Frauen im Postkommunismus
Als Europa vor kurzem den 25. Jahrestag des Untergangs des Totalitarismus in Osteuropa feierte, da wurde, merkwürdig genug, von einem Thema nicht oder nur sehr am Rande gesprochen: Wie hat sich dieser dramatische Wandel auf die Frauen ausgewirkt? Funktioniert das neue System, die Demokratie, für beide Geschlechter auf ein und dieselbe Weise?
Die Antwort ist: Nein, das tut es nicht. Selbst wenn die Frauen in Osteuropa heute (endlich) nicht mehr das Gefühl haben, einem einzigen Block anzugehören, so werden sie doch immer noch durch die gemeinsame Erfahrung des Kommunismus zusammengeschweißt, weil diese Erfahrung ihr Leben auch nach 1989 signifikant beeinflusst hat.
Ich persönlich habe den Kommunismus überlebt und konnte sogar über ihn lachen. Seither aber ist mir das Lachen oft vergangen. Zunächst natürlich, weil der Zerfall des alten Systems in Exjugoslawien in Kriegen mündete.
Ich konnte über
den Sozialismus
sogar lachen.
In anderen osteuropäischen Ländern verging den Leuten das Lachen, weil sich der Postkommunismus als etwas anderes entpuppte als das, was sie erträumt hatten. Unsere Welt mag heute aussehen wie ein Supermarkt voller Goodies, aber die meisten von uns müssen sich damit begnügen, von außen durchs Fenster auf diese Goodies zu schauen.
1990, gleich nach dem Fall des Kommunismus, fuhr ich für die amerikanische Ms. durch Osteuropa. Ich fuhr nach Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien und in die Tschechoslowakei, um das Leben der Frauen in meiner Weltgegend zu beschreiben – und natürlich konnte ich dabei auf meine eigenen Erfahrungen mit dem Kommunismus in Exjugoslawien zurückgreifen.
Was mich interessierte, war die Beziehung zwischen Politik und Alltagsleben. Hier war es so, dass die Frauen, die im System eine untergeordnete Stellung innehatten, die Hauptlast trugen. Sie arbeiteten in Fulltimejobs und mussten sich zugleich um die Kinder, die Alten und den Haushalt kümmern.
Jede einzelne Frau, mit der ich gesprochen habe, gleichgültig ob in Ungarn oder Polen, der Tschechoslowakei oder Bulgarien, konnte mir genau erzählen, wodurch sie sich vom Kommunismus betrogen fühlte: von den Engpässen bei Lebensmitteln oder Wegwerfwindeln bis hin zum Mangel an Wohnungen oder Klopapier. Es waren diese banalen Alltagsdinge, die dem Kommunismus lange vor 1989 das Genick gebrochen hatten, und nicht, so leid es mir tut, die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit, Menschenrechten und Demokratie.
Der Hauptunterschied zwischen dem Leben der Frauen unter dem Kommunismus und jenem in westlichen Demokratien war das, was ich "Emanzipation von oben" nenne. Emanzipationsgesetze waren fester Bestandteil des kommunistischen Rechtssystems. Sie garantierten Frauen alle grundlegenden Rechte – vom Wahlrecht bis zum Recht, Eigentum zu erwerben, von der Erziehung bis zur Scheidung, vom Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit bis zum Recht, über den eigenen Körper zu verfügen.
Die formale Gleichstellung der Frauen wurde in der kommunistischen Welt vor allem in der Öffentlichkeit und ihren Institutionen wahrgenommen. In der Privatsphäre herrschten die alten patriarchalen Gepflogenheiten. Es war nicht nur der Mangel an Freiheit – und Zeit -, der die Frauen davon abhielt, für einen gesellschaftlichen Wandel zu kämpfen, sondern mehr noch der Mangel an Glauben daran, dass ein solcher Wandel überhaupt nötig sei. Schließlich gab es da oben ja jemanden, der damit beschäftigt war, das Nachdenken für sie zu übernehmen.
Klopapier war
wichtiger als
Demokratie.
Ein feministisches Bewusstsein gab es nicht. Weil Frauen ohnehin emanzipiert sind, gibt es keinen Bedarf an einer Diskussion über Frauenrechte, wurde argumentiert. Und jene, die die Frauen über ihre tatsächliche Situation aufzuklären versuchten, wurden als "verdächtige Elemente" gesehen und bezichtigt, "fremde, bourgeoise Ideen zu importieren".
In den 80er Jahren war es so, dass sich osteuropäische Frauen bei ihrem öffentlichen Auftreten mit dem Satz "Ich bin keine Feministin, aber ..." vorstellten. Dies taten sie natürlich aus Angst, dass man sich über sie lächerlich machen könnte. Sehr lange, auch nach 1989, wollten Frauen nicht als Feministinnen identifiziert werden, selbst dann nicht, wenn sie es waren.
