Alice Schwarzer schreibt

Hilferuf aus dem Iran

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Der folgende Hilferuf erreichte EMMA am 22. Juli 2005. Er war an ein Dutzend Menschenrechtsorganisationen, Medien und die Grünen gerichtet. EMMA war anscheinend die Einzige, die den verzweifelten Frauen antwortete. Zwei Wochen später schrieben uns die iranischen Studentinnen ein zweites Mal. Darin benennen sie sehr genau, was der Westen – und vor allem: was Deutschland – tun könnte, um die Opposition innerhalb des Irans gegen die Tyrannei der Gottesstaatler zu stärken.

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Inzwischen ist die Lage im und um den Iran dramatisch eskaliert. Der radikal-fundamentalistische neue Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad denkt gar nicht daran, vor dem Westen zurückzuweichen. Zur Zeit findet ein Wettlauf statt: Hat der Iran schon die Atombombe – oder könnte die noch gestoppt werden?

Ob der Iran zur Atombombe greift oder nicht, ist keine Frage von diplomatischen Verhandlungen mehr, sondern eine reine Machtfrage. Länder wie Iran sind nicht gewillt, sich von der Atommacht Nr. 1, von Amerika, vorschreiben zu lassen, ob auch sie atomar aufrüsten dürfen – und sie halten nachvollziehbarerweise die Atombombe für den einzigen Schutz vor einem Einmarsch der Amerikaner.

Doch selbst wenn die Bombe noch gestoppt werden könnte, wäre eine Intervention in die Mutter aller Gottesstaaten sehr heikel, da das Land fest verbandelt ist mit allen anderen Gottesstaaten, zu denen inzwischen auch der Irak zu zählen ist.

Was heißt: Die Lage der Frauen, die uns hier schreiben, hat sich dramatisch verschärft. Mehr denn je ist es also zwingend, dass die deutsche Außenpolitik und der deutsche Außenhandel mit dem Iran und anderen Gottesstaaten unlösbar verknüpft wird mit der Frage nach den Menschenrechten – und damit auch der nach den Frauen.

EMMA bleibt im Dialog mit den Iranerinnen. Wir hoffen, dass auch die Politik ihre Stimme hört. A.S.

Iran, 22. Juli 2005

Offener Brief an alle Menschen in Deutschland

Wir sind eine Gruppe feministischer Studentinnen, die persönlich unter der Diskriminierung durch die ignorante Herrschaft der Mullahs leidet. Seit Jahren verschließt die internationale Gemeinschaft die Augen gegenüber diesem grausamen Regime – allen voran Deutschland, was uns besonders hart trifft, da Deutschland hier im Iran als Meinungsführerin Europas betrachtet wird. Das Schweigen Europas hat die politische Führung im Iran ermutigt zu glauben, dass alles erlaubt ist und sie vor allem die Frauenrechte mit Füßen treten können. Das unheilvolle Schweigen Europas hat dazu geführt, dass Mahmud Ahmadi-Nejad, dieser rückständige Fanatiker, kaltblütige Mörder und Frauenhasser Präsident werden konnte.

Kaum ist die Tinte der Wahlkreuze getrocknet, treibt der neue Präsident schon neue harte Einschränkungen der Frauenrechte voran – in der Politik, bei Bildung und Ausbildung, in der Regierung, in der Wirtschaft, einfach überall – ganz im Gegensatz zu seinen beschwichtigenden Worten nach außen. Nur die wenigsten dieser Beschlüsse dringen an die internationale Öffentlichkeit, und alle forcieren die Einschränkung der Frauenrechte.

Die meisten von uns Frauen sind besser ausgebildet als dieser Präsident, und doch müssen wir mit allen möglichen Einschränkungen leben, während er und seinesgleichen ausufernde Rechte genießen, inklusive dem Recht, Frauen zu unterdrücken.

Die unentschlossene Haltung Deutschlands gegenüber dem Iran ermutigt bestimmte Kräfte und gibt unserer Regierung Auftrieb, ihre Haltung zu radikalisieren und die Bevölkerung – insbesondere die Frauen – weiter zu unterdrücken. Und das, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

Gerade das Schweigen der internationalen Gemeinschaft – insbesondere der aufgeklärten Elite in Deutschland – zu dem massenhaften Ausschluss von überwiegend reformorientierten Kandidaten bei den siebten Parlamentswahlen führte auch zu einer außenpolitischen Radikalisierung der Regierung.

Diese Präsidentschaft ist das Ergebnis einer unheiligen Allianz zwischen Ahmadi-Nejad und seinen Freunden sowie den Söhnen von Khamenei, mit massiver Unterstützung der ‚People of Darkness‘, der Bassij (Anm. der Red.: paramilitärische rechts-religiöse Milizen) und der „Revolutionären Garde“.

In seiner Rede vom 1. Juli hat Ahmadi-Nejad zu einer „zweiten Islamischen Revolution“ aufgerufen und einen aggressiven „Export“ dieser Revolution gefordert. Er machte deutlich, dass das islamische Recht im Land verstärkt werden muss – so wie er das schon als Bürgermeister von Teheran vorangetrieben hatte – und sagte: „Wir müssen der Welt eine Kultur der Aufopferung und des Märtyrertums vorleben.“

Schon als Bürgermeister von Teheran hatte Ahmadi-Nejad verlangt, dass Frauen sich gemäß des Islamischen Gesetzes verhalten. Für eine Frau bedeutet das: Verhaftung, wenn auch nur eine Haarsträhne aus Versehen sichtbar oder ihre Kleidung nicht streng genug ist. Die Bestrafung für ein solches ‚Verbrechen‘ ist die Peitsche. Viele unserer Freundinnen haben diese demütigende Behandlung erlebt und haben körperliche und seelische Narben.

