Uschi, der Schuss in alle Frauenherzen

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Das Sportblatt "Kicker" widmete sich dem Europacupspiel sogar über mehrere Seiten hinweg und erklärte den Damenfußball zum "Thema der Woche". Ursula Lohn, Außenstürmerin der Nationalelf, wurde kurzerhand zur "Frau des Tages" erklärt. Selbst Udo Lattek änderte seine Meinung über den Damenfußball, vor dem er sich bislang "mit Entsetzen" abgewandt hatte: "Damen-Fußball ist heute verlangsamter Männer-Fußball. Auch die Technik der Mädchen kann sich sehen lassen", gestand er gnädig ein.

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Und in der Frauenwelt? Da gab es uneingeschränkte Begeisterung und Stolz. "Unsere Elf!" schwärmten selbst diejenigen, die sich zuvor nie für (Männer)Fußball interessiert hatten. Ist nun auch endlich Schluss mit den Chauvi-Blicken auf die "ballernden Amazonen"? Noch kurz vor dem alle überwältigenden Sieg hatten einige Sportfotografen nichts anderes im Sinn als einen Blick in die Umkleideräume zu erheischen oder die Damen unter der Dusche aufs Bild zu bannen.

Schluss mit Chauvi-Blicken auf die "ballernden Amazonen"?

Nach dem Sieg sind "unsere Frauen" Vorbild - selbst für Männer. Das war "Fußball mit Herz" (Express), "Da können sich unsere Herren schon eine Scheibe abschneiden" (Bild). Denn das männliche Gebolze auf dem Feld hat den Fußball bereits in eine tiefe Krise gestürzt. Und nach den sich häufenden Randalen in den Stadien überlegt man sich mindestens dreimal, ob sich die Fahrt an den Ort des Geschehens lohnt.

Mit den Fußball-Frauen gab's nun endlich wieder ein übervolles Stadion: 22.000 jubelten drinnen, über 3.000 standen vor den Toren. "Das ist schon eine Größenordnung wie beim Männerländerspiel", verkündete stolz die "Frauenbeauftragte" des Deutschen Fußballbundes, Hannelore Ratzeburg. Mit einem "riesigen Rummel" hatte sie schon gerechnet, nicht aber mit einer derartigen Euphorie.

Und zum allerersten Mal kam ein Damen-Fußball-Länderspiel in (fast) voller Länge ins TV! Da interessiert es wirklich keine mehr, dass die Kickerinnen überhaupt nur deshalb zum Zuge kamen, weil die Übertragungsrechte für den Männer-Fußball teuer an die Privaten verkauft worden waren. Hauptsache ,wir konnten "unsere Elf" siegen sehen!

Ab 1990, so versprach jetzt der Deutsche Fußballbund, soll es sogar eine Frauen-Bundesliga geben. Die begeisterten Sportjournalisten stehen schon in den Startlöchern. Und noch am Jubel-Abend kommentierte ein Fernsehreporter live im RTL: "Das ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation!" Ganz recht, Herr Kollege. - Für Emanzipation berichtete die ARD-Sportreporterin Atlanta Killinger. Sie war dabei.

4:1, Deutschland ist Europameisterin!", stehende Ovationen im Osnabrücker Fußballstadion. Auf dem Spielfeld stehen diesmal nicht die elf Mann von Franz Beckenbauer, sondern steht unsere Frauenelf mit Bundestrainer Gero Bisanz. Sie werfen die Arme in die Luft, umarmen sich, weinen, lachen, können nicht glauben, dass es wahr ist.

Erst zum dritten Mal gibt es im Frauenfußball eine Europameisterschaft, und schon hat das bisherige Stiefkind Deutschland den Titel geholt! Und das gegen die Titelverteidigerinnen aus Norwegen.

Die 22jährige Ursula Lohn von Grün-Weiß-Brauweiler, Stürmerin und Torschützin des Tages, tritt gleich zweimal kräftig und entscheidend zu. Sie schießt die ersten beiden Tore und entthronte damit schon in der ersten Halbzeit die Titelverteidigerinnen. Jubelnd läuft sie in die Arme einer Zuschauerinnengruppe, Freundinnen mit bemalten Gesichtern umarmen sie. Mit Kriegsbemalung kehrt Uschi zurück auf das Spielfeld, ist völlig aufgelöst und antwortet auf die vielen Fragen der Journalisten nur immer wieder: "Ich kann's nicht glauben."

