francis Harrison. Innerhalb weniger Minuten kamen Polizisten mit Tränengas und Schlagstöcken und schlugen heftig auf sie ein."

70 Frauen werden verhaftet, darunter auch Parvin Ardalan und die Aktivistin Delaram Ali, der die Polizisten bei der Verhaftung die Hand brechen. Die Aktivistinnen werden vor Gericht gestellt. Die Anschuldigungen, die man gegen sie erhebt, sind schwer: Propaganda gegen das System, Gefährdung der nationalen Sicherheit, Verbindung zu illegalen Oppositionsgruppen. Zwar lässt man die Angeklagten schließlich frei. Aber zuvor werden sie zu hohen Bewährungsstrafen verurteilt. "So stehen sie mit einem Fuß im Gefängnis, außerdem mussten sie unglaublich hohe Kautionen zahlen", berichtet die in Frankfurt lebende Iranerin Shadi Amin. Die Strategie des Regimes: die Frauen einschüchtern und mundtot machen. "Inzwischen sind rund 40 Frauen auf Bewährung verurteilt – das hat die Bewegung fast lahmgelegt."

Teheran, 30. Januar 2009. Nafiseh Azad und zwei weitere Aktivistinnen werden im Norden der Hauptstadt verhaftet, als sie Unterschriften sammeln. Einen Tag später wird Alieh Eghdamdoust in ihrem Haus festgenommen und ins Evin-Gefängnis geschleppt. Die 60-Jährige, die man wegen ihrer Teilnahme an der Kundgebung am 12. Juni 2006 zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt hatte, muss ihre Strafe jetzt antreten. "Das ist eine schockierende Nachricht, die uns alle erschüttert hat", erklären 17 iranische Frauengruppen in einem Protestschreiben. "Wir fürchten außerdem, dass diese Verhaftung nur der erste Schritt ist und jetzt alle Aktivistinnen mit Bewährungsstrafen ihre Haftstrafen antreten müssen. Im Vorfeld des 8. März will das Regime die inhaftierten Frauen offenbar zu Geiseln machen, um den Druck auf unsere Bewegung zu verstärken."

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Terrorwelle im Iran (4/07)
Ein Brief aus dem Iran (4/07)
Shirin Ebadi im Gespräch mit Alice Schwarzer (3/06)
Shirin Ebadi: "Ich habe keine Angst!" (3/06) 
Hilferuf aus dem Iran (5/05)
Alice Schwarzer (Hrsg): 'Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz' (Kiepenheuer & Witsch, TB, 2002)

 

 

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