Ein hoher Prozentsatz von iranischen Frauen ist außerdem Opfer häuslicher Gewalt. Die Mehrzahl der Opfer lebt in den unteren Schichten und den Dörfern. Das iranische Gesetz erlaubt Männern vier Frauen zu heiraten. Wir Frauen im Iran müssen das tolerieren und haben selbst kein Recht auf Scheidung. Frauen müssen die Autorität ihrer Ehemänner akzeptieren und still sein. Eine Frau, die sich beschwert, gilt schon als rebellisch.

Im heutigen Iran herrscht eine Atmosphäre, in der Sexual- und Ehrenmorde an der Tagesordnung sind. Nach der im Iran vorherrschenden Interpretation des Islam dürfen Ehemänner, Brüder oder Väter Frauen wegen „Ehebruchs“ oder „moralischer Korruption“ umbringen. Das ist eine Tötungslizenz für alle Frauen.

Das Schweigen bzw. die Diplomatie der westlichen Führungselite geben Präsident Ahmadi-Nejad die Möglichkeit, seine Macht zu zementieren und Menschen- und Frauenrechte noch mehr mit Füßen zu treten. Sind wir naiv, wenn wir unsere Hoffnung auf Sie, die Intellektuellen in einer aufgeklärten Gesellschaft, setzen?

Wir hoffen, dass Sie sich der moralischen menschlichen Verantwortung nicht entziehen; der Verantwortung, Ihrer Regierung zu sagen: Machen Sie Freiheit und Respekt der Menschenrechte – insbesondere der Frauenrechte – zur Bedingung für Verhandlungen. Es gibt niemanden außer Ihnen – freien Menschen, die das tun können.

Mit dem größten Respekt und Hoffnung auf Hilfe und Erlösung
Feministische Studentinnen im Iran

Iran, 3. August 2005

Liebe Schwestern!

Zunächst einmal möchten wir uns ganz herzlich bei euch und eurer Zeitschrift dafür bedanken, dass ihr euch um unseren Appell gekümmert habt. Wir haben bereits mehrere Antworten von Leserinnen eures Magazins erhalten, die uns in unserer Not ihre Hilfe angeboten haben. Wir hoffen auch, dass eure Weiterleitung unserer Angelegenheit an alle Ministerinnen des jetzigen Kabinetts sowie an Angela Merkel dazu beitragen wird, Verständnis für unser Problem zu entwickeln und es in die Öffentlichkeit zu tragen.

Um eure Frage zu beantworten: Es ist bedauerlich, dass außer EMMA niemand in Deutschland, an die wir unseren Brief adressiert hatten, auf unseren Hilferuf geantwortet hat. Aber wir versprechen euch, liebe Schwestern, dass wir nicht aufgeben werden. Wir werden weiter kämpfen!

Wir setzen große Hoffnung auf euch, weil wir eure Macht kennen und schätzen. Möget ihr stets erfolgreich sein. In ehrlicher Freundschaft schütteln wir euch die Hand und begrüßen die Hilfe, die ihr uns angeboten habt. Was könnt ihr, was könnte Deutschland tun?

1. Jede strategische Aufwertung der Beziehungen mit unserem Land, das Unterzeichnen wirtschaftlicher Vereinbarungen oder technologischer und anderer Plattformen, die einen Fortschritt für unsere Regierung bedeuten, müssen an eine Auseinandersetzung mit der Menschenrechts- und Frauenrechtssituation geknüpft werden. Das würde den Frauen im Iran oder auch in Afghanistan und im Irak helfen. Reine politische Appelle werden keine Ergebnisse erzielen, wenn keine Bedingungen daran geknüpft sind. Die politisch Verantwortlichen werden erst etwas unternehmen, wenn sie merken, dass sie einen Preis für ihre Politik bezahlen.

2. Ist es möglich, Proteste vor den iranischen Botschaften in Deutschland und bei jedem Deutschland-Besuch einflussreicher iranischer Politiker stärker in Richtung der Menschenrechte und speziell der Frauenrechte zu lenken? Wenn die Medien darüber berichten, ist es den Aufwand wert. Und könntet ihr die iranische Botschaft regelmäßig ansprechen? Sie muss verstehen, dass das Problem ein Teil der Agenda des Westens.

3. Über die Verkrüppelungen in unserer Gesellschaft und die Übeltaten, die hier gegen die Bevölkerung verübt werden, muss in euren Medien konstant berichtet werden, damit die hässliche Wahrheit ans Licht kommt. Ihr müsst wissen, dass unsere Medien zensiert und häufig mundtot gemacht werden. Es gibt keine Redefreiheit und unsere Gefängnisse sind voll mit Menschen, die versucht haben, zu berichten, was hier wirklich los ist. Ihr müsst wissen: Es gibt hier im Iran nicht nur eine konservative, radikale, fanatische Bevölkerungsschicht, sondern auch eine mit fortschrittlichen, gebildeten und aufgeklärten Menschen. Es ist eine Schande, dass man ihre Stimmen nicht hört, weil die Regierung jede Meinungsäußerung unterdrückt, die ihr nicht gefällt.

Anders als in eurem Land, wo es echte demokratische Wahlen gibt, waren unsere Wahlen fingiert; aus wirtschaftlicher Not haben große Teile der armen und ungebildeten Schichten für Geld Ahmadi-Nejad gewählt und damit eine noch größere Katastrophe über uns gebracht.

Mit Dank und Grüßen und der Hoffnung auf Verbesserungen zum Wohle der Frauen im Iran und in allen Ländern, in denen Frauen als minderwertige Menschen gelten, verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen,
Feministische Studentinnen im Iran

feminist-stud-iran@asiamail.com EMMA September/Oktober 2005

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