So ist es wohl allen gegangen, den Spielerinnen, den 22.000 ZusachauerInnen, Gero Bisanz und vor allem - den Herren des Deutschen Fußballbundes (DFB). Die stehen nun triumphierend am Spielrand. Selbst DFB-Präsident Hermann Neuberger vergisst sich und drückt die Siegerinnen an seine stolzgeschwellte Brust.

Derweil kommt's zur Siegerehrung. Spielführerin Silvia Neid nimmt den Pokal entgegen. Mit 41 Länderspielen ist sie die Erfahrenste und eine der zuverlässigsten Torschützinnen. Der Europa-Sieg belohnt sie für viele Jahre hartes Training. In dieser Sekunde weiß auch sie, dass es in den Köpfen der Mäkler endlich gefunkt hat. Ihr Engagement und das ihrer sportlichen Kameradinnen hat sich gelohnt.

Der Spaß am Sport zählt mehr als Prämien

Silvia Neid ist die typische Vertreterin der fußballspielenden Damenriege. Der Papa hatte sie irgendwann mal mitgenommen zu SV Schlierstadt, einem winzigen Verein, und dann hat sie sich systematisch mit Fleiß und Ehrgeiz in die oberste Spielklasse hochgearbeitet. Von Anfang an war sie dabei. Wie sie sind alle Spielerinnen reine Amateurinnen. Glücklicherweise, denn da zählt der Spaß am Sport mehr als irgendwelche Prämien.

Silvia Neid arbeitet als Floristin. Morgens ist sie früh unterwegs, kauft die Ware ein, dann steht sie acht Stunden im Laden. Anschließend wird trainiert, viermal die Woche. Dazu ab und an ein Stützpunkttraining mit der Nationalmannschaft, das sie bis zum großen Finalsieg wie alle anderen selbst bezahlen musste. Denn Unterstützung hat es kaum gegeben.

Auch für die zweite entscheidende Frau der Elfergruppe, Martina Voss vom TSV Siegen, ist Fußball das größte. Obwohl sie erst mit 15 Jahren das Training aufnahm, ist sie eine der stärksten Spielerinnen. Schon mit 21 will sie mehr als den EM-Titel: Sie hat ein Angebot, als Profi nach Neapel zu gehen, für sofort. Ihre Höchstgage beläuft sich auf 4.000 Mark monatlich, nicht zu vergleichen mit den Millionentransfers die im Männerfußball über die Bühne gehen.

In Kaiserau absolvierte die Nationalelf der Frauen ihr Training während der EM-Endrunde. Coach Gero Bisanz wollte seinen Job schon längst schmeißen, weil die männlichen Kollegen über seinen "Damensport" oft abfällig sprachen und ihn nicht so recht akzeptieren wollten. Doch sein Vertrag läuft bis 1990, darauf hat ihn der DFB festgenagelt. Also schickt sich Bisanz in sein Schicksal, trainierte weiter "seine Mädels". Mit Erfolg: Deutschland wurde Europameisterin.

Den Titel erkämpften sich die Frauen im Sturm mit 4:1 und das Halbfinale mit einem dramatischen Elfmeterduell gegen Italien, das vier Millionen ZuschauerInnen an einem Werktagsnachmittag vor den Fernsehgeräten hielt. Was da abging, war nicht das verpönte "Rumgegurke", wie "man" gerne Frauenfußball abqualifiziert. Das war technisch und taktisch erste Sahne! Das war Spaß, kombiniert mit einer gesunden Portion Ehrgeiz. Siegeswillen und dem vielgepriesenen Kampfgeist, den Bundesliga und Bundestrainer bei ihren Männern so oft vermissen.

In der Siegesnacht, da waren die DFB-Funktionäre ganz zahm und eine Bomben-Stimmung im Festsaal. Alle tanzten: die Fußballfrauen schoben die Herren des DFB über das Parkett. Der große Durchbruch? Das wird sich noch zeigen. Die Weltmeisterschaft steht an, und um ointernational mithalten zu können, müssten die Damen wesentlich härter trainieren. Das kostet Geld, und das soll der DFB nun locker machen.