Die Großmutter unserer Präsidentin in Kroatien, die vielleicht irgendwann Mitte der 1920er Jahre geboren worden war, hätte von einer politischen Karriere nicht einmal träumen können, ehe sie von der kommunistischen Regierung 1945 das Wahlrecht zuerkannt bekam. Das war allerdings etwas, was die Präsidentin bei einer Uno-Frauenkonferenz in diesem März nicht erwähnte. Hätte sie es getan, hätte sie auch zugeben müssen, dass es eine kommunistische Erziehung war, die es ihr möglich gemacht hatte, die höchste politische Position im neuen, demokratischen Kroatien zu erreichen.
Von einer entrechteten Großmutter zu einer künftigen Präsidentin, die mit gleichen Rechten aufwuchs – das ist ein Beispiel für den Wandel, den der Kommunismus in sehr kurzer Zeit mit seiner Emanzipation von oben für die Frauen erreicht hat. Die jungen Frauen in den ex-kommunistischen Staaten genießen dieselben Vorteile dieser historischen Erbschaft, wie etwa das Recht, sich scheiden zu lassen, das Recht auf sexuelle Freiheit oder das Recht, mit jemandem in einer außerehelichen Beziehung zusammenzuleben. Wie ihre Mütter und Großmütter genießen sie zumindest formal die Rechte, für die Frauen in den westlichen Demokratien hart kämpfen mussten. Und aus einer anderen Perspektive betrachtet: Es war exakt diese Art der Emanzipation, die sie so passiv werden hat lassen.
Ich bin keine
Feministin,
aber…
Die 1989 wiedergewonnene Freiheit hat unerwartete neue Einschränkungen von ökonomischen, sozialen und Reproduktionsrechten mit sich gebracht. Frauen wurden hart von Kürzungen der öffentlichen Ausgaben getroffen und werden als mindere Arbeitnehmer behandelt. Mehr und mehr Frauen bleiben zu Hause und meiden die Politik und das öffentliche Leben, in der Überzeugung, dass das das Richtige sei.
Trotz alledem ist keine neue Frauenbewegung entstanden. Es gibt kein Gefühl für wechselseitige Interessen. Die Idee, dass Frauen Frauen unterstützen sollten, um gemeinsame Ziele zu erreichen, existiert nicht, ebenso wenig wie eine Vorstellung von kollektiver Solidarität. Frauen in Regierungspositionen erkennen Gender nicht als ein politisches Thema an. Der größte Hemmschuh für die politische Partizipation der Frauen ist womöglich nicht rechtlicher, sondern kultureller Natur.
Was in den vergangenen 25 Jahren in Westeuropa passiert ist, ist auch nicht ermutigend. Im Westen haben die Frauen jahrzehntelang in Graswurzelbewegungen und mit Massenprotesten für ihre Rechte gekämpft. Gewiss sind hart erkämpfte Privilegien dauerhafter als jene, die gönnerhaft über einen ausgeschüttet werden. Auch Frauen im Westen leiden unter mangelnden Jobchancen, Einkommensungleichheit, der gläsernen Decke und Statusverlust. Auch im Westen engagieren sich Frauen immer weniger in der Politik. Die Finanzkrise ist der gemeinsame Nenner. Sie hat ganz Europa und all seinen Bewohnern einen Schlag versetzt, ob in Ost oder West, ob Mann oder Frau.
Doch immer mehr Frauen arbeiten in unsicheren Teilzeitjobs. Oder sie entscheiden sich dafür, überhaupt keine Kinder zu kriegen. In kapitalistischen Gesellschaften wird das Kinderbekommen zunehmend als eine Sache der individuellen Verantwortung behandelt. Gleichzeitig warnen nicht nur Nationalisten davor, dass Europa aussterbe und wir mehr Kinder brauchen. Politische Führer in den verarmten exkommunistischen Staaten bezichtigen die Frauen, sie seien am "Tod der Nation" schuld.
Was seit 25 Jahren los ist,
ist nicht ermutigend.
Im Ergebnis kann das Grundrecht einer Frau auf freie Wahl jederzeit widerrufen werden. Einer der ersten Akte, den die erste demokratisch gewählte polnische Regierung setzte, war die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung.
Was würde passieren, wenn Frauen die Gefahren, die ihnen drohen, nicht einmal erkennen und dann auch kein Bedürfnis verspüren, für Gleichberechtigung zu kämpfen? Was, wenn sich die Werte so geändert haben, dass Frauen ihre untergeordnete Position zunehmend normal finden?
Was für eine Strategie bleibt zu verfolgen? Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass in einer Demokratie die Bürger – und dieser Begriff schließt die Frauen mit ein – die Macht besitzen, Gesetze zu ändern. Geschlechterdemokratie ist ein essenzieller Teil der Demokratie schlechthin. Ohne Beteiligung der Frauen gibt es keine Demokratie, die diesen Namen verdient.
Slavenka Drakulic
(Aus dem Englischen: Christoph Winder)
Anmeldung zum Symposium „Women in Post-Communist Countries“: Kreisky-Forum, T 0043/1/3188260-0, Email: kreiskyforum@kreisky.org