Natürlich hat der Frauenfußball noch lange nicht den Stellenwert, den der Jubel jetzt suggeriert. Dazu dominiert der Männerfußball (noch) zu stark. Fußball, das ist gerade in Deutschland ein Nationalsport. Damit kann sich fast jedes männliche Wesen identifizieren, weil's schon im Kindesalter zum Kicken auf die Straße geschickt wurde, während die Mädchen den Puppenwagen durch die Gegend schieben mussten.

Es galt die Ansicht: Fussball ist kein Sport für Frauen

Das hat bisher den weiblichen Nachwuchs in den Fußballvereinen erheblich behindert. Aber es gibt ihn trotzdem. Und seit 1970 gibt es auch Trainer, die sich sogar fußballtechnisch mit dem "schwächeren" Geschlecht befassen. Sogar ein paar Trainerinnen sind dabei. Doch auch hier ist noch ein klares Defizit. Bislang spielten die Frauen auch vor leeren Kulissen. Ihre Regionalligen, ihre deutsche Meisterschaft, das alles wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit erledigt. Nicht weil die Damen unter sich sein wollten, sondern weil die Ansicht galt: "Frauen können nicht Fußball spielen, das Ganze ist unästhetisch, eben kein Sport für Frauen."

Doch bereits in den 30er Jahren begannen die Frauen den Ball ins Tor zu schießen, besonders die Engländerinnen liebten diesen Sport. Dann sprachen Hitler und Konsorten ein striktes Verbot aus. Die Frau habe am Kochtopf zu stehen und nicht auf dem Spielfeld. In den 50ern waren die Frauen dann wieder am Ball.

Doch bevor die neue Entwicklung überhaupt richtig in gang kommen konnte, wurde sie vom DFB abgeblockt, verboten. Die tollsten Gerüchte wurden verkündet: Direkte Konfrontationen mit dem festen Lederball führe zu Brustkrebs und Unfruchtbarkeit, erläuterten befragte Ärzte, obwohl sie gar keine Gelegenheit hatten, fußballspielende Frauen zu untersuchen. "Es gab ja keine", erzählt Hannelore Ratzeburg, Referentin der DFB-Fußballerinnen. Um das leibliche Wohl bemüht, hätten sich irgendwelche Unterwäschespezialisten die waghalsigsten Konstruktionen einfallen lassen; Brustpanzer und stabile Korsagen.

Benutzt hat die Dinge nie eine, gebraucht wohl auch nicht, sonst hätten wir dieser Tage schließlich keine Europa-Siegerinnen feiern können. Dank der Emanzipation kam's dann aber doch noch dazu. Am 31. Oktober 1970 beschloss der DFB-Bundestag die Aufhebung des Verbots. Typisch war jedoch, dass die Herren im Vorstand stattdessen Richtlinien erstellten, ganz nach ihrem männlichen Geschmack. Wenn schon Damenfußball, dann bitte auf Sparflamme. Es könnte ja sonst sein, dass die Damen den Herren die Show klauen. In Anbetracht der glanzvollen Leistungen bei der Europameisterschaft liegt der Verdacht näher denn je.

Erst 1971 wurden Meisterschaftsspiele in den Landesverbänden überhaupt gestattet. Am 8. September 1974 gab es das erste Damen-Endspiel um die Meisterschaft. Wörrstadt besiegte Eintracht Erle mit 4:0. Nie gehört? Kein Wunder, denn schon dieses torreiche Spiel wurde von den Medien als Nebensache in kurzer Meldung abgetan.

Aber Tore gehören nun mal zum attraktiven Fußball. Und so schossen sich die Damen immer stärker in den Vordergrund. 5:0 endete das erste Finale um den DFB-Pokal der Damen, 1981 für Bergisch-Gladbach gegen Wörrstadt. "Popelvereine" würden Fußballexperten sagen. Damals belächelten sie solche Resultate. Schließlich waren das ja keine Profis. Die werden hoch bezahlt, zu Millionen eingekauft und wiederverkauft, sie sind die Gladiatoren unserer Stadien, die Helden der Klatschkolumnen. Sie halten die Sportwelt in Atem.

Selbst bei dem hochwertigen DFB-Pokalfinale zwischen Siegen und dem FSV Frankfurt, das kurz vor der EM-Runde in Berlin stattfand, waren die Damen nur die "schönste Nebensache der Welt", Anheizerinnen für das DFB-Finale der Herren zwischen Borussia Dortmund und Werder Bremen. Gerade gut genug für das Vorspiel am Nachmittag, während sich das Stadion mit 70.000 Zuschauerinnen erst langsam füllte. Der 4:l-Erfolg von Siegen ging im Borussia-Gegröhle unter. Die Rundum-Welle der Zuschauerinnen galt nicht den tapferen Finalistinnen auf dem Spielfeld. Sie war nur das Training für ein ebenso berauschendes Finale der Herren, Zugegeben - auch dort gab es mal wieder ein paar Tore.

Doch schon wenige Tage später änderte sich das Bild radikal. Die Fußballnationalelf der Damen hatte die EM-Runde erreicht, stand im Halbfinale gegen Italien. Der DFB deklarierte das Ganze als "Werbeveranstaltung". Und ein Vertreter des DFB-Sponsors "Coca-Cola" brachte vor dem Spiel ganz klar zum Ausdruck, dass der Konzern nur dem Veranstalter zuliebe mit von der Partie sei. "Frauenfußball", schmunzelte er, "naja, das ist wohl mehr Kinderkram."

Auch die gestandenen Fußballkommentatoren von Funk und Fernsehen waren sich zu fein für diese "Kickerveranstaltung". Nur deshalb durften die Kolleginnen ans Mikrofon. Denn hier konnten sie ja nicht viel falsch machen.

"Leider" wurde das Halbfinale die große Sensation. 1:1 der Endstand, dann kam die Verlängerung. Und dann das Elfmeterschießen, das in die Fernsehgeschichte (und Frauengeschichte) einging. Beim Stand von 3:2 für Italien legte keine geringere als die deutsche Torfrau Marion Isbert den Ball zurecht, zielte den Elfmeterschuss glatt ins Tor. Da war die Sensation schon fast perfekt. Als sie dann den Konterschuss der italienischen Elf abwehrte, stand Deutschland zum ersten Mal im EM-Finale. Marion Isbert wurde umjubelt, stürmisch gefeiert. Nicht nur von den Teamgefährtinnen, den Fans, dem DFB. Nein, plötzlich waren auch sie da, die Kameras. Sie hielten über und unter die Gürtellinie, wollten bis zum Finalsieg nicht mehr von den Fußballfrauen weichen.

Die darauffolgenden Tage wurden für die Frauen zur Tortur. Irgendwas musste ja die Bundesligapausefüllen, und so stürzten sich Journalisten, Fotografen und Kamerateams ins Getümmel. Beim Training vor dem Finale wurde alles aufgesaugt, jede Bewegung, jedes Lächeln festgehalten. Und natürlich blieben auch gewisse Fragen nicht aus: Ob denn nicht vielleicht ein paar Fotos unter der Duschet Die Euphorie der Damen wich schnell der Scham und Wut, als die Kameras beim gymnastischen Beinespreizen immer naher rückten.

Doch am Finaltag war aller Ärger vergessen. Hand in Hand traf trällerten die stolzen DFB-Vertreterinnen auf dem Spielfeld die Nationalhymne, ein ungewohntes Bild. Richtig beflügelt ging die Damen-Elf dann gegen Norwegen ins Spiel, Zum ersten Mal vor ausverkauftem Haus: 22.000 Zuschauerinnen erlebten die packende Begegnung, viele blieben vor den Toren des Stadions und mussten sich mit den Sprechchören, den Anfeuerungsrufer und Liedern der Zuschauerinnen begnügen.

Im Gegensatz zu den Profispielen wurde hier nicht pausenlos mit irgendwelcher dröhnenden Instrumenten Krawall gemacht. Hier wurde richtig gesungen. Die Stimmung war nicht aggressiv, sondern harmonisch. Und nachdem 4:1 Sieg wurde vor Freude geweint und gelacht.

Selbst die Herren vom DFB waren so gerührt, dass es schließlich doch noch ein Geschenk für die Europameisterinnen gab: Eine Goldmünze im Wert von 850 Mark. Das ist zwar nicht viel, aber immerhin etwas. Zudem sieht die Zukunft nach dieser gelungenen Darbietung recht rosig aus. Eine zweiklassige Bundesliga soll es geben. Und es soll auch, so war zu hören, immer mehr Männer geben, die erkennen, dass auch Frauen Fußball spielen können ...

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